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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1868

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Nr. 52-64 (2. Mai - 30. Mai)
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Donnerstag und Samstag.

für Stadt


Preis Vierteljahr!. 40 kr. ohne
Trägcrlohn und Postausschlag.
Jns.-Geb. 2 kr. die Spaltzeile.

56.

Dienstag den 12. Mai


M Die Trennung des Kirchen- und Organisten-
Dienstes vom Schuldienst.
III.
Die dermaligen Herren Lehrer und Organisten werden über
ihre projectirten Stellvertreter und Ersatzmänner vornehm die
Nase rümpfen. Wohl; wir dagegen versprechen uns von unsern
Ackers- und Handwerksleuten tüchtigere Organisten, als es seither
die Herren Lehrer waren und noch sind. Man betrachte einmal
den musikalischen Bildungsgang dieser Herren. Aus der Elemen-
tarschule entlassen, genießen sie einige Jahre bei irgend einem be-
liebigen Schullehrer, der meist selber noch in musikalischen Windeln
liegt, einen kümmerlichen Unterricht im Klavier- und Violinspielen,
wofür alle Wochen neben den Hauptfächern auch einige Stunden
verwendet werden, treiben also neben einem andern Geschäft auch
Musik als Nebensache. Bei ihrem Eintritt in's Seminar können
sie nothdürftig nur ganz leichte Stücke spielen, und viel weiter
bringen sie es auch dort nicht, da sie wegen der großen Anzahl
der Schüler sich sehr selten auf der Orgel üben können und der
Musiklehrer aus der nämlichen Ursache sich mit dem Einzelnen
nicht eingehend beschäftigen kann. So profitiren nur die ganz
Talentvollen, die Meisten verlassen das Seminar als musikalische
Stümper, daher das Gegnick und Gedudel auf unsern Orgeln von
Seilen unserer Herren Lehrerorganisten, daß Einem oft Hören
uno Sehen vergehen möchte, der Gottesdienst den Andächtigen zur
Marter statt zur Erbauung wird, und selbst die sonst sehr genüg-
samen Landleute mit Aerger über den ungeschickten Orgelschläger
angefüllt werden. Von einer Fortbildung ist bei den Meisten
wenig zu spüren. Sehr natürlich: gor Viele kommen schon ohne
die Möglichkeit einer solchen aus dem Seminar; daher lernt der
größer? Theil nicht einmal die Orgelbegleitung zu den Melodien
des Diöcesangesangbuchs richtig spielen, stümpen nach eigenem Be-
lieben aus der Orgel herum und treibt es so sein Leben lang.
Für was brauchen sich auch die Herrn Lehrer viel Mühe von
wegen der Musik zu geben? Darin wird je nach der Anstellungs-
prüfung nicht mehr examinirt: die Herren Kreis - und Oberschul-
räthe fragen bei den Jahresprüfungen nach etwas ganz Anderem,
als Gesang und Orgelspiel und kirchlicher Haltung. Die Gemein-
den müssen sich mit dem Herrn Organisten begnügen, wie er ihnen
von Staatswegen octroirt wird, er mag etwas können oder nicht.
Hat eine Gemeinde das Unglück einen Organisten zu bekommen,
der sich 10—12 Jahre als Unter-, Hilfs-, und Hauptlehrer auf
Stellen herumgethan hat, wo keine Orgeln waren, dann muß die
Gemeinde erleben, wie ihr Organist auf ihrer Orgel erst wieder
anfängt zu lernen, zu diesem Zweck die grauenhaftesten Töne los-
läßt und den andächtigsten Gesang ein über das andere Mal zu
Schanden schlägt. Diese Herren sind und bleiben ihr Lebenlang
die eigentlichen Händwerksbursche der Orgel, während nur unsere
Arbeiter, die wir zu künftigen Organisten projectirt haben, zu
Meistern aus der Orgel zu machen gedenken, deren jeder wenig-
stens der jetzigen Orgelstümper in die Flucht zu schlagen im
Stande sein wird, denn unsere Leute werden mit Lust und Freude
ihre musikalische Aufgabe betreiben; sie sehen darin ihren eigent-
lichen Lebensberuf und kein lästiges Nebengeschäst; sie suchen in
der höchstmöglichen Vollendung in ihrem Berufe Ehre und Genuß;
vorzügliche Tüchtigkeit gibt ihnen Aussicht auf Berufung für ein-
träglichere Stellen.
Man mag uns vielleicht noch einwenden: die geringere geistige
Ausbildung unserer Handwerker als projectirte Organisten stehe
ihrer höhern musikalischen Ausbildung hindernd im' Wege. Wir
geben das nicht zu. Musikalische Kunstfertigkeit beruht auf Anlage,
Fleiß und Uebung. Das beweisen die tüchtigen Meister auf den
verschiedensten Instrumenten in den Militärmusiken und Theater-
orchestern, die Alle, außer der gewöhnlichen Elementarschulbildung,
ernen höhern Unterricht nicht genossen haben. In der bayerischen
Rhempfalz ist ein Dors — Gerhardsbrunn — wo in den meisten
Bauernhäusern ein Klavier oder Flügel steht, auf denen die Be-
wohner eine Kunstfertigkeit entwickeln, neben der die unserer Schul-
lehrer sich verkriechen müßte. In Franken, Bayern und Oester-
reich giebt es Landgemeinden, wo Bauern und Handwerker beim
Gottesdienst eine Vocal- und Instrumentalmusik aufführen, die
unsere Herrn Lehrer, und wenn sie zu Dutzenden aufmarschirten,

