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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1868

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Nr. 40-51 (2. April - 30. April)
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50. Dienstag den 28. April_ 1868.


* Prozeß Lindau.
(Nach stenographischer Aufzeichnung).
(Fortsetzung.)
Vorsitzender: Der Angeklagte hat sich thatsächlich berufen
auf eine Erklärung vieler Kammermitglieder vom 20. Dez. 1867,
erschienen in Nr. 2 der Karlsr. Zeitung. Es ist vom Herrn Ver-
teidiger bereits früher eine Nummer der Bad. Landeszeüung über-
geben worden, worin dieser Wahlaufruf sich auch befindet, ich weiß
nicht, ob der Antrag gestellt werden will, daß dieser Aufruf ver-
lesen werden soll.
Verteidiger Schulz: Die Verlesung wird nicht nothwendig
sein, ich bitte nur die Thatsache zu constatiren, daß Herr Staats-
minister Jolly diesen Parteiaufruf mit unterzeichnet hat.
Vorsitzender: Daß er vom Herrn Staatsminister Jolly
unterzeichnet ist, nach dieser Mittheilung der Landeszeitung, das
ist richtig. Sodann hat sich der Angeklagte berufen auf einen
Artikel im Pfälzer Boten, der seine Anwesenheit im Bezirke Bühl
constatiren soll.
Vertheidiger S chulz: Die Anwesenheit ist amtlich consiatirt
in den Akten des Bez.-Amtes Bühl.
Vorsitzender: Es handelt sich auch um Constatirung der
Thatsache, daß keine Ruhestörung stattgefunden hat, ich verlese deß-
halb folgende Aktenbemerkung des Amtes Bühl vom 2. April, sie
lautet:
„Am 29. März erschien Jakob Lindau und Dr. Vissing, abge-
holt mit 2 Chaisen von Bühl in Oos.
Eine Versammlung fand Statt im Gasthaus zur Sonne (etwa
200 Personen) und später zum Hirsch.
Etwas Störendes ist nicht vorgefallen und die Abgeordneten
kehrten mit dem Nachtzug zurück.
Es wurde dem Herrn Landescommissär hierüber berichtet und
auch ein Exemplar von dem Bühler Wochenblatt vom 1. April,
Nr. 27, bez. auf Seite 105 gesendet.
Die Stimmung ist eine gereizte."
Weitere Beweise hat der Angeklagte nicht beantragt.
Staatsanwalt: Ich beantrage, daß die Schriftstücke aus
den Akten des Bez.-Amtes Bühl verlesen werden, welche der An-
geklagte auch in der Verteidigung genannt hat, nämlich die in
den Akten befindliche Erklärung des Bürgermeisters Conrad vom
10. März an das Bez. Amt Bühl, dann der den Akten beiliegende
Brief des Schlossermeisters Groß in Bühl und die Aktenbemerkung
vom 17. März über die Einvernahme des Schlossermeisters Groß.
Vertheidiger Schulz: Alles dies sind keine Handlungen des
Angeklagten und deßhalb unerheblich, ich habe gegen die Verlesung
übrigens nichts zu erinnern.
(Diese drei Aktenstücke werden hierauf verlesen).
Staatsanwalt: Ich beantrage ferner aus den Ministerial-
akten den Bericht des Bez. Amts Bühl an den Landescommissär
und die Aktennotiz des Landescommissärs zu verlesen über seine
Besprechung mit dem Bezirksbeamten in Bühl.
(Der Bericht und die Notiz werden verlesen).
Vertheidiger S chulz: Ich danke zunächst dem Herrn Staats-
anwalt für die einleitende Worte; ich habe daraus entnommen,
daß es für ihn noch ein Osterfest giebt und daß er nur mit innerem
Widerstreben diese Anklage erhoben hat. Bedauern muß ich aber,
daß die dornige, undankbare Ausgabe ihm zu Theil geworden ist.
^zch werde in zwei Beziehungen nachweisen, daß die Anklage, wie
sie erhoben worden ist, nicht erhoben werden konnte und sollte. In
der einen Beziehung hat Herr Lindau bereits hervorgehoben, daß
er dav Recht zu haben glaube den Vertrag für sich in Anspruch
zu nehmen, der über die Erneuerung des Zollvereins zwischen der
Krone Preußens und andern deutschen Staaten abgeschlossen wor-
en rst. In diesem Vertrage sind die näheren Bestimmungen ent-
halten, welche Rechte die Zollparlamentsabgeordnetcn haben sollen,
"" m den Rechten, die ihnen zuerkannt sind, ist in Z 12 zu
zu Art. 9 gesagt: °
„Kein Mitglied des Zollparlaments darf zu irgend einer Zeit
wegen ferner Abstimmung oder wegen der in Ausübung seines Be-
rufes gethanen Aeußerungen gerichtlich oder disciplinarisch verfolgt
oder sonst außerhalb der Versammlung zur Verantwortung gezogen
werden.

