Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1868

DOI Kapitel:
Nr. 142-154 (1. Dezember - 31. Dezember)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43881#0581

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

^145.

Preis vierteljährl. 46 kr. ohne
Trägerlohn und Postausschlag.
, Jns.-Geb. 2 kr. die Spaltzeile.

Erscheint wöchentlich 3 Mal: Dienstag,
Donnerstag und Samstag.

Die neueste Wendung.
* Heidelberg, 5. Dec. Die Würfel sind gefallen, — Excel-
lenz Jolly versteht keinen Spaß: Herr Kiefer, der Kammer-
Ajax, ist gemaßregelt. Die Karlsruher Zeitung schreibt nämlich
in ihrem amtlichen Theil an der Spitze des Blattes: „In Gemäß-
heit Allerhöchster Entschließung Sr. Königl. Hoheit des Großher-
zogs aus Florenz vom 3. d. M.'s wurde der Justizministerialrath
Kiefer zur Direction der Verkehrsanstalten mit dem Titel Ge-
heimer Negierungsrath versetzt."
Herr Kiefer, Herr Kiefer! welche Ironie von Excellenz Jolly
über Ihre verkehrten Anstalten, als er Sie zu den Ver
kehrsanstalten maßregelte! Wer hätte das gedacht, daß Excellenz
Jolly, gestärkt durch den neben ihm seinen Schnurrbart martia-
lisch drehenden General Beyer, es wagen würde, die eleganteste
Zierpflanze und Kammerblüthe in dem Nichts büreaukratischer
Zahlentabellen vertrocknen zu lassen! Die Herren haben in
Offenburg scheint's gemeint, Exellenz werde sehr gemüthlich und
huldvoll die Lection hinnehmen, die sie ihm vorgetragen, und dann
ihnen zulieb ein ächt parlamentarisches Regime zur Geltung brin-
gen, wo sie wie unter dem veralteten Lamey („Velleitäten" !) über
alles Mögliche und noch einiges Andere, über die ganze Welt
und noch einige böhmische Dörfer ihren Salbader zum Besten
geben könnten, — aber sie haben sich bitter getäuscht. Hätten sie
ja doch wissen können, daß Exellenz Jolly früher selbst Professor,
wenn auch nur gehaltloser, war und folglich lieber selbst Lectionen
ertheilt, als daß er solche von Anderen hinnimmt! Jedermann ist
es jetzt klar, daß Herr Jolly, wofür Gott ihn segne, kein Hinein-
reden in sein Regiment duldet und auch vor der Maßregelung
berühmter Kammergrößen nicht zurückschreckt. Exellenz Jolly ge-
ruhen Bismarck und Preußen zu bewundern. 8uI1a potuit, oZo non
potsro d. h. Excellenz Sulla-Bismarck ist ja so famos mit seinen
Kammerschw— ja so, Kammerreonern wollten wir sagen, fertig ge-
worden, warum sollte dies für Exellenz Jolly nicht auch möglich
