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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1868

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Nr. 142-154 (1. Dezember - 31. Dezember)
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1868.

Samstag den 19. December

^L150.

* Die öffentliche Meinung in Baden.
Aus dem Munde eines jeden Fremden kann man jetzt die
Frage vernehmen: wohin neigt sich denn die öffentliche Meinung
in Baden? Will der Angeredete der Wahrheit treu bleiben, so
muß er bekennen, daß er diese Frage nicht direkt zu beantworten
vermag. Ja, es mag unerhört sein, daß in dem gepriesenen
Musterstaal, daß in dem Lande, worin ja die Selbstverwaltung
am schönsten blüht, worin die Bürgerabende und unzählige andere
Versammlungen des Gothathums den Volkswillen kund geben, daß
in dem diesseits des Oceans glücklichst regierten Gemeinwesen
gleichwohl es einer sublimen Untersuchung bedarf, wohin das Züng^
lein der Waage sich neigt, ob nach Offenburg, ob nach Carlsruhe
und Berlin, ob nach anderer Seite.
„Aber", höre ich einwenden, „die Presse kann doch hierüber
Ausschluß geben." Daß Gott erbarm — bie Presse. Mit dem
demüthigsten Blicke nach den Machthabern, mit der Hand am
Geldbeutel fragt sie die Sterne, wer als Sieger aus dem Kampfe
hervorgehen wird — eingedenk der Lorbeeren des Erfolges, wie
sie einem Bismarck zugefallen sind.
„Nun, es gibt doch Parteien in Baden — welche ist die
stärkere?" Auch diese Frage ist nicht leicht zu beantworten, denn
nachdem Weckbäck die ultramontane und die demokratische Partei
so und so oft sterben ließ und mit feuchten Augen die Trauer-
rede, versteht sich nicht ohne Stolgebühren, gehalten hat, gibt es
keine Parteien mehr, sondern nur noch Cliquen, die sich lediglich
dadurch unterscheiden, daß sie die Melodie: weß'Brod ich eß, deß'
Lied ich sing, mehr oder minder stark zu pfeifen gewohnt sind.
„So sagen Sie mir denn, was in den gebildeten Kreisen
gesprochen wird." Recht so und ich führe den Fremdling zum
Glase Bier in's Museum. Da hört er denn am runden Tisch
einen kortwsiras auf Hrn. Jolly angestimmten Lobgesang; doch
neben am ovalen Tisch wechselt Einer einen geheimen Händedruck
mit dem Bluutschlianer Z. und nun gar im andern Zimmer wird
Beust als der Retter Deutschlands begrüßt. Da lob' ich mir doch
die Amtsstädtlein, wo der Oberamtmann den Honoratioren in der
Post präsidirt und präludirt und die Excommunication über Jeden
verhängt, der die Landesbase nicht als Evangelium verehrt. Ein
Staberl kann's kaum besser machen.
„Wohlan denn, so lassen Sie mich wissen, was die Volks-
vertretung will." Ja, ja — da liegt ja gerade der Haas' im
Pfeffer. Offenburg und Karlsruhe, Bettelpreußen erster und zweiter
Klasse, Büreaukraten reinsten und geläuterten Wassers, europäische
Größen und Kirchen)hurrwSpatzen und nebenbei noch Privilegirte,
die durch Abwesenheit glänzen. Was können Sie aus diesem Ge-
misch machen?
Verächtlich wendet sich nach solcher Aufklärung der Fremde
ab; nur — einzelne abgerissene Worte kann man vernehmen:
„Musterstaat diesseits des Oeeans", „Weckbäck lügt", „Ultramon-
tane nicht todt", „Offenburger sagen's ja selbst", „eine nickt zu
unterschätzende Macht", „starke Partei", „muß wissen, was die
will." Der Bote erfährt vielleicht Näheres über diese Untersuchung
und wird's dann berichten.

Süddeutschland.
* Heidelberg, 15. Dec. Wir begreifen nicht, wie die Offen-
burger Excellenz Jolly einen Vorwurf machen können, als sei er
nicht energisch genug gegen die Kirchengewalt. Wir waren immer
der Meinung, daß seine „stramme" Energie in diesem Punkke
nichts zu wünschen übrig lasse. Die Herren sollten doch auch
bedenken, daß es noch Gerichte im badischen Lande gibt und daß
Herr Jolly, Excellenz, obgleich selbst so zu sagen ein Jurist, die
meisten seiner Prozesse wegen katholischer Stiftungen bereits ver-
loren hat und höchst wahrscheinlich noch mehrere verlieren wird,
wenn wir noch einige Zeit das Glück haben, seine unübertreffliche
Musterverwaltung fortgenießen zu dürfen. Ein neues Beispiel
„strammen" Vorschreitens haben wir heute zu verzeichnen. Wie
wir vernehmen, erklärte Excellenz drei von Geistlichen gestiftete
theologische Stipendien in Freiburg, welche also kirchlichen Be-
dürfnissen gewidmet und somit nach § 10 des Gesetzes vom 9.
Oct. 1860 kirchliche Fonds sind, für weltliche und unterstellte sie

