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M 1ZZ-
Donnerstag den 15. October
1868.
* Ueber die Erzbischofswahl in Freiburg.
Das Archiv für katholisches Kirchenrechl (herausgegeben von
Prof. Bering) enthält einen aus juridisch sachkundiger und in that»
sächliche Verhältnisse eingeweihter Feder geflossenen Aufsatz, der
einen Auszug in unseren katholischen Blättern verdient.
Nach dem Tode des Erzbischofs von Freiburg trat — um
den Gang der Dinge zu recapituliren — das Domcapitel zusam-
men, um die Liste der Candidaten für den erledigten Sitz aufzu-
stellen. Die Namen der Letzter» sind unfern Lesern damals mit-
getheilt worden, es waren inländische und auswärtige Geistliche.
Nach der Bulle aä äoiu. ZrsA. eustoä. wurde diese Liste dem
Großherzog vorgelegt, mit der Bitte um höchste Entschließung, ob
und welcher von den Candidaten Höchstdemselben „weniger genehm"
sei. Die Antwort lautete dahin, man möge die auswärtigen Can-
didaten : Weihbischof Baudri in Köln, sowie den Bischof Ketteler
in Mainz, Eberhard in Trier und Martin in Paderborn von
der Liste streichen, indem die Regierung denselben das badische
Staatsbürgerrecht versagen werde, ohne daß sie jedoch die Absicht
habe, nicht zum Diöcesanclerus gehörige Geistli^e von vornherein
von der Liste ausschließen zu wollen. Aber auch die inländischen
Candidaten (Kübel, Miller, Weickum) wurden als „minder genehm"
bezeichnet und also nur Domcapitular Orbin übrig gelassen.
Dieses Verfahren konnte in Freiburg durchaus nicht als ein
rechtmäßiges betrachtet werden, sowenig wie in Rom, von wo aus
ein apostolisches Schreiben Sr. Heiligkeit des Papstes eintraf, wel-
ches das bisherige Verfahren des Capitels billigte und den Ansprüchen
der badischen Regierung ein ,,uou po88umu8" entgegensetzte. Auf
dieses Schreiben wie auf die citirte Bulle von 1827 gestützt, er-
widerte nun das Erzbischöfl. Domcapitel am 27. Mai 1868 dem
Ministerium des Innern:
„Gemäß dieser Bulle habe das Capitel der Metropolitankirche
sich durch Vorlage der Candidatenliste an Se. Königl. Hoheit den
Großherzog ... vor der Wahl zu vergewissern, ob vielleicht einer
der Candidaten dem Durchlauchtigsten Landesherrn minder genehm
sei, welchen sodann das Capitel aus dem Verzeichniß zu streichen
habe. In jedem Falle müsse aber die übrig bleibende Anzahl noch
hinreichend sein, daß aus ihr der neue Vorsteher der Kirche von
dem Domcapitel nach canonischer Vorschrift frei gewählt werden
könne. Wir kennen kein Breve, das dem Gr. Gubernium ein
weiter gehendes Recht als diese Bulle einräumt."
„Demgemäß, sowie nach den „ lüttei-as ^xoLtolieae"
vom 4. Mai 1868 sei das Capitel „berechtigt und verpflichtet",
nach den Bestimmungen des Kirchenrechts und nach seiner Ueber-
zeugung die Liste der Candidaten Sr. Königl. Hoheit . . .
zur Kenntniß zu bringen. ... Die Beschränkung, auf die Liste
solche zu setzen, welche dem Diöcesanclerus angehören, sei in vor-
liegendem Falle durch die frühere, auch im Staatsministerialerlaß
vom 18. d. M. aufrecht erhaltene Erklärung der Gr. Regierung,
sowie durch den Anspruch des Apostolischen Stuhles vom 4. d. M.
— entfallen."
„Die . . . vorgelegte Candidatenliste entspreche deßhalb durch-
aus der . . . berührten Bulle . . . Das Recht des Capitels be-
züglich dieser Liste sei durch Vorlage derselben an den Landesherrn
erschöpft. Auf der Liste müßten auch nach der erwähnten, neuesten
päpstlichen Interpretation mindestens drei Candidaten stehen bleiben,
um deren Belassung gebeten wird, da das Capitel sich zur Aende-
rung beziehungsweise Ergänzung dieser Liste nicht befugt halte."
