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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1868

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Nr. 142-154 (1. Dezember - 31. Dezember)
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M 154, Donnerstag den 31. December 1868.


* „Woher die Opposition?"
So wäre denn endlich die pompös angekündigte Schrift des großen
Lamey erschienen; am Vorabend des Weinachtsfestes erschienen,—
was soll sie anders bedeuten, als ein Christkindle für das badische
Volk? Aber wir fürchten, daß dieses Geschenk wie eine Puppe,
die einem Erwachsenen dargereicht wird, bei Seite geschoben wer-
den dürfte, sintemalen die reichlich ausgegossene Phrase als ver-
altet gilt, und als des Pudels Kern, der bereits aus den Mit-
teilungen der Constanzer Zeitung und der Landesbase sattsam ge-
schöpft werden konnte, nichts Anderes ist, als die Mißstimmung
einiger früher wohlfeil populär gewordener Männer über ent-
gangene Ministerportefeuilles.
Als wir die Broschüre aus der Hand legten, drangen sich uns
unwillkührlich einige Gedanken auf, die wir hier unoerhüllt aus-
sprechen wollen. Zwar wird man uns vielleicht den Vorwurf der
Unklugheit machen, weil es paffend sei, sich in dem Streit zweier
Gegner passiv zu verhalten oder gar den einen gegen den andern
zu unterstützen. Solche Klugheit überlassen wir andern Leuten;
wir kennen nur eine Pflicht, die Wahrheit zu sagen, wie sie aus
unserer innersten Ueberzeugung stammt und mit dieser Wahrheit
unser Volk zu belehren und ihm zu zeigen, wo das Recht und die
Ehre zu finden ist.
Man hat das churhessische Volk nicht mit Unrecht darüber
gepriesen und bewundert, day es trotz der langen Mißregierungen
gleichwohl einen gesunden Kern behalten, daß es ein tiefes Rechts-
bewußtsein stets behauptet hat und daß es sich niemals zum Werk-
zeug eines absolutistischen Regiments herabwürdigen ließ. Auch
dem badischen Volke kann man — freilich in einer andern Weise
— eine gleiche Anerkennung nicht versagen. Was ist nicht blos
seit mehr denn 20 Jahren an ihm vorübergezogen und in was
wurde es meist gegen seinen Willen hineingestürzt? Wie ist es
nicht von einem Extrem in's andere plötzlich versetzt worden? Wel-
chen Schwindel hat man getrieben mit Phrasen und wie matt
waren die Thaten! Wie mannigfaltig und wie kostspielig waren
die Experimente, die im Staat, in der Kirche, in der Gemeinde,
ja selbst bis in's Innerste der Familie vorgenommen wurden!
Und all' dies nicht selten bei Störung des Handels und Verkehrs,
bei Mißerndten, beim Krieg, bei oder nach einer Revolution!
Wenn sich die „großen Staatsmänner", die sechs lange Jahre
unscrn Staat regiert haben, in der neuesten Broschüre bis zur
Nacktheit enthüllen und in ihrem totalen Rechts vor aller Welt
dastehen, so müssen wir vor dem badischen Volk Respect bekom-
men, daß es noch zäh genug ist und noch hinlängliche Kraft be-
sitzt, um nicht den Staat aus Fug und Band gehen zu lassen.
War nicht seiue ourch und durch großdeulsche Haltung im Jahre
1866 der sicherste Beweis, daß es im Föderativband, welches das
ganze Vaterland umschlingen soll, seine badische Individualität
am besten bewahren könne?
Und welche großartige Bescheidenheit gehört dazu, jetzt von
Seite jener Helden, die Baden mit ihren „Velleitäten" so arg
heimgesucht haben, vor das Volk zu treten und ihm die Schmer-
zen vorzumalen, die sie bei dem Tritt auf ihre Hühneraugen
augenblicklich zu dulden haben! Sie wagen es sogar ihre Ehre
mit der „Ehre des Volkes" zu indentisieiren, als wenn nicht das
Volk beim dreimaligen Zollparlaments-Durchfall des Hrn. Lamey
und beim einmaligen der HH. Kiefer und Eckhard deutlich genug
ausgesprochen hätte, was es von diesen Leuten hält.
Wahrhaft erheiternd ist es aber, in dem Gebühren der Offen-
burger die längst von uns behauptete Thatsache bestätigt zu finden,
daß diese Leute nicht eine politische Partei, sondern eine erbärm-
liche Clique oder besser gesagt, eine enge Cameraderie bil-
den. Nach der gewaltigen Katastrophe von 1866 konnten natur-
gemäß nur zwei große politische Parteien bestehen und dieselben
mußten, mit Beiseitelassen alles Unwesentlichen, so lange als feste
Phalanx bestehen, bis die eine oder andere Richtung vollständig
siegreich aus dem Kampfe treten konnte. „Großpreußen" war
hier, „ganz Deutschland" war dort der Schlachtruf. Dem ersteren
folgten seilher die badische Regierung und die Offenburger. Frei-
lich wird mit Emphase Vieles von den „Opfern" gefaselt, die für
das „Ziel" (nämlich die Verpreußung) gebracht wurden. Doch
halt: wer hat denn diese Opfer gebracht und noch zu bringen?

