Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1868

DOI Kapitel:
Nr. 40-51 (2. April - 30. April)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43881#0195

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
49.Samstag den 25. April 1868.


* Prozeß Lindau.
(Nach stenographischer Aufzeichnung).
. (Fortsetzung.)
Lindau fährt fort: Mein Brief ist angeklagt, „sowohl Er-
dichtungen und Entstellungen der Wahrheit, als auch grobe Schmäh-
ungen" zu enthalten; es wird deßhalb vor Allem meine Ausgabe
sein müssen, die Wahrheit des Inhalts des Briefes zu beweisen.
Der erste Satz enthält nichts, als eine anerkannte Thatsache
und ich werde deßhalb die Wahrheit nicht weiter zu beweisen haben.
Was den zweiten Satz betrifft, so habe ich die Motive die mich
zu meinem Sendschreiben nöthigten, schon vorgetragen, ich kann
also über diesen Passus auch weg gehen. Ich mache jedoch darauf
aufmerksam, daß die Zeit zu einer Besprechung mit meinen Wählern
mich drängte, daß ich aber die Berufung an das Staatsministerium
deßhalb für zwecklos hielt, weil sie an dieselbe Person gerichtet ge-
wesen wäre; Herr Jolly ist nämlich Minister, des Innern und
Präsident des Großh. Staatsministeriums zugleich.
Es kommt nun der Passus: „dem öffentlichen Urtheile darf
ich vor allem nicht vorenthalten, wie es in Baden für dieselben
Verhältnisse zweierlei Maß in Anwendung der Gesetze gibt." Die-
ser Passus ist von Seiten der Staatsanwaltschaft incriminirt, weil
ich damit angeblich behaupte, es existire Parteilichkeit in unserem
Lande und der Herr Staatsanwalt hat noch beigefügt, ich hätte
mit diesem Ausdruck sämmtliche Behörden des Landes der
Parteilichkeit bezichtigt. Er sagte ferner, ich habe in meinem Briefe
den Beweis des „zweierlei Maßes" zu liefern versucht, das sei mir
aber nicht gelungen, ick will deßhalb den versuchten Beweis noch
einmal vorlesen:
(Der vierte Absatz wird verlesen.)
Ich habe versucht, darzulegen, daß mir gegenüber zweierlei
Maß beobachtet wurde in Ausübung des Vereins- und Versamm-
lungsrechtes; man findet diese Behauptung strafbar, indessen kann
jedem unbefangen Urtheilenoen die Thatsache nicht fremd sein, daß
in unserm ganzen politischen Leben zweierlei Maß sich kund gibt.
Ich bin in der Lage, das Maß zu kennen, das Beamten gegen-
über in Anwendung gebracht wird; es würde mich aber zu weit
führen, wollte ich hier das ganze System vorführen, welches bei
Beförderungen, Anstellungen, Versetzungen und Zurruhesetzungen
beobachtet wird. Ich berufe mich auf die Notorietät. Nur aus
der nächsten Nähe will ich mich auf ein paar Fälle beschränken.
Ich könnte Ihnen hier Namen nennen, wo Beamte gegen ihren
Willen versetzt worden sind, indem man ihnen einfach sagte, du
darfst nicht dableiben, die Luft ist zu katholisch für dich! Ich könnte
Ihnen sagen, wie man einem Beamten gegenüber das zweierlei
Maß anwendete, der sogar mit Aufopferung seines Lebens eine
Pflicht erfüllte, zu deren Erfüllung trotz öffentlicher Aufforderung
sich gar nicht einmal ein Beamter meldete. Diesem Beamten wurde
das zweierlei Maß, nachdem seine Thätigkeit beendigt war, in
der Weise zu Theil, daß von den gerechten Ansprüchen seiner vor-
gesetzten Dienstbehörde nicht allein kein einziger für ihn erreicht
wurde, sondern daß ihm dann noch obendrein Abzüge an seinen
baaren Auslagen, die er bei dieser Pflichterfüllung hatte, gemacht
wurden, während andere bei derselben Gelegenheit dccorirt und remu-
nerirt worden sind. Ich will noch auf ein zweierlei Maß in unserm
Lande aufmerksam machen, und muß dabei auf das Jahr 1866
zurückgehen. Ich habe gelesen, daß in diesem Jahre nach dem
Kriege ein Staatsanwalt in Offenburg sich verpflichtet hielt, ein
armes Bäuerlein in Anklagestand zu versetzen, weil er in einem
einigermaßen betrunkenen Zustande das Wort „Ketzer" entfallen
ließ. Ich billige diesen Ausdruck nicht, und finde die Anklage
recht; als dann aber zur selben Zeit die kathol. Bevölkerung in
Baden Anklage erheben wollte gegen schwere Beschuldigungen, die
den Katholiken in öffentlichen Amtslättern gemacht wurden, als hätten
sie die Absicht, ihren protestantischen Mitbürgern die Hälse abzu-
schneiden und die Bäuche aufzuschlitzen, als sogar die katholische
Kirchenautorität das Verlangen kund gegeben, ihnen Gerechtigkeit
zu Theil werden zu lassen, da ist es ihnen rein abgeschlagen wor-
den, ihre Ehre gerettet zu sehen, obschon sie sich bis an das
Großh. Staatsministerium gewendet haben.

