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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1868

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Nr. 1-13 (2. Januar - 30. Januar)
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— Cäco spielen; im Jahr 1870 also werden mir wieder weniger
Soldaten oder auch gar keine mehr haben! O Bruchsal!
Minister Jolly hält eine ebenso begeisterte Rede wie Kiefer,
wobei der Bote meint, die kühle, nüchterne Erwägung gefalle ihm
besser von der Regierungsbank. Die Opfer seien groß, hieß es,
aber das Vaterland verlange diese Opfer. Wir müßten fortan
doppelt so viele Soldaten halten wie bisher und 2 Millionen
mehr für Kriegszwecke aufbringen, allein darauf komme es jetzt
nicht an. Unser unbedeutendes Gewicht in der Waagschale der
Entscheidung dürfe man nicht entgegenhalten; das fei „engherzi-
ges Philisterthum."
Dagegen erk.ärt der Abg. Beck, er werde trotz der Rede
des Herrn Ministers nicht über die Bewilligung von 1^/s Proc.
hinausgehen; er habe nun einmal jene kalte, trockene Ansicht, die
Jolly die „philiströse" genannt habe.
General Ludwig will durch Beurlaubungen zur Erntezeit
das Drückende der 3jährigen Präsenz mildern.
Berichterstatter Lamey sucht Moll und Beck zu widerlegen
und Oberst Götz rühmt vom militärischen Gesichtspunkt die
3jährige Präsenz.
Darauf werd „der vorgerückten Zeit wegen" die Sitzung auf
den folgenden Tag vertagt. Es stand schlecht an diesem Tage
für die Anforderungen der Negierung, namentlich als es verlau-
tete, der Abg. Wundt — aber nicht von Neckargemünd —
wolle einen Vermütelungsantrag stellen, wodurch eiue Spaltung
in der Kammer eingerreten wäre. In dieserZmischenzeit vaneinem Tage
auf den andern wird nun eine Privalbesprechung in den Räumen
der Betriebsgesellschaft vom „weißen Bären" abgehalien, an wel-
cher sich eine größere Anzahl von Abgeordneten belyerügte. Dort
gelang es denn, wie man erfährt, so ziemlich wieder Alles unter
einen Hut zu bringen.
Nach Eröffnung oec heutigen Sitzung sprach zunächst v.
Feder in ironischer, luuerer Weise gegen den Entwurf. Er
hebt den Widerspruch hervor in den Erklärungen der Negierung,
wornach der Minister des Innern von Lasten gesprochen, wäh-j
rend der Kriegsminister das Gesetz als eine Wohlthat bezerch-'
net habe. Rian solle Nicht weiter gehen als die Beschlüsse der
Militärconferenzen. Dian habe von Philisterthum gesprochen; es
frage sich aber, wer die Philister seien: über die Philister habe
sich die Negierung in dieser Frage nicht zu beklagen. Man habe
die Nothwendigkert betont, sich bis an die Zähne waffnen zu
müssen, — wie reime sich denn das mit den unaufhörlichen
Friedensversicherungen zusammen? Er glaube nicht an den Krieg;
aber wenn es auch Krieg gäbe, würde Baden doch mit etwas
mehr Mannschaft keine größere Bedeutung erhalten. Wir sollten
nicht mehr thun und keine größeren Lasten unserem Volke auf-
legen, als unsere Nachbarn.
Minister Jolly greift darauf die Demokratie an, weil diese
in Verbindung mit „allerlei andern Elementen" stets nur Oppo-
sition machen wolle. Das Ministerium aber sei vollständig einig
im vorliegenden Fall, was General Ludwig bestätigt.
Abg. Kusel wiederholt die tausendmal schon gesagte Phrase:
die Lasten und Opfer seien zwar groß, aber nicht zu groß im
Hinblick auf das „Ziel". Er bringt deßhalb die Opfer gerne,
wie früher schon das „freudige Herz von Ladenburg."
Abg. Friderich hält seiner eigenen Sparsamkeit eine große
Lobrede, meint aber, er müsse diesmal eine Ausnahme von der
Regel machen, was er wahrscheinlich aus seinem Geschäfte als
Gastwirth gelernt hat, sintemal es da auch bisweilen vorkommt,
daß der Gastgeber selbst einige Flaschen Champagner springen
läßt. Der Herr Abgeordnete stimmt für die Bewilligung.
