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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929

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Renner, Paul: Warum geben wir an Kunstschulen immer noch Schreibunterricht?
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https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0078

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in einem Spiegel die geistige Klarheit ihres
menschlichen Urhebers. Der Ausdruckswert der
Maschinenarbeit ist immer nur spiritueller, geisti-
ger Art, während der Ausdruck der Handarbeit
darüber hinaus noch unmittelbar, vital ist, weil
Handarbeit die Spur menschlicher Bewegungen,
menschlicher Ausdrucksbewegungen ist.

Höheres oder geringeres FORMNIVEAU zeigt
sich im Handwerk wie im Maschinenprodukt;
beide können jene gesteigerte Sichtbarkeit
haben, die den Gegenstand bildhaft macht, so
daß sich sein Bild sofort zu den übrigen Bildern
gesellt, aus denen die Phantasie unsere Umwelt
aufgebaut hat. Aber die Maschinenarbeit wird
immer schlecht, wenn sie außerdem noch die
menschliche Ausdrucksbewegung vorzutäuschen
sucht, die dem Handwerk allein vorbehalten ist;
und die Handarbeit wird zu einer peinlichen
Selbstquälerei, wenn sie ihre eigene Spur zu ver-
wischen und die von der Maschine mühelos er-
reichte Exaktheit nachzuahmen bemüht ist. Die
Kalligraphie der Zeit nach Gutenbergs Erfindung
ist so ein unglücklicher Versuch, mit der Ge-
nauigkeit des Druckers in Wettbewerb zu treten;
wie natürlich, wie lebendig war dagegen die Hand-
schrift der alten Buch-Schreiber! Jetzt erst hört
man auf, den ABC-Schützen mit den Schrift-
formen der Kupferstecher und Graveure zu pla-
gen. Aber bedroht diese Kalligraphie
nichtheutedasganzeHandwerk? Sind
wir uns wirklich darüber klar, daß Cezanne,
Rodin, Corinth auch im Maschinenzeitalter die
starken, die gegenwärtigen Maler und Bildner
sind und bleiben? Hat man eingesehen, daß geo-
metrische Konstruktionen mit Lineal und Zirkel
in diesen freihändigen Techniken keineswegs
die höhere Qualität gewährleisten?---

Ich muß zum Schluß eilen und kann nur am
Beispiel des Schreibunterrichts die Folgerungen
aus dem bisher Gesagten ziehen: Wer mit unse-
rer Zeit lebt, hat eine klare Vorstellung von den
Schriftzeichen, die zu ihrer Formenwelt gehören,
zum Stil der Kleidung, Verkehrsmittel, Möbel und
Bauten. Es kann sich also niemals darum han-
deln, mechanisch oder im Handwerk andere
Schriftzeichen zu machen, als die der Schrift
unserer Zeit. Daß sie ihre Formgebung nicht
der Handschrift verdankt, wissen wir. Wenn wir
aber diese Zeichen, deren Bild in unserer Phan-

tasie lebt, verwirklichen, dann haben wir uns den
Gesetzen der Technik zu fügen, in der wir es
zu einer Leistung von Qualität bringen wollen. Es
ist das Verdienst von Johnston und Larisch, daß
dies bei den kleinen mit der Feder geschriebenen
Schriften auch immer geschieht. In der Schilder-
malerei sieht es aber noch schlimm aus. Auch
die schmucklosen Groteskschriften lassen sich
freihändig aufbauen und werden dann viel bes-
ser, als wenn man Lineal und Zirkel zu Hilfe
nimmt. Aber das erfordert eine Schulung, die
nirgends geboten wird. Es gibt ja heute viele
Techniken, die Ersatz bieten für die gemalte
Schrift, ausgesägte Sperrholzbuchstaben usw.
Aber auch hier müssen die Schriftzeichen einmal
entworfen werden. Zum FORMNIVEAU, das
jede Art von Schrift hat, wenn sie gut ist, und
nicht hat, wenn sie schlecht ist, kann ein Schüler
nur durch einen Schreibunterricht erzogen wer-
den, der mit dem Formproblem der Schrift und
dem Formproblem an sich vertraut macht. Selbst
dann, wenn Form-Niveau und Begabung durch
Unterricht nicht zu heben wären, würde wenig-
stens der Schüler die Schranken seines Könnens
erfahren; auch in der künstlerischen Bildung ist
das Wissen um diese GRENZEN fast ebenso
wichtig wie das Können selbst. Da jeder seit
dem sechsten Lebensjahr die Technik des
Schreibens ausübt, kann der richtige Lehrer hier
zu einer WESENSERKENNTNIS führen, wel-
che die geistige Bewältigung jeder anderen
Technik, auch jeder mechanischen fördert.

Daß ein solcher Unterricht Gefahren hat, weiß
ich. Jede Pflege einer handwerklichen Technik
hat gegen die Übermacht der alten, historischen
Vorbilder zu kämpfen. Auch der Schreibunter-
richt kann in der Hand eines unfähigen Lehrers
zur Vorliebe für gotisches Gestühl, Renaissance-
Gerümpel, Barockkommoden, Rokoko - Spiegel
und die dazu passenden Schriftzeichen führen.
Es wird ja immer noch erbittert für eine solche
Trödelladen-Typographie gekämpft.

Aber auf der anderen Seite droht die nicht
kleinere Gefahr, daß wir OHNE diesen Unter-
richt überhaupt verlernen, was Formniveau in der
Schrift ist, und daß wir zuletzt aus lauter Angst
vor Formalismus und Ästhetentum das Gefühl
für die Qualität der Form verlieren.

Paul Renner

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