Das Ministerium jedoch erklärte sofort, die badische Regierung
müsse darauf bestehen, daß die Liste ergänzt werde, was indessen
unter Billigung des hl. Stuhles vom Domcapitel abgelehnt wurde.
So wie die Dinge liegen, handelt es sich jetzt nur um die
Frage: „Hat die Regierung das Recht, alle ihr nicht „genehme"
Candidaten, überhaupt alle vom Domcapitel aus die Liste Gesetzten
zu streichen? Hat folgeweise das Capitel die Pflicht, so lange die
Liste zu ergänzen oder zu erneuern, bis die Regierung drei xsrsonus
Zimtuo auf derselben beläßt?"
Die Regierung bejaht, das Domcapitel verneint diese Fragen,
und zwar in der Art, daß beide Theile sich auf die erwähnte Ver-
einbarung vou 1827 stützen, die wir deßhalb etwas näher betrachten
müssen. (Forts, folgt.)
* Lesefrüchte.
In feinem Tagebuch: „Zwei Jahre österreichischer Politik" spricht
sich Giehne (11. Oct. 1866) über die römische Frage in folgender
geistreicher Weise aus, wobei wir nicht unterlassen können darauf
aufmerksam zu machen, daß die Dinge in Betreff Roms jetzt wieder
in ein Stadium einzutreten drohen, die demjenigen nur allzu ähn-
lich ist, von welchem der Verfasser im Herbste 1866 spricht. Giehne sagt:
Was mit dem Kirchenstaat werden soll, ist nun zunächst eine Frage zwi-
schen Victor Emanuel und Napoleon, oder, wenn man will, zwischen Napoleon
und der Revolution. Sich selber zu schützen vermag der Kirchenstaat nicht,
wie sich schon 1818 zeigte. Das Princip der Einheit Italiens, um consequent
durchgeführt zu sein, verlangt die Unterwerfung Roms, und Dies ist der
Standpunkt Victor Emanuels, welcher die Revolution auf so lange, bis er
etwa selbst von ihr aufgezehrt wird, zur Alliirtcn hat. Napoleon seinerseits
rühmt die Einheit Italiens als seine Schöpfung, was sie denn auch ist. Nun
ist es aber auch nicht minder eine Thatsache, daß auch die Wiederherstellung
deS Kirchenstaats, nachdem die Revolution den Papst vertrieben hatte, ein Werk
Napoleons war; obwohl damals noch selbst der Präsident einer Republik, warf
er die römische nieder, und setzte den vertriebenen Papst wieder ein. Aus
welcher dieser beiden Prämissen soll man nun einen Schluß ziehen ? Keine der-
selben läßt sich ungeschehen machen; logisch zusammenreimen aber lassen sie
sich ebenfalls nicht, da jede von beiden zu einer andern „nothwendigen" Con-
sequenz führt. Es liegt ein vollkommener innerlicher Widerspruch vor, und
ein solcher, nach dem bekannten Spruch Göthe's, ist „gleich geheimnißvoll für
Kluge wie für Thoren". Was wird Napoleon thun? Man weiß es nicht.
In dieser ganzen Politik steckt eben, wie man hieran wieder recht augenfällig
sieht, eigentlich kein Princip, kein folgerichtig in sich lusammenhängendes System,
und eben das ist es, was sie in den Ruf gesetzt hat, undurchdringlich und un-
errathbar zu sein. Allerdings kommt hiezu noch eine gewisse Leichtigkeit des
Umschlagens in Bezug sowohl auf politische Freundschaften als auf politische
Standpunkte, je nachdem Solches ein Wechsel der Lage anzurathen scheint,
allein das ist im Grunde dieselbe Eigenschaft wieder. Im gewöhnlichen Leben
nennt man sie mit andern Namen ; ob sie in der großen Politik auf die Länge
Vortheile bringt, das ist eine Frage noch nicht abgeschlossener Erfahrung.