Abg. v. Freydorf stimmt aus politischen und moralischen
Gründen für den Entwurf.
Abg. Nokk (MiNisterialrath) stellt ganz ernstlich den Satz
auf: wenn es früher liberal gewesen sei, gegen das Militär zu
wirken, so sei es jetzt liberal, für das Militär zu stimmen. Wir
überlassen es unsern Freunden, das Lachen zu halten. Im
Uebrigen wiederholt der Herr Redner die Phrase vom „Opfer"
und voni „Ziel".
Abg. Holtzmann nennt den Commissionsbericht ein
„Meisterwerk". Wenn der Krieg jetzt nicht komme, werde er spä
ter kommen. Gewiß, Herr Abgeordneter; denn auf Regen folgt
Sonnenschein und umgekehrt, weßhalb schon Eugenspiegel den Son-
nenschein wegen des darauf folgenden Regens beweinte.
Darauf folgt der Abg. Lindau, dessen Rede in der Karls-
ruher Zeitung mit zwei Worten erwähnt wird, während Jolly's
und Kiefer's Weisheit ausführlich mitgetheüt werden. Wir haben
deßhalb die Verpflichtung, Lmdau's Rede vollständig zu bringen,
welche folgendermaßen lautet:
Ich habe nicht die Absicht gehabt, mich an der allgemeinen
Discussion über das vorliegende Contingentsgesetz zu beteiligen,
da ich der Rieinung war, bei den einzelnen Bestimmungen des-
selben mich über die Lasten aussprechen zu sollen, die dem Volke
durch dieselben auferlegt werden. Da der Herr Präsident
des Ministeriums des Innern indessen vorhin dem Abg. v. Feder
seinen Dank ausgesprochen hat, daß er die Kammer über die Ab-

sichten der demokratischen Partei in dieser Frage in's Klare kom-
men ließ, so möchte auch ich nicht verfehlen, den Dank des Herrn
Präsidenten des Ministeriums des Innern zu erndten, indem ich
auch meinerseits mich offen über die allgemeine Frage ausspreche
und dadurch zu einem raschen Entschlüsse der Kammer im Sinne
des Herrn Präsidenten beitrage.
Meine Herren, ich habe seiner Zeit dem in diesem Hause be-
schlossenen Wehrgesetze nicht znstimmen können, weil es in seinem
8 l nur den Einzelnen, jeden Badner als wehrpflichtig er-
klärt, nicht aber auch zu gleicher Zeit der Negierung die Pflicht
auferlegt, jeden Einzelnen, also die Gesammtheit des Volkes, wehr-
fühig zu machen. Ich habe sogleich bei Beginn unserer Session
gelegentlich der Adreßdebatte erklärt, daß unsere Hauptauf-
gabe darin zn bestehen habe, das ganze Volk in den Waffen zu
üben, daß ich aber bestreite, daß die preußische Armeeorganisation
uns das Vorbild hierin sein könne. Dieses System verursacht dem
Staate im Frieden unerschwingliche Opfer und im Kriege läßt es
trotzdem eine sehr große Anzahl wehrfähiger Kräfte unbenützt.
Es stellt zwar eine allgemeine Wehrpflicht auf, führt sie aber nicht
durch. Ich habe schon mehrmals erklärt und fühle mich ganz be-
sonders heute verpflichtet, nochmals zu erklären, daß ich jedem
Deutschen die Pflicht vindicire, die Waffen zu ergreifen in dem
Falle, daß irgend eine auswärtige Macht es versuchen sollte, in
unberechtigter Weise sich m unsere deutschen Verhältnisse einzu-
mischen, allein, meine Herren, über dem Bestreben unsere Wehr-
kraft zu organisiren, dürfen wir in dem begonnenen hohen Fluge
ganz gewiß unsere erste Pflicht nicht übersehen, an 'das Wohl des
Volkes zu denken und gegenüber der Last, die wir dem Volk auf-
erlegen wollen, auch mit der Kraft zu rechnen, ob es diese Last zu
ertragen vermag.