Etwa die großen Selbstberäucherer oder das Volk? Wie viel
lastet denn von den erhöhten Steuern und von dem langjährigen
Militärzwang auf den Schultern der Offenburger? Haben nicht
vielmehr alle neue Organisationen dazu beigetragen, die Masse
der Staatsdiener (die Creme der Offenburger) zu vermehren, ihre
Einkünfte zu erhöhen und dem Pensionsetat eine beträchtliche An-
zahl neuer Candidaten zuzuführcn? Wie dürfen aber dieselben
Leute von Opfern renommiren, die nicht sie, sondern das Volk
bringt, wenn sie für ihre Personen nicht einmal so viel Opfer-
freudigkeit besitzen, um gegenüber dem „großen Ziele" auch ihre
verletzte Eitelkeit zu unterdrücken? Ja wahrhaftig das ist keine
Partei, sondern nur eine armselige Clique, die, weil der Banner-
träger einen schiefen Tritt macht, dec Fahne zu folgen sich
weigert.
Nun aber noch einige besondere Worte an Sie, Hr. Lamey,
den Verfasser der Broschüre. Sie dienten in der entscheidenden
Stunde, als es sich um die Zertrümmerung Les deutschen Bundes
handelte, der großdeutschen Sache. Die Pensionicung Mathy's,
die Versetzung Jolly's sprachen deutlich für Ihre Richtung. Hof-
fentlich geschah dies aus Ueberzeugung, nicht aus Devotion gegen
die damalige öffentliche Meinung in Baden. Mit dem Siege der
Preußen verloren sie Ihre Minifterstelle und Hr. Jolly wurde
Ihr Nachfolger. Dies war ganz in der Ordnung, den da-
maligen Verhältnissen entsprechend. Aber nicht in der Ord-
nung war es oder wenigstens einem politischen Charakter
schnurstracks zuwider, sofort aus einem Anhänger der großdeutschen
Richtung ein blinder Anbeter des preußischen Erfolges zu werden.
Wie schnell war Ihre sittliche Entrüstung über die preußische
Vergewaltigung entflogen, wie schaal war Ihr Witz, daß die dem
Volke angefounenen Opfer leicht gebracht werden könnten, wenn
Jeder statt 10 Schoppen Bier nur deren 9 täglich trinken wolle;
wie kleinlich war Ihr Benehmen in der Kammer gegen den Abg.
Lindau, dem Sie, was Charakter, Muth und Hingebung für seine
Ueberzeugung betrifft, nicht die Schuhriemen aufzulösen vermögen.
Haben Sie etwa damit Ihre staatsmännische Befähigung nachge-
wiesen? Und wie ist es denn mit Ihrem eigenen Opfermuth be-
schaffen, nachdem Sie aus den Händen des Hrn. Jolly eine Pen-
sion von 4000 fl. angenommen haben, während Ihnen nach dem
Staatsdienergesetz höchstens 2500 fl. gebührten? Ja, Ueberläufer
mit sieben Meilenstiefeln aus dem großdeutschen Lager in's preu-
ßische, dreimal durchgefallener Zollparlamentscandidat, Opferlamm
von 4000 fl. — Sie haben kein Recht dazu, die Ehre des bad.
Volkes als mit Ihrer Person zusammenhängend zu engaglren.
Es wäre dem Lamey'schen Geistesproouct zu viel Ehre er-
zeigt, wollten wir die einzelnen Sätze näher beleuchten. Nur bei
einigen Punkten glauben wir ein wenig verweilen zu müssen.
Die Broschüre beschäftigt sich ganz besonders mit dem nach
Mathy's Tod erngetretenen Ministerwechsel, sie nennt ihn eine
„Umwälzung des Ministeriums", und fügt daun eine Belehrung
über den constitutionellen Brauch bei einer Neubildung hinzu.
Sie vergißt aber dabei, daß Hr. Lamey, als er im Jahre 1860
als Gründer der neuen Aera zur Bildung des Ministeriums
schritt, dasselbe nicht mit den Männern der damaligen Majorität
der Kammer besetzte; denn an der Spitze dieser Majorität befan-
den sich die HH. Schaafs, Hägelin, Fingado u. a. m.; sie vergißt
ferner, daß Hr. Stabel nichts weniger, als ein der freisinnigen
Richtung huldigender Mann galt; sie vergißt endlich, daß Hr.
Regenauer bei der Neubildung beibehalten wurde, obgleich seine
Gegner ihn reacnonärer und ultramontaner Gesinnungen beschul-
digten.
Auf Kosten der Lachmuskeln beschreibt dann die Broschüre die
Begebenheiten rn der zweiten Kammer vor und bei der Veröffent-
lichung des Ministerwechsels. „Ja die Kammer schwieg (wird mit
Pathos ausgerufen), so still und lautlos mar sie, daß Hr. Staats-
minister Jolly, wenn er anders dafür einen Sinn kn sitzt, darin die
lauteste (!) Stimme der Unzufriedenheit und Mißbilligung hat hören
müssen." Wer bricht nicht rn ein schallendes Hohngelächter ob
solcher beinahe nach Blödsinn riechenden Tirade aus?
Ebenso erheiternd ist die jetzt erstmals gehörte Neuigkeit, daß
die neuen Minister den für die Schwarzen so günstigen Ausfall der
Zollparlamentswahlen veranlaßt hätten. Ei, ei, rst das nicht höchst
undankbar, nachdem den Patrioten von Offenburg durch Excellenz
 
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