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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1868

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Nr. 1-13 (2. Januar - 30. Januar)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43881#0027

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Hard Stay, der in den Jahren 1848 und 49 eine ähnliche Rolle
zu spielen suchte wie seiner Zeit Marat, scheint nunmehr damit
begnadigt worden zu sein, in seinem Organ, welches er jetzt in
Rheinbayern herausgibt, dem Pfälzer Courier, officiöse Mitthei-
lungen zu veröffentlichen. Die Abberufung des Frhrn. v. Türk
heim von seinem Gesandtschaftsposten von Berlin scheint, nach-
dem Schulmeister Stay ihn in seinem Blatte angegriffen hat,
nahe bevorzustehen, ähnlich etwa, wie die Pensionirung des Prof.
A. Stolz nach der jüngsten Kammerrede Bluntschli's beabsichtigt
sein mag. Um schließlich noch einmal der prophetischen Worte
des Frhrn. v. Türkheim zu gedenken, wollen wir hier bemerken,
daß der Abg. Schmetzer große Aussicht hat, eine vacante Kreis-
schulrathsstelle übertragen zu erhalten.
x Bruchsal, 7. Jan. Als vor zwei Jahren die Rede da-
von war, daß die Reserve dahier als Vergnügungsort eingehen
solle, haben wir uns dagegen gewehrt und befanden uns in dieser
Beziehung in schönster Harmonie mit dem Kraichgauboten, was
sonst nicht öfters der Fall ist. Wir hatten ferner auf den neuen
Wirthschaftspüchter ein vollgerütteltes Maß der rosigsten Hoffnun-
gen und waren zum Voraus entzückt, wie die Bruchsarer Welt
an schönen Sommertagen im kühlen Schatten der Kastanienbäume
bei prompter und reeller Bedienung — die Schnacken abge-
rechnet — sich aufs herrlichste amüsiren würde. Doch keine Hoff
nung ist Wahrheit geworden — dafür ist Zeuge die gänzliche
Verödung des Reservfchlößchens, das gegenwärtig höchstens noch
Stoff bietet für einen Elegiendichter. Wie ging das zu? Wir
gehören nicht zu den Eingeweihten dieser verklungenen Wirtschaft,
nur das wissen wir, daß der neue Pächter ein Weib genommen
und der Einladung, die Reserve als geschäftiger Wirth in Flor
zu halten, nicht entsprochen hat, die Obsorge der Wirtschaft einem
sogenannten Zäpfler überließ, von wo ab die Besucher und Stamm-
gäste dieses anmutigen Vergnügungsortes den Kehraus machten.
Es ist uns auch nicht vergönnt, einen Blick in den Wirtschafts-
pachtvertrag zu werfen, doch so viel wissen wir auswendig, daß
derselbe nicht dahin lautet: Pächter hat die Gerechtsame
des Wohnsitzes eines ruhigen Bürgers, der sein Schäflein im
Trockenen hat, und braucht sich um die Wirtschaft nichts zu be-
kümmern rc. Indem wir überzeugt sind, daß die Reserve als
Großherzogliche Domäne und als schönster Vergnügungsort für
Bruchsal einer entsprechenden Wtederlebung werth ist, so überlas-
sen wir uns abermals der angenehmen Hoffnung, daß, wenn die
Kastanien blühen, auch die verödeten Gemächer nach langer un-
freundlicher Erstarrung aufthauen und die Frühlingslüfte wieder
jene alten und getreuen Stammgäste hinanziehen, die während
des Interregnums einander fremd geworden sind.
* Karlsruhe, 10. Jan. (Zweite Kammer.) Tagesordnung:
Bericht des Aog. Friderrch über Posten , Eisenbahnbetriebs-und
Dampfschifffahrtsverwalturig.
Abg. Paravicini hält dem neuen Postvertrag eine aner-
kennende Lobrede, tadelt aber mit Recht, daß der Portosatz für
Fahrpoststücke im innern Verkehr höher geworden sei, auch will
er Portofreiheit für den Verkehr der Gemeinden in Conscriptions-
sachen.
Ministerialrath Poppen vertheidigt die Taxerhöhung rm
inneren Verkehr, was der Bote um so unbegreiflicher findet, als
eine so bedeutende Taxermäßigung im Verkehre mit den auswär-
tigen Ländern eingetreten ist.