dem Verwaltungshof, während sie bis jetzt vom Oberstiftungsrath
verwaltet wurden; weil
„das gesammte Unterrichtswesen einen Theil des Staats-
zwecks ausmache"!!
Aber noch mehr. Entgegen dem Z 21 der Verordnung vom
20. Nov. 1861, wornach der kirchliche Besitzstand der Stiftungen
vom Ministerium nicht einseitig, sondern erst auf richterliches Ur-
theil geändert werden darf und, gegen alle Regeln der Courtoisie
und Loyalität behielr Herr Jolly die vom Ordinariat ihm zur
Einsicht über die kirchliche Natur dieser Fonds mitgetheilten
Akten des kath. Oberstiftungsrathes zurück. Das Ordinariat re-
monstrirte dagegen, indem es ausführte, daß der Rechtsstaat, wie
Baden ein solcher doch sein wolle, nicht das gesammte Unterrichts-
wesen beherrsche, sondern vielmehr die Pflege der Cultur den
Associationen und Einzelnen überlasse. Die verfügte Wegnahme
der Stipendien sei eine Verletzung der Religionsfreiheit, da die
Kirche ohne Schulen und Bildungsanstalten für Geistliche nicht
bestehen könne, eine Verletzung der allgemeinen Interessen der
Cultur, die durch absolutes Staatsschulmeisterthum gefährdet wür-
den, eine Verletzung des Eigentums und der Heiligh^ltung der
Stiftungen. Bis zu dieser scharfen Erwiderung ist die Sache be-
reits gediehen; es versteht sich von selbst, daß bei der Erfolglosig-
keit dieses Protestes die Stiftungen auf dem Rechtsweg als ürch-
liche requirirt und die Herausgabe der blos zur Einsicht einge-
schickten Akten verlangt werden wird.
* Heidelberg, 17. Dec. Wen hat Excellenz Jolly noch
hinter sich? Diese neulich gestellte Frage wird heute noch aller-
wärts wiederholt. Einige Amtmänner waren dieser Tage in einer
kleinen Amtsstadt des Oberlandes beisammen, um ihre allerdings
nicht beneidenswerthe Steilung in dem ausgebrochenen Conflicte
zu besprechen. Ja freilich nicht beneidenswerth, wenn man an
das Wort der Landesbase denkt: die Beamten müßten nicht blos
die an sie gestellten Anforderungen pünktlich ausführen, sondern
sogar denken wie das jeweilige Ministerium! Damals dachte
nämlich die Landesbase selbst noch ganz genau so wie Jolly (Ex-
cellenz). Um aber auf die Amtmänner zurückzukommen, so wer-
den sie wohl die einzigen Personen sein im ganzen Lande, die
noch einige Sympathie für Excellenz Jolly haben oder haben
müssen, und wir würden uns daher nicht wundern, eine Dank-
und Anerkennungsadresse derselben für die musterhafteste Regierung
diesseits des Oceans in der Karlsruher Zeitung veröffentlicht zu
finden. Aber heute hat Jolly nicht einmal die Landesbase mehr
hinter sich, — da muß es schlecht aussehen, wird Jeder unwill-
kührlich ausrufen! In der heutigen Landeszeitung spricht sich ein
„Offenburger" über Regierung und Volksvertretung in Baden
aus, und zwar „zur Abwehr", wie er sagt. Da wird denn vor
allem über Verletzung des Briefgeheimnisses geklagt, weil Jolly,
Excellenz, ein „nur durch Bertrauensmißbrauch" in seine Hände
gelangtes „vertrauliches Sendschreiben", „einen fremden Brief"
der Oeffentlichkeit übergeben habe. Dagegen wird scharf zu Feld
gezogen, insbesondere aber auch gegen den Abgeordneten, welcher
das Attentat Herrn Jolly verrathen hat, — es wird von der
„verächtlichen Denunciation eines Dritten" gesprochen. Wer mag
der wohl sein? — Der Verfasser verlangt ferner die Wiederher-
stellung einer parlamentarischen Regierung. Das Mini-
sterium soll sich auf die Kammer und nicht auf die Büreaukratie
stützen. Das ist Alles recht schön gesagt, aber auf was stützt sich
denn die Kammer? Man wird doch nicht glauben, daß eine
Kammer, die feit 24 Jahren keine Totalerneuerung erlebt hat u.
nach dem veraltetsten Wahlgesetze zusammengesetzt wird, noch irgend
welchen Boden im Volke besitze! Wer, fragen wir, kümmert sich
denn noch um die Kammer? Blickt nur auf die Galerien, ihr
Herren Volksvertreter, und gesteht mit uns ein, daß kein consti-
Mtioneller Staat diesseits des Oceans vorhanden ist, in welchem
die Volksvertretung von Seiten des Publicums durch dessen voll-
ständige Abwesenheit so gerichtschätzig behandelt wird, wie in eurem
Musterstaate! Wer hat auch Lust, sich um eine Kammer zu küm-
mern, wo in einförmiger Widerspruchslosigkeit Alles in Bausch und
Bogen angenommen wird, was die Ministerbank wünscht! Eines
aber muß uns in dem Verlangen der Offenburger nach einem
parlamentarischen Regiment höchlich in Erstaunen fetzen. Sie
wußten ja doch, daß weder Herr Jolly noch fein verstorbener
 
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