Also die Einheit Italiens, die piemontesische wenigstens, erheischt die Auf
Hebung des Kirchenstaates, d. h. die Mediatisirung des Papstes. In Betracht
aber, daß der weltliche Beherrscher des Kirchenstaats zugleich das geistige Ober-
haupt der katholischen Kirche ist, liegt darin nicht blos'eine italienische Frage,
sondern eine solche, die weithin über Italien hinausreicht. Nehme man einmal
beispielsweise an, der Kirchenstaat wäre durch Gebietsumfang und Volkszahl
eine europäische Großmacht, die als solche weltlich in die europäische Politik
eingriffe, so ergäbe sich daraus sür andere Staaten ein gewisses Bedenken, her-
vorgehend aus der Besorgniß, der kirchliche Zusammenhang könnte eine poli-
tische Färbung annehmen. Ganz dieselbe Besorgniß trete in Geltung, wenn
das geistliche Oberhaupt einer so viele Völker umfassenden Kirchengemeinschaft
dem Beherrscher eines Großstaats weltlich unterworfen wäre: man würde stets
eine örtliche Abhängigkeit von politischen Einflüssen der weltlichen Obermacht
fürchten. Mit andern Worten: der Papst kann nicht eines weltlichen Macht-
habers Unterthan fein, ohne daß unmittelbar damit die Unabhängigkeit der
katholischen Kirche verloren ginge. Mit ihrer Unabhängigkeit aber ist der Be-
stand ihrer Einheit bedroht. Wenn also in der That das neue Italien nicht
ohne Mediatisirung des Papstes bestehen kann, so fordert es einen großen
geistigen Gegensatz heraus. Die Einheit Italiens ist eine örtliche Frage für
die Italiener; die Einheit der kathol. Kirche ist eine Frage, die sich aut alle
fünf Welttheile erstreckt. Es mag sein, daß die Mehrheit der italienischen Be-
völkerung die Einheit Italiens über die der katholischen Kirche setzt, da man
selbst an italienischen Priestern Beispiele davon erlebt; allein es ist nicht zu
erwarten, daß jene unermeßliche Mehrheit, die katholisch ist, ohne italienisch zu
sein, das Lebensinteresse ihrer Kirche gleichfalls einem Anspruch des König-
reichs Italien unterzuordnen oder zu opfern bereit wäre. In Frankreich selbst
wiegen ohnehin keine Sympathien für Italien vor.
Dies ist das Problem, dessen Lösung sich Napoleon III. auferlegt hat.
Wenn es eine Last ist, so ist es eine selbsterwählte, denn ohne die Einmischung
Frankreichs hätte sich der schwer lösbare Gegensatz nicht in solcher Weife an
die Spitze gestellt. Auch ging ein früheres Programm nur auf eine Bundes -
einheit Italiens, und zwar unter dem Präsidium des Papstes; es ist jedoch
gleich andern Programmen, die vergeblich eine Zukunft iin voraus festzustellen
gedachten, längst durch den Gang der Ereignisse überholt. Man wird endlich
von dem Grundirrthum zurückkommen müssen, daß man die Gestaltung euro-
päischer Geschicke, ob auch mit ansehnlicher Macht auf sie einwirkend, darum
willkürlich in seiner Hand habe. Wenn der Pfeil einmal abgeschossen ist, ge-
hört er nicht mehr dem Schützen an; zurückzurusen ist er nicht, auch wenn er
das Ziel überschießt, oder ein anderes trifft, als das ihm vorgezeichnet war.
Es sieht nachgerade so aus, als ob mit Italien die französische Berechnung
ihr Ziel überschossen hätte, d. h. es wird zweifelhaft, ob das Königreich Italien,
nachdem sie es so stark gemacht hat, noch ihrem Einfluß unterthänig genug ist,
um vor der allein noch übrigen Schranke der Einheit, vor der letzten Conse-
quenz des verkündigten Princips, stehen zu bleiben. Gelingt es, für jetzt so
viel Einfluß geltend zu machen, ss hat man wenigstens einen Aufschub erzielt,
denn unvereinbare Gegensätze stehen sich Angesicht zu Angesicht entgegen, nach
wie vor. Es ist ein schwieriges Problem. Von der Politik, die diese Frage
„studirt", in Bewegung gesetzt und die Gegensätze soweit vorgeschoben hat,
erwartet die Welt nunmehr eine Lösung.