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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929

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Riezler, Walter: 1932
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https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0021

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nung durch das mutige Vorgehen der Stuttgarter
Stadtverwaltung im letzten Jahre gefördert
wurde!

Man wird ganz allgemein sagen dürfen: die
Ausstellung wird ihrer Idee nur dienen können,
wenn man über das, was ohnehin vorhanden ist
oder doch ohnehin in diesen Jahren entstanden
wäre, weit hinausgeht. Man wird nicht nur, in
den für die Zeit der Ausstellung zu errichtenden
Bauten, nun endlich einmal von den phantasti-
schen Möglichkeiten, die die neuen Baustoffe
bieten, ausgiebigsten Gebrauch machen müssen.
Man wird auch sonst vieles wagen dürfen, was
ohne diese Ausstellung noch auf Verwirklichung
warten müßte, was aber der Idee der neuen Zeit
dient, und man wird sich dabei nicht vor ein-
zelnen Fehlgriffen fürchten dürfen. Man wird
vielleicht sogar — ich wage das an dieser Stelle
kaum auszusprechen! — dabei manchmal sich
gegen das Gebot der „Qualität" versündigen
müssen, weil die „Qualität", so wie sie der Werk-
bund versteht und auch sicher für die übliche
Produktion fordern muß, nur als Ergebnis einer
Entwicklung zu erreichen ist, während es sich
auf dieser Ausstellung auch in besonderen Fällen
darum handeln muß, eine neue Entwicklung erst
einzuleiten, daher erst einmal notdürftige Lösun-
gen zu bieten. Die „geistige Qualität" allerdings,
so wie sie Mies van der Rohe versteht, muß dabei
gewahrt bleiben. In ihr allein liegt die Gewähr,
daß auch das Vorläufige, bald Überholte nicht
nutzlos vertane Mühe bedeutet.

Noch manches gibt es, was sich zwar nicht
mehr in ein Schaubares verwandeln läßt, was
aber so wesentlich zum Bilde der neuen Zeit
gehört, daß es auf der Ausstellung nicht fehlen
darf. Daß neben dem Theater und dem Licht-
spiel auch die neue Musik nicht fehlen darf, dar-
über braucht man kein Wort zu verlieren. Sie,
die vielleicht zu den wesentlichsten Äußerungen
des neuen Geistes gehört, wird auf großen
Musikfesten vorzuführen sein. Daß auch das
Radio mit allem, was bis 1932 vielleicht noch
neu entstanden sein wird, dorthin gehört, steht
ebenfalls außer Zweifel. Hier wird man ganz be-
sonders darauf sehen müssen, daß kein chaoti-
sches Nebeneinander — so wie es bisher auf
allen Ausstellungen zu merken war — herrscht,
sondern daß die Technik in den Dienst der Aus-
stellungsidee tritt. Aber ernsthafter, schwieriger
und dabei nicht zu umgehen ist die Frage, ob es
möglich ist, von dem neuen Weltbild der Wissen-
schaft, vor allem der Physik und Mathematik,
aber auch der Philosophie, auf der Ausstellung
Kunde zu geben. Daß es möglich sein wird,
dieses Weltbild sozusagen sichtbar zu machen,

wie man im Deutschen Museum in München die
Entwicklung des Kopernikanischen Weltsystems
studieren kann, glaube ich nicht, — weil es sich
hierbei um Theorien handelt, deren reine Geistig-
keit sich jeder Anschauung entzieht. Wohl aber
müßten in diesem Jahre in Köln die Gelehrten
der ganzen Welt zusammenkommen, um auf
Kongressen die letzten geistigen Probleme der
neuen Zeit zu behandeln und dadurch zu fördern.
Vielleicht wird es bis dahin möglich sein, wenig-
stens einen Abglanz der Theorien der nicht
wissenschaftlich durchgebildeten Menschheit zu-
gänglich zu machen, — oder doch den inneren
Zusammenhang dieser Theorien mit den übrigen
Fragen der Zeit, mit Technik, Kunst und Mensch-
lichkeit anzudeuten.

Und nun ist mit keinem Worte noch von den-
jenigen Dingen die Rede gewesen, die noch
1914 fast den einzigen Inhalt der großen Werk-
bundaussteliung in Köln bildeten: vom „Kunst-
gewerbe". Daß dieses nicht zu den „entstehen-
den" Dingen gehört, nicht eigentlich für die
„Neue Zeit" bezeichnend ist, steht fest. Trotz-
dem darf es nicht fehlen. Denn noch ist nicht
überall etwas anderes, Neues an die Stelle ge-
treten, noch ist es nicht entschieden, ob dies
jemals geschehen wird, oder ob ein Luxusbe-
dürfnis nach individuell geformten Dingen auch
in der neuen Menschheit erhalten bleiben wird.
Das Kunstgewerbe wird also 1932 sehr wohl zu
zeigen sein, vor allem im Zusammenhang mit der
Frage des neuen Luxus. Denn wenn auch in
einem Maße, wie niemals zuvor, die Form der Zeit
bestimmt wird durch die Bedürfnisse und
Lebensmöglichkeiten der Masse, und wenn auch
die Frage der Durchformung dieser Bedürfnisse
für die große Ausstellung von besonderer Be-
deutung ist, so wäre es ein schwerer Fehler,
wollte man das Dasein eines Luxus übersehen.
Wirtschaftlich sind die Bedürfnisse des Luxus
wie überhaupt so auch für die Ausstellung un-
entbehrlich, — und für die Idee der Ausstellung
ist die Frage, welcher Art der Luxus des neuen
Weltalters sein wird, von großer Bedeutung.

Diese Ausführungen, in die viele Gedanken
und Vorschläge, die bei den Vorverhandlungen
von verschiedenen Seiten geäußert wurden, auf-
genommen sind, sollen nichts sein wie ein
Versuch, den augenblicklichen Stand des Pro-
blemes, so wie ich es sehe, zu bezeichnen. Es
wird vor allem die Aufgabe dieses Jahres sein,
in gemeinsamer Arbeit das Problem zu durch-
denken und dadurch allmählich zur Reife zu
bringen. W. Riezler

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