Ich will nicht weiter fortfahren in dem Beweise des zweierlei
Maßes, ich glaube genug bewiesen zu haben, allein wenn ich be-
haupte, daß bei denselben Verhältnissen mit zweierlei Maß im Lande
gemessen wird, so ist dies nach meiner Ansicht kein strafbarer Vor-
wurf. Ich finde es im Gegentheile, wenn auch nicht recht, doch
mindestens begreiflich daß unsere Regierung, die einen politischen
Standpunkt einnimmt, welchen ich nun einmal nicht als einen über
den Parteien stehenden bezeichnen kann, von diesem Standpunkte
aus ihren politischen Freunden factisch mehr Freiheit zugesteht, als
ihren Gegnern; oder glaubt der Herr Staatsanwalt vielleicht, daß
ich von einem Ministerium Jolly wohl dieselbe Gunst beanspruchen
könnte, wie mein College Bluntschli? Herr Jolly würde mit Hin-
weisung auf eben sein System dies als etwas Selbstverständliches
erklären. Er würde mir vielleicht vorhalten, daß eine Verwaltungs-
behörde in einer Stadt etwas bewilligen kann, was sie in einer
andern verbieten muß, allein, wenn ich diese Mißverhältnisse dem
„öffentlichen Urtheile" vorsühre, so kann dies kein strafbarer Vor-
wurf von meiner Seite sein einem Systeme gegenüber, welches die
Parteifahne aufgepflanzt hat.
Ich kehre zu dem Inhalt meines Briefes zurück, ich habe ge-
sagt : „Mir dagegen verbieten Sie eine Besprechung mit meinen
Wählern re." (wird verlesen).
Diese Stelle ist nicht speciell angeklagt und ich finde das von
Seiten der Anklage einigermaßen practisch, daß dieselbe über die
darin enthaltene Begründung, daß ich die dem Herrn Staats-
minister Jolly angehörige Partei als „Regierungspartei" bezeichnen
müsse, ziemlich rasch weggegangen ist, dagegen muß ich etwas länger
bei derselben verweilen. In der Karlsr. Ztg. vom 3. Januar d. I.
ist nämlich eine „öffentliche Erklärung" enthalten, datirt Karsruhe
den 20. Dezember 1867, unterzeichnet von allen regierungsfreund-
lichen Abgeordneten der 1. u. 2. Kammer, worunter auch der
Herr Staatsminister Jolly seinen Namen gesetzt hat. In dieser
dieser „öffentlichen Erklärung," die aber nichts weiter, als ein Auf-
ruf zu den bevorstehenden Zollparlamentswahlen war, ist gesagt,
welche Gesinnungen „nach Ansicht der Unterzeichner" die Männer
haben müsssn, die ins Zollparlament gewählt werden dürften, die
dahin einzig und allein taugten. Ich will auf diesen Aufruf nicht
näher eingehen — der ganze Inhalt dieser „Erklärung" ist ein
Parteiprogramm, das die Thatsache bewiesen hat, daß diese Partei
in den Wahlen ihr Programm nicht durchbringen konnte, daß
Männer gewählt wurden, welche andere Gesinnungen repräsentiren,
welche einer ganz andern Partei angehören, als diejenigen, welche
dasProgramm unterzeichnet haben. Die Thatsache steht also fest und ich
weise speciell darauf hin, daß Herr Staatsminister Jolly in dieser Er-
klärung sich als Anhänger einer Partei bezeichnete, daß er sich mit
einer Partei indentifizirt hat, und cs ist mir deßhalb auch erlaubt,
seine Anhänger im Volke die „Regierungspartei" zu nennen, nach-
dem Herr Jolly zugleich als Minister und als Parteimann hier
ausgetreten ist.
Ich gehe über auf die Behauptung von „Befürchtungen von
Ruhestörungen." Ich bin inzwischen in Bühl gewesen, aufgefor-
dert von einigen Freunden, in Bühl zu erscheinen, auch wenn ich
nicht über politische Angelegenheiten werde sprechen dürfen! Eine
sehr große Anzahl von Freunden war dabei erschienen, ich habe
in Bühl die lebhaftesten Sympathien gefunden und habe alle Mühe
gehabt, mir keine weitgehenden Ovationen bereiten zu lassen, die
möglicherweise als „Ruhestörung" hätten hingestellt werden können.
Ich berufe mich für diese Thatsache auf eine Nummer des Pfälzer
Boten, welche ich zu den Akten gegeben habe. Thatsache ist, daß
bei dieser Versammlung m Bühl nicht im geringsten eine Spur
von Ruhestörung sich kund gab! Eine gewisse Ruhestörung mag
wohl im Herzen des Herrn Bürgermeisters uno eine gewisse „Be-
fürchtung" im Herzen des Herrn Amtmanns von Bühl sich kuno ge-
geben haben, den Mann in ihrer Mitte erscheinen zu sehen, welcher
oie Zustimmung des Volkes in so großartiger Weise erlangt hat,
während sie die Sympathien nicht besitzen, dieselben vielmehr durch
fortgesetztes Verletzen der Gewissensfreiheit besonders auf dem Ge-
biete der Schule verscherzt haben-— —
Vorsitzender: Das darf ich nicht gestatten.
Lindau: Ich könnte weiter beweisen, daß von solch ein-
flußreichen Leuten in Bühl gesagt wurde, wir werden alles Mög-
liche aufbieten, daß „der Lindau" nicht hierherkommt. Die Thal-
 
Annotationen