Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1868

DOI Kapitel:
Nr. 130-141 (3. November - 30. November)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43881#0557

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

Dienstag den 24. November

Preis vierteljährl. 40 kr. ohne
Trügerlohn und Postaufschlag.
. Jns.-Geb. 2 kr. die Spaltzeile.

^L139.

Erscheint wöchentlich 3 Mal: Dienstag,
Donnerstag und Samstag.

* Die Jahresberichte
der Landescommifsäre über die Zustände und
Ergebnisse der inner» Verwaltung
für das Jahr 1867.
(Fortsetzung.)
Die Herren Renk und Jonathan Winter haben, wie
wir gesehen, an die Spitze ihrer Berichte den allgemeinen Satz
gestellt: „es ist Wohlstand in unseren Kreisen" und waren, so oft
sie diesen „Wohlstand" zergliedern und in den einzelnen Positio-
nen ihrer statistischen Darstellung nachweisen sollten, genöthigt,
die Verdienstlosigkeit und den allgemeinen Rückgang einzuge-
stehen. Es ist in der That ein schönes Gemälde dieses Wohl
standes, wenn eine Kittelstrickerin noch 4 kr. im Tage verdienen
kann! Wenn man sich daher billig wundern muß, was für ein
Lesepublikum diese Herren für ihre Berichte voraussetzten, so kann
man nicht das Gleiche
III.
über den Jahresbericht des Landescommifsärs Ca millus Win-
ter für die Kreise Karlsruhe und Baden sagen. Hier tritt
mit weit größerer Einfachheit das thatsächliche Verhältniß zu Tage,
indem kein Versuch gemacht wird, Schwarz in Weiß, Nothstand
in Wohlstand, Rückgang in Fortgang umzuwandeln. Sehen wir
näher zu!
Herr CamilluS Winter nennt die Zunahme der Bevölke-
rung nur eine unbedeutende, und zwar sei sie überhaupt nur
in den Städten vorhanden. Genaue Angaben hierüber seien bei
noch nicht beendeter Volkszählung nicht zu machen.
Die Auswanderung hat nur unbedeutend zugenommen,
„nur scheint es nach der Summe des mitgenommenen Vermögens,
daß auch wohlhabendere Personen sich zur Auswanderung ent-
schlossen haben", ein in unfern Augen sehr bedenkliches Zeichen.
Was den „Wohlstand im Allgemeinen" betrifft, so klagt der
Bericht über die geringe Erndie des Jahres 1867 und die Läh-
mung des Handels und der Gewerbe, so daß nur der gute Futter-
und Kartoffelertrag und der vermehrte Viehstand einen eigentlichen
Nothstand hätten abwehren können. Im Kreis Karlsruhe haben
die Liegenschaftsveräußerungen zugenommen und die Liegenschaften
selbst sind im Preise gesunken; im Kreis Baden findet jedoch das
umgekehrte Verhältniß statt.
Die Zahlbefehle haben sich um 150 vermehrt und zeigen
überhaupt eine fortwährende Zunahme gegen frühere Jahre; das-
selbe gilt von den Pfändungen und Ganten, besonders in
der Stadt Pforzheim.
Im Kreise Karlsruhe hat das Grund- und Gewerbsteuerkapi-
tal abgenommen, im Kreise Baden dagegen haben sämmtliche
Steuerkapitalien zugenommen. „Bei den indirekten Steuern zeigt
sich in beiden Kreisen eine Zunahme der Weinaccise, ein Rück-
gang aber an Bier und insbesondere an Fleischaccise", ein sicheres
Zeichen des „Rückganges", da die verminderte Fleischconsumtion
auf Ebbe im Geldbeutel schließen läßt.
Im Amtsbezirk Bretten ist der Rückgang des „Wohlstan-
des" mit Händen zu greifen, vom etwas bester gestellten Amis
bezirk Bruchsal heißt es: „Die Bewohner werden, wenn auch
kein entschiedenes Sinken des Wohlstandes zu Tage getreten, doch
immerhin alle Kräfte für Erhaltung ihrer Haushaltungs- und
wirtschaftlichen Zustände anzustrengen haben." „Im Bezirk
Karlsruhe", fährt der Bericht fort, „sind die Verhältnisse jeden
falls nicht bester geworden, als im Vorjahr. Die Teuerung der
nolhwendigsten Lebensmittel hat zugenommen, die Gewerbsthätig-
keit ist gedrückt und beschränkt sich auf Befriediguna der nötig-
sten Lebensbedüifniste." „Im Amte Durla ch ist ^ein Rückga. g
im Wohlstand unverkennbar, sowie auch in der That die Ueber-
ficht über den Gesammterndteertrag dieses Bezirks sehr ungünstige
Ergebnisse zeigt. Im Amtsbezirk Ettlingen konnte sich der
Wohlstand im verflossenen Jahre, in welchem die Kriegskosten des
Jahres 1866 getilgt werden sollten und unter beständigen Kriegs-
befürchtungen die Geschäfte, insbesondere der Handel, nicht in
Fluß kommen wollten, mcht heben. Der Amtsbericht von Pforz-