Abg. Mühlhäusser stimmt Paravicini bei und wünscht fer-
ner, daß an Stelle des aufgehobenen Portofreithums der milden
Fonds mindestens eine Ermäßigung oer Portosätze trete. Er frägt
die Regierung, ob nicht für kirchliche Stiftungen Aversalbestimmungen
zu treffen seien.
Ministerialrath Poppen antwortet im abschlägigen Sinne.
Abg. Moll wünscht die unentgeltliche Lieferung der Brief
decken beinhalten zu sehen, was von der Regierungsbank abschliO
gig beschieden wird, so daß in Zukunft einzelne oder kleinere Par-
thien Briefcouverten nicht mehr bezogen, sondern nur in größerer
Zahl mit einem entsprechenden Draufgelde erhalten werden können.
Lindau ist gleichfalls dieser Meinung, wobei er besonders
auf Württemberg hinwies, wo die Herstellungskosten für die Brief-
couverten weit billiger seien, als bei uns.
v. Feder stellt den Antrag auf Beibehaltung unentgeldlicher
Briefcouverten; sei dies aber nicht mit den Bestimmungen des
Postvertrages vereinbar, so möge die Regierung sie wenigstens
zum Selbstkostenpreis liefern. Der erste' Theil dieses Antrags
wird abgelehnt, der zweite angenommen.
Eine längere Discussiou entspann sich über die Dauer der
omourbillete. Insbesondere verlangten Lindau und Moll eine
tangere Dauer der Retourbillett, wie dies jetzt auf allen Bahnen
mit Ausnahme der badischen der Fall sei. Retourbillett müssen
eme fünftägige, zum mindesten eine dreitägige Gültigkeit haben,
wenn dadurch dem reisenden Publikum Annehmlichkeit und Vortheil
geboten werden solle. Auch Frey spricht sich für diesen Antrag
aus, der jedoch nach der abschlägigen Antwort der Negierungsbank
mit einer Majorität von nur zwei oder drei Stimmen verworfen
wird.

Moll und Lenz verlangen eine Herabsetzung der Gepäck-
taxen.
Nicolai und Fridrich sprechen sich dagegen aus.
Moll tadelt, daß zu den Schnell- und Nachtzügen in der
Regel die ältesten Wagen verwendet würden. Ministerialrath
Poppen behauptet, die alten und neuen Wagen seien durcheinander
gemischt und würden die alten nicht besonders für die angegebenen
Züge herausgelesen. Abg. Frider ich billigt die Verwendung der
alten Wagen zu Nachtzügen, weil hier die Leute es sich möglichst
bequem machten und dabei die Wagen rasch ruinirt würden.
Abg. Moll verlangt die Wiederrichtung eines Nachttelegra-
phenbüreaus in Mannheim, wie dies früher der Fall gewesen sei.
Abg. Nicolai spricht sich dagegen aus: Mannheim habe eine
Nachttelegraphenstation nicht nölhig; in Karlsruhe sei dies etwas
anderes, denn hier sei die Centralstation.
Abg. Eschbacher wünscht die Einführung des sog. pennsil-
vanischen Systems der Eisenbahnwagen, worauf ihm Ministerial-
ralh Poppen erwiedert, die Kammer habe sich bis jetzt immer
für das geltende System ausgesprochen, eine Aeußerung, die der
Bote nicht blos auf das Wagensystem beschränkt sehen möchte.
Daraus werden alle Commissionsanträge gut geheißen.
