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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1868

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Nr. 102-115 (1. September - 30. September)
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Samstag den 5. September



Jagd auf einen Cardinal.
(Donau-Zeitung.)
Rom, 23. Aug. Cardinal Neisach ist heute vor acht Tagen
vom hirtenamtlichen Besuche seiner Diöcese Sabina hierher zurück-
gekehrt. Vielleicht hätte sich die Pastoralreise noch um einen und
den andern Tag verlängert, wenn die piemontesischen Behörden
Sr. Eminenz nicht eine 'Aufmerksamkeit in ächt jungitalienischem
Style zugedacht hätten, die aber zu der feinen Herren eigener Ueber-
raschung und Verlegenheit ausschlug. Abgesehen davon, daß das
Exequatur gänzlich unkanonischer Natur ist, indem die Sendung
der Bischöfe keineswegs vom Belieben irgend welcher Negierung
abhängt, hatte der hohe Kirchensürst es noch mehr als aus einem
anderen Grunde unterlassen, sich für seine Ernennung zum Bischöfe
von Sabina in Florenz um das Placet zu bewerben. Das ge-
nannte Bisthum ist erstlich ein suburbiearisches; für einen subur-
bicarlschen Bischof ist aber die förmliche Besitzergreifung seiner
Diöcese weder wesentlich noch nothwendig; diese Besitznahme ist viel-
mehr im Präconisationsakte, der im Consistorialsaale vor sich geht,
bereits mitenthalten; sobald die Präcorusation geschehen ist, nimmt
der Ernannte auch schon seinen Sitz an der Seite der Cardinal-
bischöfe ein. Da sonach Cardinal Neisach sich als inthronisirten
Bischof von Sabina zu betrachten bereits im vollen Rechte war,
so konnte von der Nothwendigkeit eines Exequatur zum Zweck der
Besitzergreifung vernünftiger Weise keine Rede sein.
Weiler liegt die Diöcese Sabina vollständig innerhalb der
rechtmäßigen Grenzen des Kirchenstaates; aus dem Ansuchen um
das Exequatur bei der usurpatorischen Negierung hätte sonach an
der Hand der modernen Logik der vollendeten Thalsachen wenigstens
uck personanr eine Anerkennung der Gewaltherrschaft gefolgert
werden können. Zu solch willkommener Schlußfolgerung dürfte ein
10 hoch gestellter 'Prälat wie Kardinal Neisach unter keinen Um-
ständen eine Handhabe bieten.
Drittens liegt gegenwärtig die Hälfte des Territoriums des
Bisthums Sabina noch innerhalb der acluellen Gränzen des Kirchen-
staates. Sollte nun das Exequatur für die Hälfte der ungetheilten
und untheilbaren Diöcese begehrt oder aber den Herren m Florenz
der Anschein geboten werden, als ob man ihnen eine Einflußnahme
auf die ganze Diöcese, also auch auf den ihrer Gewaltherrschaft
entrückten Theil derselben zugesteheu wollte?
Endlich liegt bereits ein maßgebender Präcedenzfall vor; Car-
dinal Andrea hat seiner Zeit ohne eingeholtes klueotuin rsZiurn
von der Diöcese Besitz ergriffen.
Nahm sonach Cardinal Neisach gerechter Weise Anstand, seine
Ernennungsbullen in Florenz zu unterbreiten, so fühlte er in seinem
oberhirtlichen Eifer doch den lebhaftesten Wunsch, in seiner neuen
Diöcese die wichtigsten Angelegenheiten persönlich zu ordnen. Zm
dem hatten seine Diöcesanen, die während der letzten 8 Jahre mehr
als stiefmütterlich bedacht waren, durch mehrere Deputationen das
ehrerbietige Verlangen an den Tag gelegt, „ihren Cardinal" zu
sehen. Cardinal Neisach that daher auf wiederholtes Andringen
den maßgebenden Persönlichkeiten in Magliano, seinem Bischofsitze,
der bereits im usurpirten Gebiete liegt, zu wissen, er sei gerne be-
reit zu kommen, wenn vorgesorgt würde, daß seine Pastoralreise
auf kein Hinderniß und keine Störung stoße. Auf dies hin schrieb
oer Sindaco von Magliano vorgeblich nach gepflogenem Einver-
nehmen mit Florenz, Seiner Eminenz in glatten Worten, es stünde
fernem Kommen kein Hinderuiß im Wege, falls er sich aller öffent-
lichen Schritte und Acte enthalten wolle. Das war aber eine um
fo unzureichendere Bürgschaft, als der Sindaco den Cardinalbischof
überdies nur als proclamirten Bischof betitelte. Sollte der Kirchen
Mrst iucognito durch seine Diöccse schleichen? Ist ein bischöfliches
Auftreten nickt schon seiner Natur nach unzertrennlich von öffent-
lichen Acten und Schritten?
Von diesen triftigen Bedenken des Cardinals unterrichtet, com-
mentlrtc der Sindaco seine obgedachte Erklärung vor dem General-
vicar und dem Seminarsrector von Magliano dahin: Se. Eminenz
mögen immerhin kommen; er hätte in seinen kirchlichen Functionen
volle Freiheit, innerhalb der Kirche könne er ungefährdet seines
hl. Amtes walten; nur lärmende Kundgebungen und Freudenbezeu-

