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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929

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Villon, Pierre: Ein Wohnhausblock in Los Angeles: erbaut von Architekt Richard J. Neutra, Los Angeles
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https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0146

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EIN WOHNHAUSBLOCK IN LOS ANGELES

Erbaut von Architekt Richard J. Neutra, Los Angeles

In Zeiten einer starken Tradition braucht der Ar-
chitekt nichts anderes zu sein als ein guter Kon-
strukteur mit Sinn für Raum, Farbe, Proportion und
für die besonderen Bedürfnisse des Bauherrn. In
Ausnahmezeiten wie der unsrigen, in denen weder
eine baulich-technische Überlieferung lebt, noch die
Wohnkultur sich den sozialen Umwälzungen ange-
paßt hat, muß er weit über der Berufsroutine stehen,
um befruchtend auf die Gestaltung seiner Zeit ein-
wirken zu können.

Richard J. Neutra wurde plötzlich bekannt, als
sein Buch „Wie baut Amerika" vor zwei Jahren in
Stuttgart erschien. In diesem Werk zeigte er sich
als ein Architekt, wie ihn die heutige Baukunst
braucht: klug und bewußt die wirtschaftlichen Zu-
sammenhänge erkennend, die sozialen Notwendig-
keiten sichtend, ein sicherer Ingenieur, unromantisch
und unmodisch, aber ganz in der Gegenwart stehend
und sie von innen heraus durchfühlend. Vor ihm
und nach ihm haben reisende Kunstwissenschaftler
und anregungsbedürftige, europäische Architekten
die amerikanischen Ingenieurbauten und die gigan-
tisch-romantische Silhouette von Manhattan ent-
deckt.

Neutra hingegen zeigte uns, warum Amerika
lange vor Europa die einzelnen Bauteile in bester
Qualität und großer Serienfabrikation herzustellen
begann. Er beschrieb uns endlich, wie ein typisches
Hochhaus geplant, gebaut und organisiert wird. Er
erklärte uns die Baugesetzgebung von Chikago und
New York. Er deckte das Streben der neuen Land-
hausbauten auf, den Garten mit dem Innern ein Gan-

zes werden zu lassen, und er wies uns auf neue,
billige Konstruktionssysteme hin. So lernten wir
durch ihn kennen, was wertvoll ist an amerika-
nischem Bauen, was bestehen bleiben wird, was
uns eine Lehre sein kann oder eine Warnung. Wir
erwarteten Neues und Wertvolles von ihm, auch
wenn er uns eigene Bauten zeigen würde. Er hat
uns nicht enttäuscht.

Wir wissen alle, daß die durchschnittliche Miet-
hauswohnung, wie wir sie in München und Bukarest,
in Paris und Berlin finden, unmöglich ist. Sie be-
steht aus einigen Zimmern, die zu groß sind als
Schlaf- oder Eßräume, zu klein aber als Wohnräume.
Weder in ihrer Lage noch der inneren Einrichtung
entsprechen die Zimmer und die Wirtschaftsräume
den neuen Bedürfnissen, die einerseits bestimmt
sind durch die Notwendigkeit der Ruhe und Hygiene
nach achtstündiger Arbeit in geschlossenen Räumen
und dem Lärm der Stadt, andererseits dadurch, daß
die Frau die häusliche Arbeit selber machen muß
und oft ebenfalls beruflich tätig ist.

Die Stellung von Herd und Spültisch erschwert
die Verrichtungen in der Küche, da sie ganz ohne
Berücksichtigung des Arbeitsvorgangs eingebaut
werden. Wandschränke fehlen ganz, ebenso wie in
den Schlafzimmern. Diese werden oft durch einen
geschlossenen Hof belichtet und entlüftet. Die Fen-
ster sind im allgemeinen zu klein, zu hoch an die
Decke und zu nah an den Boden gehend, so daß
sie im Winter Zugluft und Wärmeverluste erzeugen,
die nicht einmal durch reichliches Tageslicht auf-
gewogen werden. Die Lage der verschiedenen

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