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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1868

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Nr. 142-154 (1. Dezember - 31. Dezember)
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Donnerstag und Samstag.

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, Jns.-Geb. 2 kr. die Spaltzeile.

143.

* Die Offenburger Versammlung.
Motto: Der kürzeste Weg zur Freiheit
geht durch ausgeleerte Taschen.
Wenn die Ochsen trotz Zuruf und Peitsche nicht mehr ziehen
wollen, so verändert der Fuhrmann die Richtung des Weges,
biegt links oder rechts etwas ab und erreicht dann auf einem
kleinen Umweg das Ziel. Aehnliches waren wir gewohnt beim
Nationalverein zu sehen, der von Zeit zu Zeit, wenn keuchende
Trabanten nicht mehr vorwärts zu bringen waren, sein Programm
änderte, sei es, daß er der stutzig gewordenen, ihm noch anhängen-
den Demokratie oder oaß er dem Berliner Junkerthum Concessio-
nen zu gewähren für gut sand. Solche Wandelungen und Caglio-
stro'sche Künste gelingen ein- oder zweimal; aber für öfter halten
sie nicht vor, der Pferdefuß wird endeckt. So entschlief denn
auch der Nationalverein selig, und wenn heute noch von ihm ein-
mal gesprochen wird, so geschieht es wie mit der Erinnerung an
den Hanswurst im Policinellikaften.
Die Weisen — nicht aus dem Morgenland, sondern aus
dem Badner Land — hatten es für gut befunden, einem Stern
zu folgen, der sie endlich nach Offenburg verbrachte. Sie erleich-
terten gegenseitig ihre Herzen, sintemalen ein abscheulicher Alp sie
insgesammt drückte. „Der Karren ist festgefahren, steckt im D. —
wie bringen wir ihn heraus?" Dies war die Frage, welche den
Scharfsinn herausforderte. Schüchtern wagte ein Männlein, wel-
ches noch nicht jeglichen Ministerialismus abstreifen wollte, darauf
hinzudeuten, ob es nicht versucht werden sollte, den bisherigen
Fuhrmann, der allerdings sich manche Ungeschicklichkeiten beim
Festfahren habe zu Schulden kommen lassen, beizubehalten. Be-
reits waren einige Andere geneigt, den Kopf nickend in Bewegung
zu setzen, da erhob sich ein zweiter Demosthenes, dessen Mund
schon allzu lange verschlossen war, um nicht bei dieser günstigen
Gelegenheit das Höchste zu leisten, was je in Baden geleistet wurde
— das Höchste in der Phrase. Wer so zu sprechen sich er-
kühnte, der muß einen Rückhalt*) haben, zumal seins Vergangen-
heit hiezu berechtigte. Und wer hätte weiter noch hieran zweifeln
können, als Ajax sich erhob und seine wuchtigen Keulenschläge im
Geiste eines Ulrich v. Hutten unbarmherzig gegen den ungeschick-
ten Leiter wie gegen das störrische Zugvieh losließ? „Sichtlich
ergriffen" verharrte sofort die Versammlung in minutenlanger
Pause, in der man den Herzschlag deutlich vernehmen konnte;
*) Merke Dir, Volk, das Wort „Rückhalt", es ist nicht unwahrscheinlich,
daß eine großartige Jntrigue abgespielt wird.

„Mannesmuth" sprühte aus den Augen - die heikle Vorfrage
war kühn gelöst.
Nun ging's an das neue Programm. Was ist beseligender
für ein gothaisches Herz, als ein Programm? Doch das Wort
ist veraltet, ohnmächtig, ja sogar verspottet. „P u n c 1 ati o nen "
— das ist der richtige Ausdruck für die in Scene zu setzende
neueste Aera, der Speck für die Mäuse, die Leimruthe für die
Gimpel; ein „Programm" von Offenburg hätte ja überdies trau-
rige Reminiscenzen aus den Jahren 1848 und 1849 geweckt.
Betrachten wir nun mit wenigen Strichen diese Punctaüonen,
die am drei Königstage von den Weisen dem Volke zur Anbetung
empfohlen werden sollen.
Natürlich muß das gothaifcheParaderoß, die deutsche Poli-
tik und das Heerwesen, im Vordergrund erscheinen. Aber
auf den ersten Blick gewahrt man nicht mehr das edle, feurige
Roß, sondern höchstens noch den Schimmel von Bronzell. Früher
war das Thier mit einer prachtvollen Schabaracke geziert, auf
dem dis Worte: „sofortiger Eintritt Badens in den nord-
deutschen Bund" mit goldener Schrift prangten. Jetzt liegt auf
ihm ein alter Bügel-Teppich, der den Waschweibern keine Dienste
mehr leisten kann, auf dem die verblaßte Inschrift: „möglichst
enger Anschluß" Badens an den norddeutschen Bund in einer
halbzerrissenen Ecke kaum sichtbar ist. Wie? mit einer solchen Ro-
zinante wollt Ihr den festsitzenden Karren aus dem Schlamme
herausziehen? Die Offenburger fühlen auch diese Unmöglichkeit,
darum rasch, rasch, Cagliostro, ein anderes Bild. Das muß Effect
machen, ja Effect machen, wenn sich die Weisen zuerst vor ihm auf die
Kniee stürzen, wenn die Preßulanen es auf den Spitzen ihrer
Lanzen tragen, wenn die Büreaukraten Lichtpunkte für sich in ihm
entdecken, westn der Troß der armen Sünder, denen das Weltge-
richt bereits auf dem Nacken sitzt, auf ihm den rettenden Engel
erblickt. Dieses Bild zeizt die Nackens in ihrer Hinfälligkeit,
sie soll aber „als ein gesundes Glied in den Körper des deutschen
Reichs (wie? mit oder ohne Oesterreich?) eingeführt werden" und
zwar „durch Ausi ildung der bad. Verfassung, Gesetzgebung und
Selbstverwaltung." Man traut kaum seinen Augen, wenn die-
selben Leute, die leit 9 Jahren den bad. Staat unbedingt regier-
ten, die mit ihren zahllosen Experimenten den deutschen „Muster-
staat" errichteten, die Jegliches, was von ihnen ausging, als die
Quintessenz aller Weisheit, alles Liberalismus, alles Patriotismus
kennzeichneten, die nur den Mund aufzuthun brauchten, um neue
Gesetze und Einrichtungen wie Pilze aus dem Boden schießen zu
lassen, die jede Opposition in der Politik, Religion und innern