heim verweist zur Begründung gleicher Ansicht auf die Zunahme
der Ganten, der Einnahmsrückstände, die Abnahme der Schlacht-
viehaccise, die Schwierigkeit der Beitreibung der Forderungen
öffentlicher Verrechnungen und die Abnahme der ärarischen Ge-
fälle. Der Amtsbericht von Achern erwähnt auch der Zunahme
des Bettels und der Arbeitslosigkeit der Handwerksgehilfen in
Folge von Arbeitseinstellungen, des geringen Weinabsatzes in den
Reborten und des geringeren Bier- und Fleischverbrauchs. Mit
den obigen allgemeinen Beurtheilungen der Lage stimmen auch
die übrigen Amtsberichte überein. Im Bezirk Gernsbach hat
außerdem die Verminderung des Verkehrs im Holzhandel den Ver-
dienst durch Waldarbeiten geschmälert." Vom Bezirk Rastatt
wird eine etwas günstigere Darstellung geliefert.
Wenn man diese officielle Darlegung der traurigen Sachlage
liest, muß man da, fragen wir, nicht in Zorn gerathen über die
schamlosen Behauptungen einiger Amtsverkündigungsblätter und
sonstiger „angeregter" Preßorgane, welche geradezu jeden Rückgang
auf dem Gebiete der materiellen Wohlfahrt in Abrede stellen und
sämmtliche Steuererhöhungen nicht blos als leicht tragbar schilder-
ten, sondern sogar noch als das allgemeine Wohl fördernd förm-
lich bejubelten! Und was soll man zu den Volksvertretern sagen,
die von Dankgefühl gegen die Regierungsbank überströmten, als
ihnen bei erhöhten Steuervorschlägen Gelegenheit gegeben wurde,
„freudigen Herzens" die „Opfer" für das „Ziel" zu bringen?
Was dieses „Ziel" ist, wissen wir nicht, vielleicht belehren uns
die Preßhusaren eines Tages dahin: „Bringt „„Opfer"", damit
wir zum „„Ziel"" kommen — 4000 fl. Pension!"
Das Erndteerträgniß war im Jahr 1867 ein mittel-
mäßiges, ja vielfach sogar ein schlechtes gewesen und blieb hinter
dem von 1866 weit zurück. Das ist eine bekannte Thatsache und
wir haben also nicht nöthig, dies mit den Zahlen des Herrn
Landescommistärs nachzuweisen. Wir können natürlich hierüber
auch weder den Landescommiffären noch auch der vortrefflichen
Staatsleitung Sr. Excellenz Jolly diesseits des Oceans irgend
einen Vorwurf machen, da man sie nicht gegen die Elemente an-
zukämpfen ausgesandt hat. Um so weniger aber können wir An-
gesichts dieser Thatsachen die Steuererhöhung billigen und müßen
dringend zur Sparsamkeit mahnen, die namentlich bei dem Mili-
tärbüdget keineswegs vorhanden ist. Auch die soeben enorm ge-
wachsenen Kreisumlagen, die bald den Gemeindeumlagen ebenbürtig
zur Seite stehen werden, müssen schwer getadelt werden und sind
keineswegs dazu angethan, die Zufriedenheit im Volke zu ver-
mehren.
Was die Culturverbesserungen und Feldwegan-
lagen betrifft, so heißt es in dem Berichte, sie se.en „in Folge
der Ungunst der Zeitverhältnisse" meistens wieder zurückgestellt
worden d. h. doch wohl nur, weil der ungeheure Aufwand für
das Militärbüdget enorme Summen verlangt, bleibt für derglei-
chen Culturen nichts mehr übrig.
Die Fruchtmärkte zeigen eine beträchtliche Abnahme, am
meisten der in Bruchsal, der bald ganz eingehen werde. Handel
und Gewerbe haben schwer gelitten, so im Amtsbezirke Karls-
ruhe, wo auch über Hausirer und Wanderlager stark geklagt wird;
so im Bezirk Durlach, wo das Geschäft „sehr still" ist; so im Be-
zirk Pforzheim, wo der Fruchtmarkt stark zurückgegangen ist, der
Holzhandel „ganz schlecht" ging und dre Bijouterie-Fabrikation, die
auf der Pariser Weltausstellung nicht einmal vertreten war, schlechte
Geschäfte machte; so im Bezirk Achern, wo „gleiche Klagen" sich
hörbar machen, sowie in allen andern Bezirken.
Was das Armenwesen betrifft, so kamen aus den meisten
Bezirken Klagen über Zunahme des Bettels, was wahrscheinlich
nach den volkswirthschaftlichen Anschauungen der Landesbase sammt
Trabantenschwuf als ein überzeugender Beweis für das Aufblühen
des „Wohlstandes" erklärt werden wird. Der Herr Landescom-
missär, der sonst, wie wir sagten, es nicht für angemessen hält,
Schönpflästerchen anzuwenden, scheint doch hier ein solches nölhig
zu haben, wenn er schreibt: „Besondere Vorkehr gegen eigentlichen
Nothstand war nicht erforderlich, doch hat man sich in Baden ver-
anlaßt gesehen, neuerdings eine Suppenanstalt ins Leben zu rufen",
als ob eine Suppenanstalt nicht eines der ersten Vorkehrungsnnttel
gegen Nothstand wäre!
Was den Gesundheitszustand betrifft, so wird er im
 
Annotationen