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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1868

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Nr. 130-141 (3. November - 30. November)
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Samstag den 14. November 1868.

Von Jenseits der Leitha.
(Demokr. Corresp.)
Pefth, 6. Nov. Aus dem stillen Neckarthal im Flug an
die mächtig belebte Donau — es ist wie ein Traum! Aus unserm
vereinzelten mühseligen, fast hoffnungslosen Ringen plötzlich mitten
in ein Volk, das sein Recht gesunden, weil es sich selbst nie ver-
loren gab — es ist schmerzlich und erhebend zugleich. Aus Zu-
stänoen, welche die Blutthat von 1866 verwünschen lassen, in
Zustände, denen sie ein Segen geworden — ja, es ist wie ein
Witz der Weltgeschichte, leider auf unsere Kosten.
Bei der Berührung mit den politischen Männern Ungarns
tritt eins hervor, um das sie zu beneiden sind: das Gefühl der
Sicherheit ihres politischen Besitzes. Was sie haben, sie haben's
errungen, haben's sich verdient, und darum haben sie's
fest. Nicht als ob sie sich verschwiegen, daß sie erst am Anfang
der Entwickelung stehen, aber den Eck- und Grundstein haben sie.
Nicht als ob sie sich in falsche Sicherheit wiegten; sie wissen, daß
sie auf der Hut fein müssen, und sie sind auf der Hut. Aber das
berechtigte Bewußtsein der gewonnenen Grundlage tritt einem so-
fort entgegen.
Die Völker müssen wohl unsterblich sein, sonst lebte Ungarn
nicht mehr. Denn was hat es ertragen?! Fast zwanzig Jahre
hat es den Zorn der Machthaber gefühlt. Nachdem die Rache
sich angerast, hat die Unfähigkeit der Bach und Schmerling sich
daran versucht. Von letzterem zumal versichern Kundige, er habe
absolut, nicht gewußt, wie es hier zu Land ausfehe. Bureaukraten
haben das bekanntlich nicht nöthig. Dafür büreaukratisiren sie
denn auch entweder das Land Lodt oder sich selbst. Hier war
glücklicher Weife das Letztere der Fall. „Wir können warten",
meinte Schmerling. Das Schicksal war andrer Ansicht; es ver-
lor die Geduld, und als man mit dem zersetzten Reich in den
Krieg gegen das stramm organisirte Preußen zog, da war kein
Warten mehr für die, welche Unrecht gethan; sie mußten denen
gerecht werden, die unerfchüttert auf ihrem Rechte o.usgeharrt, und
so geschah's, daß was uns an Vaterland und an Freiheit zum
Fluch geworden, ihnen zum Segen wurde.
Die seit 1866 eingetretene Wendung knüpft sich, wie jeder
weiß, an den Namen Deak. Durch verschiedene Zufälle hatte sich
sein Antheil an der Erhebung von 48 so gestaltet, daß er der
Catastrophe von 49 nicht zum Opfer fiel, sondern dem Lande er-
halten blieb. Das ist von unberechenbarer Bedeutung geworden.
Er war der gegebene feste Punkt für die neue Gestaltung der
Dinge, und wer ihn sieht, hat sofort den Eindruck, daß das ein
sehr fester Punkt ist: der Mann ruht auf sich selbst. Bedürfte
es eines Motto's unter sein Bild, ich wüßte keinen passenderen
Wahlspruch als das (glaube ich) Göthe'sche:
Das Leben ist des Lebens Pfand; es ruht
Nur auf sich selbst und muß sich selbst verbürgen.
Auf Deaks Rath und mit Deals Unterstützung bildete sich
und erhält sich das Ministerium Adrassy, in welchem eine fest ge-
schlossene, überwiegende Majorität der Volksvertretung ihren Aus-
druck sieht. So ist ein Verhältniß entstanden, von dem man
sagen kann: es gibt keine ministerielle Partei, sondern ein Par-
tei-Ministerium. Wenn das rn Deutsch-Oesterreich auch so wäre!
Aber gerade in diesem Punkte liegt wohl der Hauptunterschied
zwischen Transleithanien und Cisleithanien. Hier hat der Libe-
ralismus die Reaction nicht nur als geschlossene Partei überdauert,
sondern in ihrer strengen Schule sich befestigt und die Vorbedin-
gung alles politischen Erfolges gelernt — Disciplin; die Partei
war da vor dem Ministerium, und durch die beispiellose Entsagung
Deaks ist auch noch das erreicht, daß die Partei nicht Seele und
Haupt abgab in die höheren Regionen. In Deutsch Oesterreich
dagegen gidt's nur liberale Namen, keine geschlossene Partei,
weder die aus sich ein Ministerium geschaffen hätte, noch auch nur
die von dem Ministerium nachträglich gebildet wäre. Daher die
Sicherheit hier, die Ungewißheit, der Unglauben, der Zweifel drüben.
Der Sieger glaubt an ferneren Sieg, der nur zu Gnaden ange-
nommene Liberalismus fühlt sich als blos geduldet.
Auf die zum Erschrecken große Arbeit, welche die Ungarn
bei ihrer innern Reorganisation vorfinden, ist hier nicht im Ein-
zelnen einzugehen, man kann sich denken, welchen Wust die Jahr-