Darmstadt, 8. Jan. Ein gutes englisches Sprichwort sagt:
l)6gin8 ab lloms, d. h. rechtes Wohlthun fängt daheim
an. Es fällt uns dieß unwillkürlich bei, wenn wir in den hiesi-
gen Blättern die öffentlichen Aufforderungen lesen, der Noth in
Ostpreußen steuern zu helfen. Gewiß ist unser Herz von der leb-
haftesten Sympathie für die Unglücklichen, welche dort den bitter-
sten Mangel leiden, erfüllt, und ebenso wenig leitet uns die eng-
herzige Ansicht, daß uns in Hessen der Nothstand in Preußen nichts
angehe. Wo ein Theil der Nation leidet, muß es das Ganze
Mitempfinden, aber vergessen wir darüber nicht, uns auch nach
dem umzusehen, was uns am Nächsten liegt. In hiesiger Stadt
hat man dafür auch bereits die erforderlichen Schritte gethan;
in den nächsten Tagen wird eine Suppenanstalt ins Leben treten,
die äußerst wohlthätig für die unteren Claffen werden muß, und
sie kann um so schneller organisirt werden, als man vorsorglich
aus den Zeilen früherer Noth einen kleinen Fonds bewahrt hat,
welcher für den Anfang die nothwendigen Ausgaben deckt. Da
dieser jedoch für die Dauer nicht ausreicht, müssen noch andere
Mittel beschafft werden, und mit Recht sehen sich die menschen-
freundlichen Unternehmer dadurch in ein natürliches Dilemma
versetzt, das stets größer werden wird, je mehr man sich genöthigt
sieht, immer und immer wieder die Privatwohlthätigkeit in An-
spruch zu nehmen. So schön und gerechtfertigt nun auch diese
Bedenken sind — denn wahrlich selbst auf dem anscheinend wohl-
habenden Privatmanne lasten die gegenwärtigen Verhältnisse oft
mit drückender Schwere — so muß man sie doch wohl in diesem
Falle bekämpfen und sich sagen, daß, wenn man den Zweck will,
man auch das Mittel, das einzige, das ihn erfüllt, nicht scheuen
darf. Für Darmstadt wäre also gesorgt, wie aber steht es mit
unserem hessischen Ostpreußen, dem Ooenwalde, aus dem uns die
betrübendsten Nachrichten zugehen und sich jedenfalls von Tag zu
Tag noch dunkler färben werden? In Hirschhorn ist die Noch
bereits so groß, daß täglich einige Kinder in der Schule aus
Hunger ohnmächtig werden und in der nolhdürftigsten Bekleidung,
oft ohne Slrümpfe, man sagt sogar, ganz barfuß dahin kommen.
Gewiß würde es sich sehr der Mühe verlohnen, über diese Ver-
hältnisse nähere Erkundigungen eiuzuziehen, da die Nachrichten
von dort um so glaubhafter sind, als ja gewöhnlich in diesen Thei-
len des Odenwaldes, in Folge des Mangels jeglicher Industrie,
die den fehlenden Ackerbau ersetzt, große Anmuth herrscht. Wen-
den wir darum vorerst unsere Blicke dorthin, steuern wir dem
Elend in unserer Nähe, ehe wir in die Ferne schweifen, denn,
noch einmal sei es gesagt: ellarit/ OsZins ut lloras! (H. L. Z.)
München, 9. Jan. Abgeordnetenkammer. Aus Jordan's
Interpellation antwortet der Kriegsminister: Die Frage wegen
oer Einführung einer neuen Schießwaffe werde in der nächsten
Zeit zum Abschluß gelangen. Neben der Güte des Gewehrs werde
oie möglichste Gleichheit des Calibers nut der der übrigen deut-
schen Truppen angestrebt. Der Kostenaufwand werde 4^/? Millio-
nen betragen. Das Zündnadelgewehr sei nicht eingeführt worden,
weil es durch neuere Erfindungen überholt sei.
Norddeutscher Bund.
Wallmerod in Nassau, 6. Jan. Eine der merkwürdig-
sten von all' den katholischen Kundgebungen, deren fast jedes Ihrer
Blätter seit Wochen mehrere zu berichten hat, ist zweifelsohne die
heute hier abgehaltene Versammlung. Von Hrn. Grafen Wilderich
von Walderdorff auf Schloß Molsberg und seinem Bruder Graf
Richaro berufen, hatten sich trotz des Schneefalls der letzten Tage
an 4000 Bauern des Westerwaldes um 2 Uhr nach Mittag vor
dem Locale eingefunden, das kaum den achten Theil gefaßt haben
würde. Der Geoanke, die Masse zu halberen oder nach einer be-
nachbarten Pfarrkirche zu ziehen, mußte bei so Ungeheuern Dimen-
sionen aufgegsben werden. Kurz resolvin, schlug der Graf den
Männern vor, rm Freien zu bleiben, man werde vom Fenster
Zu ihnen reden. Er kannte feine Leute. Ueber zwei Stunden
 
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