sein? Oder sollte am Ende doch ein Unterschied zwischen Excellenz
und Excellenz, ja auch ein Unterschied zwischen dem preußischen
und badischen Volke sein? Wir wollen sehen; vorderhand steht die
eine Thalsache fest, daß Excellenz Jolly Herrn Kiefer oder irgend
einen andern Offenburger unter Umständen auch nach Rastatt
schicken würde, wie einen von den „Ultramontanen" oder Demo-
kraten, was die Herren vielleicht nicht erwartet haben mochten.
Uns kann es gleichgültig sein; der Bote wenigstens hat nur einen
Wunsch bei dem ganzen Handel: er möchte ein Mciuslein sein,
um in das geheimste Gemach des Ministerialraths Turb a n heute
sich einzuschleichen und dort das Zähneklappern und Beinschlottern
dieses sonst ängstlichsten unter den Ministeriellsten der ministeriellen
Ministerialräthe in Augenschein zu nehmen, der sich ausnahms-
weise einmal hat verleiden lassen, als Ministerialrath-Volksvertre
1er in Offenburg ein wenig liberal zu schillern. Es war ja nicht
so bös gemeint, — wer hätte auch das denken sollen, daß Excel-
lenz von seinen Ministerialräthen keine Weisungen annimmt?
Sehen Sie, lieber Turban, das kommt davon, „vun dem ver-
bottene Feuermache" nämlich, um mit Nadler zu reden, — hätten
Sie dem Boten gefolgt , so wären Sie daheim geblieben, statt in
dieser rauhen Jahreszeit nach Offenburg zu reisen, da kann ja
Fieberfrost mit Zittern und Zähneklappern nicht ausbleiben. Das
Damoklesschwert hängt über Ihnen, lieber Herr, und wenn Sie
so fortmachen, garantirt Ihnen der Bote keinen Knopf für Ihren
Sitz im Rache des Ministers, sondern kann sich lebhaft vorstellen,
wie die Thüre des Paradieses demnächst sich mit Vehemenz öffnet
und Sie mit der Geschwindigkeit eines Moccakäfers herausfliegen,
hinter Ihnen nur ein kleines dürres Männchen, aber allzu nahe dem
schöneren Theil Ihres Körpers, die Thüre rasch wieder zuschlagend.
Auch Du, Brutus, ruft der draußen harrende Ajax, auch Du —
an die Luft gefetzt!
Doch zurück zur Sache. Die Karlsruher Zeitung veröffent-
licht heute em „vertrauliches Rundschreiben", welches mit dem
Programm der Offenburger an die Mehrzahl der Abgeordneten
versendet wurde. Dasselbe lautet:
Vertrauliches Rundschreiben.
Am Sonntag den 8. Nov. l. I. hat in Offenburg eine Besprechung in
der Absicht stattgesunden, vorerst in engerem vertrauten Kreise die Meinungen
über die Lage des Landes und die liberalen Interessen auszutauschen.