Man könnte der Anwendung dieser Vorschrift vielleicht ent-
gegenhalten: Lindau ist wohl gewählt, er ist aber noch nicht Zoll-
parlamentsabgeordneter, das Zollparlament ist noch nicht eröffnet.
Allein für die Auslegung des Vertrages werden wohl die weiteren
Bestimmungen, insbesondere Art. 9, Z 9 maßgebend sein. Dort
ist ausdrücklich gesagt: „Das Zollparlament prüft die Legitimation
seiner Mitglieder"; man tritt somit kraft der Wahl in's Zollpar-
lament ein, und es muß der Z 12 dahin verstanden werden, daß
Herr Lindau in seinem Berufe handelte, sobald er in Sachen der
Wahl gemäß seiner Verpflichtung als Gewählter seine Wähler um
sich zu versammeln suchte. In derThat wird das Zollparlament,
wenn Herr Lindau Beschwerde führt, mit Recht sagen: durch das
Verbot ist der Vertrag gebrochen worden, die Versammlung mußte
gestattet werden.
So ist die Sachlage: Herr Lindau hat in seinem Berufe als
Abgeordneter gehandelt. Nachdem er aufgefordert worden war,
eine Versammlung in seinem Wahlbezirk abzuhalten und eben erst
seinen Wählern seine Bereitwilligkeit erklärt hatte, wurde ihm der
Beschluß des Bezirksamtes Bühl eröffnet, daß man die beabsichtigte
Zusammenkunft mit seinen Wählern als eine Volksversammlung
verbiete. Der Rekurs, den er hierauf an das Ministerium des
Innern ergriff, wurde von diesem rundweg abgewiesen in einer
harten Form, in einem bureaukratischen Tone, der eine tiefe Miß-
achtung der Person des Necurrenten kund gibt. Herr Lindau mußte
jetzt auf ein Mittel sinnen, wie er durch die Presse mit seinen Wählern
verkehre und die ihm widerfahrene Ungebühr abwehre. Er fand es
in dem Sendschreiben, worin er dem Hrn. Staatsminister Jolly die
Ueberzeugung aussprach, daß ihm Unrecht geschehen sei, daß die Ver-
sammlung seiner Wähler nicht verboten werden dürfe, daß die gewich-
ngsten Gründe dem Verbote entgegenstehen. Insofern handelte er als
öffentliche Person, als ein Mann, der große Pflichten übernommen hatte
und zur Erfüllung dieser Pflichten gerade die Handlung für noth-
wendig erachtete, deren Vornahme ihm von den Behörden ver-
weigert worden war.
Nach dieser Ausführung kann es wohl keinem Zweifel unter-
liegen, daß Herr Lindau in dem Sendschreiben nur seinen Be-
ruf erfüllte und daß er nicht in Anklagestand versetzt werden
könnte.
Es sind das neue Verhältnisse, die man in gewisser Beziehung
traurige Verhältnisse nennen könnte, denn der Abgeordnete Lin-
dau geht nach Berlin, um einen Theil der seitherigen Hoheits-
rechte seines Fürsten auszuüben, die der Regierung aus der Hand
genommen sind. Das Ministerium und der Fürst des Landes
können nichts dagegen thun, wenn Beschlüsse gefaßt werden, die
ihnen nicht gefallen, die ihren Bestrebungen zuwiderlaufen.
Es ist deßhalb gewiß ein sehr wichtiges Novum, das unsere
Gesetzgebung hier geschaffen hat und es verdient die genaueste
Erwägung, ob der Vertrag dem Zollparlamentsabgeordneten nicht
das Recht gibt, mit seinen Wählern zu verkehren und zwar in
einer solchen Weise, daß die Regierung die Versammlung nicht
verbieten darf. Das ist die erste FrZge, und wenn Sie dieselbe
in meinem Sinne beantworten, dürfen Sie keine Anklage zu-
lassen.
Einen zweiten Grund, der der Anklage nicht minder entgegen-
steht, finde ich darin, daß man das Verbrechen auf Grund des
draconischen Satzes Art. 631 u des Strafgesetzes anklagt, dessen
Thatbestand hier gar nicht vorliegt.
Ein solches Verbrechen wird nur begangen und kann nur
begangen werden gegen das Staatsministerium, gegen einzelne
Staatsbehörden, gegen einzelne Classen und Corporationen. Die
Anklage erschöpft alle Kategorien des Art. 631 a. Allerdings
kann auch wegen Erregung von Unzufriedenheit eine Anklage er-
hoben werden, aber nur dann, wenn sie mittelst Erdichtung oder
Entstellung der Wahrheit erregt worden ist. Ich behaupte nun:
es war keine Staatsbehörde, an die Herr Lindau sich wendete,
lediglich die Person des Herrn Jolly; er spricht nur mit dem
Herrn Staatsminister über dessen Handlung; er konnte dies auch
thun in voller Kenntniß der Organisation der Staatsbehörden.
Es ist eine bekannte Thatsache, daß dasjenige, was der Mi-
nister thut, er allein gethan hat; es ist eine bekannte Thalsache,
daß der Minister des Innern in keiner Weise abhängig ist von
seinem Collegium. Wenn sämmtliche Mitglieder des Ministeriums
 
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