Im Leben schweigen und sterbend vergeben.
Nach dem Spanischen des Fern an Caballero.
(Fortsetzung.)

„Nein, sie ist häßlich", bemerkte die Mutter, „sie läßt die Eorrectur so
scharf hervortreten. Zerreiße das Blatt und beschreibe morgen ein anderes
Blatt für die Großmutter."
„O nein!" wandte Letztere ein. „Gib mir das Blatt, mein Kind. Du
hast es für mich geschrieben, und es ist eine weise Lehre darin enthalten,
welche uns sagt, daß wir stets auf den Tod vorbereitet fein sollen, der uns
vor den höchsten Richter aller Seelen führt. Ich will es als ein Andenken
behalten. Die Schrift gefällt mir so wohl und dein Fleiß macht mir so viel
Freude", fügte sie, eine Anzahl Goldstücke vom Tische nehmend, hinzu, „daß
ich diese zwanzig Realen für dich bestimme, welche nach meinem Tode dein
fern sollen. Und damit man es wisse, werde ich diesen meinen Willen auf
das Blatt mederschreiben und die Goldstücke in dasselbe einwickeln."
r. n. Afffergrsts die Feder, mit der sie soeben die Quittung ausge-
stellt, hatte und setzte unter den am Ende des Blattes befindlichen Namen des
Kindes folgende Worte : „Mariana Perez hinterläßt ihm das Inliegende als
Andenken." Dann wickelte sie die Goldstücke in das Papier ein und legte
ZimE^nahm Geldkästchen, das sie verschloß und mit sich in ihr
der armen Frau der entsetzliche
Mord verüb dessen am Anfänge dieser Erzählung erwähnt worden ist, und
der der unglücklichen Tochter einen so namenlosen Schmerz bereitete, sowie
er auch tiefen Eindruck auf ihren Gatten machte, welcher damals vielleicht be-
reute, dem armen Opfer so ost das Leben verbittert zu haben.
Der Verlust, der aus diesem bedeutenden Diebstahl für die Familie ent-
sprang und der geheimmßvolle Schleier, von dem die Unthat aller Nachfor-
schungen ungeachtet bedeckt blieb, bestimmten sie, wie bereits erwähnt worden,
tue Stadt M— zu verlassen und nach einer enfernten Provinz zu gehen.

Zehn Jahre hatte Penalta mit seiner Familie an dem neuen Aufenthalts-
orte zugebracht, wo er von den Einwohnern sehr freundlich ausgenommen
worden war. Auch hatten sich seine Verhältnisse wesentlich gebessert, indem
er einen in Amerika verstorbenen Onkel beerbt, sich vom Militärdienst zurück-
gezogen und andere Unternehmungen mit großem Erfolge begonnen hatte. Er
war Alkalde gewesen, später Abgeordneter und war mit einem Worte eine
Notablität, das Muster eines modernen Bürgers geworden, der für einen
eifrigen Vertheidiger der Moralität und einen entschiedenen Gegner aller
Arten von Aberglauben galt, wozu er auch den regelmäßigen Besuch des
Gotteshauses zählte.
So wie alle edleren Gemüther sich überhaupt nie vom Unglück ganz
niederbeugen lassen, hatte auch Rosalie ihre Ruhe wiedergefunden und hätte
sogar glücklich im Kreise ihrer Kinder genannt werden können, wenn ihr nicht
von Seiten des Gatten, der durch seine gehobene Stellung, den Erfolg in
feinen Unternehmungen und die allgemeine Achtung, die er genoß, immer
stolzer und hochfahrender wurde, eine täglich zunehmende harte und verächtliche
Behandlung zu Theil geworden wäre.
Die Erziehung der Kinder, gegen die Rosalie mit ihrer Herzensgüte viel-
leicht eine zu große Nachsicht beobachtete, gab ihrem Gatten den Stoff zu
fortwährenden kränkenden Bemerkungen und die Veranlassung, den von ihm
angenommenen Ausdruck: „Du verstehst auch gar nichts!" täglich zu wieder-
holen. Oft weinte Rosalie, wenn sie diese kränkenden Worte hörte, aber
meistens ertrug sie dieselben mit Geduld und niemals gab sie eine Antwort
darauf.
Wie wahr ist es, daß die angeborene Tugend und ebenso die Unschuld
sich selbst nicht kennt! Die Zeit sollte jedoch Penalta lehren, wie viel eine
Frau versteht und thun kann, welche fähig ist, eine wahre Christin zu sein
und wie viel mehr die bescheidenen Tugenden werth sind als die heroischen.
Eines Tages, als Rosalie damit beschäftigt war, ihrer Tochter das zu
lehren, was den ganzen Schatz ihrer eigenen Kenntnisse ausmachte, trat der
jüngere ihrer beiden Söhne in das Zimmer.
(Schluß folgt.)
 
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