Anwesend waren: Rssmtschtl, Eckhard, Fauler, Herbes, Heßling, Holtzmann
Riefer, Rufet, Lamey, Paravieini, Roder, 5eiz, Tritfchelter, Turban. Verhin-
dert waren: Fässer, Rir8ner, tztrohmeyer, Mundt von Heidelberg, Pflüger
von Lörrach.
Wir beehren uns, Ihnen im Auftrag der Versammelten das Ergebniß
dbeser Verhandlungen — welche, als Vorarbeit zu spätern Feststellungen, in
einem kleinern Kreise stattfinden mußten — zur Kenntniß und gefälligen Aeu-
herung mitzutheilen.
Allseitig wurde anerkannt, daß die liberale Partei in Baden seit der letz-
ten Kammersaison in eine gefahrvolle Lage eingetreten, deren Bedeutung für
die Geschicke des Landes in ernste Erwägung zu ziehen sei. Die ultramontane
Partei erscheint nicht als die größte Gefahr. Immerhin entwickelte diese, durch
ihre Organisation starke Parte: bei den Wahlen zum Zollparlament eine nicht
zu unterschätzende Macht, und diese Thatsache, sowie die sichere Aussicht, daß
sie im nächsten Jahr vor dem allgemeinen Concil alle ihre Kräfte zusammen-
raffen und anspannen werde, sind heilsame Mahnungen für die liberale Par-
tei, sich ebenfalls zusammen und in einheitlicher Weise zum Kampf zu rüsten.
. Schlimmer ist, daß die Liberalen in Folge der bedeutenden Lasten, welche
eine patriotische und opferwillige Haltung der Kammermehrheit für die Sache
Deutschlands dem badischen Volk auferlegte, durch Mißverständnisse und übel-
wollende Deutung sich vielmehr einer abgeneigten Stimmung der Bevölkerung
ausgesetzt sehen.
Endlich darf nicht verhehlt bleiben, daß in der gleichen Zeit, in der man
mit hingebender Bereitwilligkeit alle Kräfte für ein gemeinsames hohes Ziel
einsetzte, eine diese Gesinnung wenig beachtende Haltung der Regierung'zum
Nachtheil des Ansehens der Volksvertretung, sich mehrfach bemerklich machte.
Es darf in dieser Beziehung daran erinnert werden, wie wenig es dem Geist
eines wahrhaft konstitutionellen Verfahrens entsprach, daß in den letzten Tagen
der Landtags-Sitzung eine Neubildung des Ministeriums vollzogen wurde,
ohne daß man es für angemessen erachtet hätte, mit der die Mehrheit der
Volksvertretung in sich schließenden liberalen Partei irgendwie in verständigendes
Benehmen zu treten.
So ist es denn erklärlich, daß auch das frühere Vertrauensverhältniß
zwischen der liberalen Partei und der Regierung heute nicht mehr besteht. Das
Ministerium selbst hat sich seinerseits von der Verbindung mit der Kammer
zurückgezogen, wenn auch die äußeren constitutionellen Formen gewahrt werden.
In einem Zustand, der in solcher Weise den beseelenden und gegenseitig kräf-
tigenden Geist eines innigen und echt constitutionellen Verhältnisses vermissen
läßt, liegt aber — selbst wenn gut verwaltet wird — eine ernste Gefahr für
die liberale Richtung, welche seither in der Regierung eine Vertretrng ihrer
Anschauungen zu finden gewohnt war und demgemäß auch im Volk als
Partei der Regierung angesehen wurde. Die Fortdauer dieses Zu-
standes müßte den öffentlichen Geist einfchläfern oder auf irrige Bahnen lenken,
den Charakter entnerven und den Verfall der liberalen Partei nach sich ziehen,
um in dieser Weise entweder für ein rein persönliches Regiment oder für die
ultramontane Partei die Wege zu ebnen.
Die Anwesenden haben daher nur noch die Wahl zwischen zwei Dingen
vor sich gesehen:
Entweder Verzicht auf eine liberale Partei und eine liberale Politik
für die nächsten Jahre und Rücktritt aus der öffentlichen Wirksamkeit — oder
Wiederaufrichtung der liberalen Partei zu selbständiger und thatkräf-
tiger Wirksamkeit.
Im Hinblick auf die großen liberalen Interessen, welche nicht nur für
Baden, sondern auch für Deutschland zu vertheidigen find, und mit Rücksicht
auf ihre politische Ehre haben sie sich für das Letztere entschieden.
Die hiezu dienlichen Mittel sind sorgfältig erwogen worden, doch beschränkte
man sich vorerst auf Vorarbeiten zur späteren Feststellung eines Parteipro-
gramms, dessen endgiltige Beschießung einer größeren Versammlung liberaler
Kammermitglieder und anderer einflußreicher Liberaler überlassen werden soll.
Diese größere Versammlung soll nach Ablauf einiger Zeit, innerhalb deren der
Inhalt der am 8. November zu Offenburg ausgeführten Vorarbeiten in Er-
wägung genommen werden kann, berufen werden.
Die Beilage enthält eine Zusammenstellung der in Betracht gezogenen
Fragen, welche fast sämmtlich zu einem fast allgemeinen Einverständniß geführt
haben.
Da auch in der Presse eine unklare Haltung aus den obigen Beziehungen
hervorgegangen ist und die offiziösen Federn keineswegs immer den liberalen
Interessen zu dienen bestrebt sind, so soll vorerst namentlich in der unabhängi-
gen „Konstanzer Zeitung" die liberale Meinung entschieden vertreten, aber auch
auf die übrige Presse in liberalem Geiste eingewirkt, die Bürgerabende und
liberale Bürgervereine mit Eifer gepflegt und insbesondere in lebhafterer Weise
als bisher die direkte Verbindung mit dem Volk gesucht und unterhalten werden.
 
Annotationen