nicht fertig brächten. Und worin besteht denn am Ende die höhere
geistige Ausbildung unserer Schullehrer? Was können dre denn
mehr als Lesen, Schreiben und Rechnen, und was lehren sie die
Kinder mehr? Die Geschichte früherer und neuester Zeit erzählt
von Schustern, Bäckern, Schreinern, Drechslern u. s. w., die Philo-
sophen, Theologen, Dichter, Redner und Staatsmänner gewesen
sind, und damit auch der Schneider nicht fehle, erinnern wir an
den dermaligen ruhmreichen Präsidenten der nordamerikanischen
Freistaaten, den die ehemalige Verfertigung von Röcken, Hosen und
sonstigem Kleiderwerk nicht gehindert hat Das Oberhaupt von mehr
als 30 Millionen Menschen zu werden und mit Kaisern und Kö-
nigen auf gleichem Fuß zu verkehren; von Schullehrern hat man
aber noch nie von solchen außerordentlichen Leistungen vernommen,
es müßten denn ihre staatsmännischen Heldenthaten in oer badi-
schen Revolution von 1849 als solche betrachtet werden wollen,
und daß ein gewisser bayerischer Schullehrer Namens Bacherle das
berühmte Trauerspiel den „Fechter von Ravenna" geschrieben haben
wollte, was aber nur eine Einbildung gewesen, doch ist er später
noch ein Milchmann geworden; sogar die höhere Bildung eines
badischen Oberschulraches, in dem doch die ganze Schulmeisterweis-
heit gipfelt, ist laut Dr. Rolfus in Reuche jämmerlich in die Brüche
gegangen. Nach so großen geschichtlichen Urbildern im Handwerker-
stande und so kleinen bei ihren Verächtern ist uns deßhalb für
unsere Handwerker-Organisten nicht bange, daß auch sie es zu etwas
Erklecklichem bringen werden. Und was ihnen am Ende das aller-
entschiedenste Uebergewicht über die Mehrzahl der seitherigen Orga-
nisten giebt, das wird ihr religiöser Sinn, ihre kirchliche Haltung,
das dadurch gegebene gute Beispiel für Jung und Alt sein, während
jetzt so viele unserer Organisten in die Kirche passen wie Saul
unter die Propheteten oder Pontius Pilatus in's apostolische Glau-
bcusbekeuntniß.
Es ist zu bedauern, daß auf die Heranbildung eigner Orga-
nisten nicht schon seit längerer Zeit Bedacht genommen worden ist.
Man hat die Organistenverlegenheit seit Jahren kommen sehen,
die nun einqetreten. Der Herr Erzbischof in München hat in wei-
ser Voraussicht ähnlicher Zustände in Bayern im Laufe dieses
Jahres eine Organistenschule errichtet. Möchte, wenn unser Vorschlag
nicht beliebt werden wollte, eine ähnliche Anstalt auch in unserm
Lande von der kirchlichen Oberbehörde organisirt werden. Bereits
haben sich Stimmen in dieser Richtung im „Freiburger Kirchenblatt"
vernehmen lassen. An freudigem Mitwirken des Clerus, an reich-
lichen Beiträgen aus Stiftungen und von Privaten würde es für
eine solche zeitgemäße und nicht mehr zu entbehrende Anstalt nicht
fehlen; der Dank von Tausenden emancipirten Kirchengemeinden
würde den Gründern lohnen. Nur dürfte die gewerbliche Aus-
bildung, vor, während und nach der musikalischen Vorbildung nicht
bei Seite gesetzt werden, da die meisten Organistendienste allein,
besonders aus dem Lande, weder genug Beschäftigung bieten, noch
deren Einkünfte hinlänglichen Lebensunterhalt gewähren.
Wir wünschen, daß kundige Männer über unsern Vorschlag
sich öffentlich aussprechen, und zu diesem Zweck die kathol. Blätter
unseres Landes diese Zeilen ausnehmen mögen. Mit einer bloßen Ver-
neinung und Kritik wird aber nicht geholfen, wir erwarten posi-
tive Gegenvorschläge. Die Frage ist eine brennende geworden. Mit
einem Jahrelangen Stillstehen der Orgel, wie von einer Seite her
vorgeschlagen worden, auf gut Glück was nachher folgen möge,
ist nichts geholfen. Es muß gehandelt werden. Nicht weit von
uns hat eine wackere Stiftungscommission, schon vor 1^/2 Jahren
einen Schulmeister, der Lust hatte sich als Großherzoglich Badischen
oberschulräthlich angestellten Organisten zu betrachten und seines
Kopfes zu sein, dazu noch bei höchstmöglicher Stümperhaftigkeit, —
ohne weiters suspendirt, und einen jungen Bierbrauer, der ebenso
tüchtig in seinem Gewerbe, wie aus der Orgel ist, zu ihrem Orga-
nisten bestellt, ihm eine angemessene Besoldung ausgeworfen und
dem verblüfften Staatsorganisten das Nachsehen gelassen. „Neue
Zeiten, neue Wege"; aber das muß festgehalten werden: keine
Volksschullehrer mehr, auch die tüchtigsten nicht, als Organisten,
die als solche jeden Augenblick nach der Willkür einer fremden
Behörde versagt werden können. Wir können nur Organisten brau-
chen, die von der Kirche angestellt werden und von ihr allein Be-
fehle zu empfangen haben. Niemand kann zwei Herren dienen,
die noch dazu in ihren Wegen so weit auseinander gehen.
 
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