gungen seitens des Volkes seien hintanzuhalten. Da letzteres sich
mehr als Sache der Communalbehörde selbst als des bischöfl. Gastes
darstellte, entschloß sich Cardinal Neisach zu seiner Pastoralreise und
nahm gleich im Vornherein die Rücksicht, daß er Samstag den 8. ds.
mit dem letzten Zuge in tiefer Nacht in seiner Residenz den Ein-
zug hielt. Am folgenden Sonntag wurde die Vorlesung der Bullen
und zwar nur in Abschrift, und aus weiterer Rücksicht statt in der
Cathedrale selbst nnr in der Sacristei vor dem versammelten Capitel
vorgenommen. Die Thüre stand offen, so daß sich ungehindert ein
Polrzeicommissär einschleichen konnte. Sodann assistirte Se. Eminenz
der Hochmesse u. s. w. Am Montag verlieh die Anwesenheit des
sehnsüchtig erwarteten Kirchenfürsten dem Patronatsfeste (S. Lorenzo)
erhöhten Glanz. Der Cardinal predigte als Bischof von der Kanzel
dem zahlreich versammelten Volke. Alles nahm ungestört und wür-
dig seinen Verlauf. Die folgenden Tage benützte Se. Eminenz, um
soviel als möglich einen Theil der Diöcese aus eigener Anschauung
kennen Zu lernen, zu Ausflügen. Auf den kommenden Sonntag
hakle er das Capitel von Magliano zur Tafel geladen. Doch es
sollte anders kommen; es sollte ohne den hohen Wirth servirt wer-
den und das köstliche Mahl zum größten Theil den braven Semi-
naristen einen guten Tag bereiten. Am Samstag nämlich celebrirte
der Cardinal in der alten Cathedrale, etliche Stunden vom gegen-
wärtigen Bischofssitze entfernt, und war für die Nacht zu Gast in
der unterwegs gelegenen Villa eines fürstlichen Freundes. Es war
bereits Abend, als eiligst ein Canonicus von Magliano mit der
Nachricht kam, es sei der könrgl. Procarator aus Nieti mi Rich-
tern und Schreibern in's Städtchen eingerückt und Militär folgte
nach.
Das waren jedenfalls bedenkliche Anzeichen. Der Cardinal
durfte sich unmöglich der Gefahr aussetzen, vor ein unkirchliches,
gänzlich incompetentes Tribunal gezogen zu werben. Jnsultirnng,
Jnternirung, Haft standen in weiterer Aussicht. Man weiß ja,
was in Italien „die freie Kirche im freien Staate" zu bedeuten hat.
Sonntag zu guter Morgenstunde stiegen der Cardinalbischof
und sein Generalvicar in den Neisewagen. Der Kutscher, der keine
andere Dircction erhalten hatte, trieb die Pferde Magliano zu.
Als er aber zum Scheideweg kam, da erhielt der Nosselenker zu
seiner Verwunderung plötzlich den Befehl: Rechts ab, nach Stimi-
gliano! An dieser Station angelangt, erfuhren die hohen Reisen-
den, daß der Frühtrain bereits abgegangen sei. Die Vorsicht rieth,
die etlichen Stunden bis zum nächsten Train statt im Orte selbst,
wohin möglicher Weise die eifrigen Herren aus Nieti bereits tele-
graphische Weisung mochten abgeschickt haben, in einem nahe ge
legenen Wirtschaftsgebäude zuzubringcn. Der Spätzug kam und
der Herr Cardinal langte in den Abendstunden wohlbehalten in
Rom an. Man denke sich nun die artige Verlegenheit und Be-
schämung der kgl. Functionäre aus Nieti. Die gestrengen Herren,
so wie die etlichen rothen Seelen in Magliano selbst, die, wie es
scheint, die Denuncianten gespielt hatten, glaubten jedenfalls ihrer
Sache ganz sicher zu fein. Sie hatten zuversichtlich auf die Rück-
kehr des Cardinal gerechnet — war ja doch ein besonderer Koch
angelangt und eine glänzende Tafel bestellt! Es hätte ein hübscher
Spectakel gegeben, die hirtenmuthige Eminenz zu fahndm! Und
hätte das Volk sich des geliebten Bischofs angenommen, so war ja
das Militär da! Der officiclle Aergcr ist begreiflicher Weise sehr
groß und die armen Canonici von Magliano waren die ersten, die
ihn zu fühlen bekamen. Einige derselben sind bereits vorgeforderl
und auf das Schärfste inquirirt worden, was die fremde Eminenz
in der Sacristei habe vorlesen lassen, was sie zum Volke gesprochen
u. s. w. Das sind natürlich lauter Staatsverbrechen in den Augen
der diensteifrigen Häscher und der rothherzigen Delatoren. Der
glatte Herr Sindaco verhält sich mäuschenstill. Das arme Volk,
das sich seinem Bischöfe mit Liebe und Ehrfurcht genaht, ist auf-
gebracht über das perfide Spiel. Wie wird die Geschichte enden?
Je nun, es ist einfach ein Scandal mehr im glorreichen König-
reich Italien!
k8. Soeben erfahre ich, daß gegen den Cardinal in aller Form
Rechtens der Prozeß anhängig gemacht worden und zwar wegen
„Usurpirung des Titels eines Bischofs von Sabina und Vornahme
kirchlicher Functionen!" Es ist wirklich köstlich; die U.urpaüons-
männer per eminentiam zeihen den rechtmäßigen Oberhirlen der
— Usurpation! Ueberdies mußte in Magliano bereits der bischöfl.
 
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