Mit hohen Steuern und vollen Kassen läßt sich leicht orga-
nisiren! Mit besonderer Vorliebe weist man uns in diesem Falle
stets auf Preußen und seine Befreiungskriegs hin, man stellt uns
jene nationale Thaten als Vorbild hin — ich anerkenne sie, ob-
schon ich auch den österreichischen Brüdern einen großen Theil des
endlichen Erfolges zukommen lasse, allein auch ich meinerseits will
. heute Ihnen jene Zeit vorführen, um Ihnen aus derselben zu be-
j weisen, was Alles möglich war in der Noch.
Als nach der Schlacht von Jena das preußische Heer total
zerstreut, der preußische Staat vollständig vernichtet und die ma-
terielle Wohlfahrt des preußischen Volkes in ihren innersten Fugen
erschüttert war, als durch ein Machtwort des Weltherrschers an der
Seine dem verkleinerten Staate Preußen erlaubt war, nur ein
im Verhältniß zu seiner Bevölkerung sehr kleines Heer von
30000 Mann zu halten, da fanden sich die Männer Gneisenau
und Scharnhorst, die es verstanden, mit geringen Kräften und in
wenig Zeit die ganze Wehrkraft des Volkes wehrfähig zu machen
und behielten, indem sie die materielle Wohlfahrt des Volkes nicht
unbeachtet ließen, im Gegentbeil die Stärkung aller Kräfte
im Auge, um sie späler ungeschwächl dem Feinde entgegen-
führen zu können. Meine Herren, in unserer Zeit fehlen die
Gneisenau und Scharnhorst, in unserer Zeit fehlen eben die Genies,
die es verstehen, das Volk im Frieden in den Waffen zu üben,
ohne es zugleich rn seinem materiellen Wohle zu schädigen.
Ich glaube aber ganz besonders betonen zu müssen, daß wir
die materielle Lage unseres Landes heute fest in's Auge zu fassen
haben. Ich will Ihnen heute nicht nochmals eingehend den Noth-
stand vorführen, der unser Volk drückt. Die Ueberzeugung der
Wahrheit meiner Aeußerung dringt auch ohne weitere Auseinander-
setzung hier in diesem Saale in immer weitere Kreise, selbst in
solche, die seither der entgegengesetzten Meinung sich Hingaben. Aber
zu rechnen haben mir heute ganz gewiß mit der Steuerkraft.
Ich gebe zu, daß unsere heutige Berathung die wichtigste der
ganzen Session ist, — desto mehr handelt es sich deßhalb darum,
nüt nüchternem Auge die Verhältnisse zu betrachten. Um was
handelt es sich denn eigentlich in dieser Frage? Darum, ob wir
rm Frieden 7000 Mann Soldaten mehr ausstellen und erhallen
sollen als seither! Nun, diese 7000 Mann geben in einem großen
Entscheidungskampfe den Ausschlag nicht, und wenn man darauf
hingewiesen hat, daß wenn Jeder von diesem Gesichtspunkte aus-
gehe und seiner Pflicht nicht nachkomme, dann das große Ganze
nothleiden könne, so glaube ich Ihnen entgegnen zu müssen, daß
ich die feste Ueberzeugung habe, daß unsere Nachbarstaaten Würt-
temberg und Bayern, die bei dieser Behauptung wohl gemeint wa-
ren, mit der Kraft ihres Volkes rechnen und ganz gewiß nicht mehr
als V^o/o ihrer Bevölkerung im Frieden präsent halten werden.
Auch Sie werden Anspruch darauf machen können, ihrer Pflicht
gegen das gemeinsame Vaterland nicht untren geworden zu sein.
Jedenfalls gebe ich mich der Täuschung nicht hin, als ob ein hier
gefaßter weilergehender Beschluß die Vertretung des Volkes in Bayern
und Württemberg veranlassen werde, weniger nüt der Steuerkraft
ihres Landes zu rechnen, als dies bis jetzt der Fall war.
Wir müssen diese Frage mit nüchternen Augen betrachten,
sagte ich vorhin, und deßhalb muß ich mir erlauben, den Herrn
Präsidenten des Ministeriums des Innern in seinem hohen Fluge
der Begeisterung, den er in seiner gestrigen Rede ««getreten hat,
 
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