hunderte aufgehäuft haben, und daß die Erbschaft der Metternich,
Bach, Schmerling, Belcredi nirgendwo Reformen sind, braucht
nicht erst gesagt zu werden. Hier muß genügen, daß die leiten-
den Männer nach allen Seiten auf die gedeihliche Entwickelung
ihres gesegneten Landes rechnen.
Was uns interessirt, ist das Verhältniß der Ungarn zu
Deutschland, zu den europäischen Freiheüsfragen, die wir Deutsche
ihnen räumlich vermitteln. Und da möchte man denn schier von
Sinnen werden, daß es je eine Politik von Staatsmännern mit
deutschem Namen gegeben hat, welche förmlich systematisch darauf
bedacht gewesen sein muß, uns Deutscher- diese Ungarn politisch
zu entfremden. Neben der Lahmlegung des nationalen Geistes
im Innern ist dies wohl das schwerste, fast das verhängnißvollste
Verbrechen, das von jenen Individuen gegen uns begangen ist.
Trotz allem was vorgefallen — auch jetzt klingt es einen hier
noch deutsch an, im Verkehr, im Volksleben, in den politischen
Kreisen. Deutsche Cultur steht m Ansehn; deutscher Buchhandel
geht gut; zwei der bedeutendsten Organe d« Deak'schen Richtung
(Pssther Lloyd und Ungarischer Lloyd) erscheinen in deutscher
Sprache; ich glaube, keinen politischen Mann, den ich hier ge-
sprochen, mißverstanden zu haben, wenn ich sage: auch abgesehen
von dem politischen Momente der russischen Gefahr, gegen die sie
natürlich auf Deutschland angewiesen sind, gilt ihnen allen unsere
deutsche Cultur für die humanistische und politische Zukunft ihrer
Nation als unentbehrlich. Un da das trotz alledem der Fall —
wie stände es ohne alles das?! wie erst, wenn statt Les Wahn-
sinns der Verstand gewaltet hätte, wenn Deutschland statt Polizei
Politik gemacht hätte! Dann, das wage ich Zu sagen, wäre ein
förderatives Verhältniß längst fertig, längst erlebt, welches in
Mitteleuropa eine starke Burg der Freiheit, der Bildung, Les
Friedens begründete, — ein förderatives Verhältniß, das jetzt so
segensreich und bedeutungsvoll wie jemals, jetzt herzusteüeu freilich
viel schwieriger, aber glücklicher Weise noch nicht unmöglich ist.
Denn auf solche Förderationen geht der Zug der neuen Zeit,
welche die Völker erhoffen und erstreben im Gegensatz zu der wüben
Episode des Cäsarismus, in der wir jetzt stecken.
Für den Augenblick sind die Ungarn vor allem auf ihren
innern Freiheitsbau bedacht und wollen folgerichtig vor allem
Frieden. Die Spezies Politik, wie sie die weiland Fortschritts-
partei in Preußen betrieb, Verfassung reiten, aber die Regierung
zum Teufel reiten lassen — Freiheitsexercitien zu machen auf dem
Papier, aber die Regierung in Gloirs machen lassen — diese über-
haupt recht rare Politik kann in Kreisen nicht gedeihen, wo hoch-
näsige Bureaukraten und thorenweise Professoren nicht das Wort
führen. Die Ungarn verstehen ihr Interesse dahin, daß die Wiener
Politik nicht bahnen wandeln dürfe, auf denen Mächte wieder
Einfluß gewinnen, welche als freiheitsseindlich sich bewährt haben.
Sie stehen du her auch unfern Deutschen mit mel Gemüchsruhe zu
und schwerlich werden sie sich dafür erwärmen, so lange wir selbst
nicht besser vorankommen mit unserm freiheitlichen Widerstand.
Aber auf Europa allerdings hallen sie den Blick gerichtet, wie
es Männern ziemt. Ihr dunkler Punkt ist und bleibt Rußland.
Sie kennen's. Sie stehen zu ihm in natürlicher, ewiger Feind-
schaft. Sie spüren's in allen Gliedmassen, bald als slawische
fliegende Gicht, bald als acutes rumänisches Uebel. Sie sind da-
rüber genauer unterrichtet, als der Politik Bismarck lieb sein kann,
und wenn König Wilhelm hier Harun Alraschid spielen und um-
hören wollte, was von seiner Friedensliebe und seinen Verdächti-
gungen gegen die, welche nicht dran glauben, geurtheilt wird, so
könnte er für seine sämmlichen Staatsanwälte auf lange hinaus
das interessanteste Material zu Majestätsprozeffen sammeln. Wozu
S. Maj. hiermit höflichst eingeladen wirb.
Im Ernst: die russisch preußische Gefahr wird hier wohl em-
pfunden, und auf den Neffen Carl in Rumänien hat man ein so
wachsames Auge, daß man bereits recht klar sieht. Solcher Ge-
fahr ist man sich bewußt nicht ohne Deutschösterrerch gewachsen
zu sein, und da die rumänische Frage auger ein Lüück von der
preußisch-deutschen auch noch ein Stück von der orientalisch-weft-
mächtlichen ist, so werden tue Gegencombruationen ver hiesigen Po-
litiker unzweifelhaft von Constantinopel bis Paris reichen. Auf die-
ser Route aber liegt Dcutschöstcrreich, liegt Südtuutscyland, da mö-
gen sich die Ungarn drehen und wenden wie sie wollen, und kommt
 
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