Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929
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https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0113
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Reinhardt, Ernst: Gestaltung der Lichtreklame
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verwendet wird, einen Wesenszug, der es, in
künstlerischem Sinn genommen, grundsätzlich
vom Tageslicht unterscheidet. Das ist das Zer-
stören aller festen Form und das Eintauchen der
beleuchteten Objekte in einen Lichtstrom, wor-
auf schon mehrfach in dieser Ausführung hinge-
wiesen wurde. Das Tageslicht ist uns etwas
Selbstverständliches. Wir nehmen es nicht mehr
als formenden Bestandteil, sondern rein als Not-
wendigkeit, um die Formen erkennen zu können.
Das künstliche Licht dagegen läßt sich formen,
richten, mildern, färben. Über das Tageslicht
haben wir viel weniger Macht. Der Gotiker hat
es gemildert und gefärbt durch seine Glasfen-
ster; davon sind wir heute abgekommen, wenig-
stens verwenden wir nicht mehr die künstlerische
Raumwirkung des gemilderten und gefärbten
Tageslichts. Dagegen das künstliche Licht gibt
uns die Möglichkeit, die Gegenstände zu verklä-
ren, weil wir sie entmaterialisieren.
So merkwürdig es klingt, so ergibt sich doch
nach all dem Gesagten, daß erst die Licht-
reklame, die aus kaufmännischer Einsicht gebo-
ren ist und die Technik zur Schaffung neuer
Möglichkeiten angeregt hat, uns auf einen neuen
künstlerischen Schaffensstoff hingewiesen hat,
der bisher ungewertet lag. Wenn es nun Leute
gibt, die der Lichtreklame den Kampf ansagen
wollen, die behaupten, daß sie das Stadtbild ver-
schandele, und wenn ganze Stadtverwaltungen
sich gegen die Anbringung von Lichtreklame
wehren, so muß man diesen Gegnern der Licht-
reklame nicht nur alle Einsicht in die Erforder-
nisse des heutigen Lebens absprechen, sondern
auch den Sinn für wahre künstlerische Werte.
Wer kann eine gutgebildete Reklame aus blauen
und roten Neonröhren sehen, ohne erfreut zu
sein über den Anblick, wie diese wundervoll far-
bigen Striche im Dunkel stehen? Wer Berlin
nachts vom Potsdamer oder Anhalter Bahnhof
Nachtaufnahme
-des gegenüber abgebildeten Gebäudes.
Die Schrift wird jetzt erst bei der Durch-
leuchtung der Milchglasplatten sichtbar
II-
künstlerischem Sinn genommen, grundsätzlich
vom Tageslicht unterscheidet. Das ist das Zer-
stören aller festen Form und das Eintauchen der
beleuchteten Objekte in einen Lichtstrom, wor-
auf schon mehrfach in dieser Ausführung hinge-
wiesen wurde. Das Tageslicht ist uns etwas
Selbstverständliches. Wir nehmen es nicht mehr
als formenden Bestandteil, sondern rein als Not-
wendigkeit, um die Formen erkennen zu können.
Das künstliche Licht dagegen läßt sich formen,
richten, mildern, färben. Über das Tageslicht
haben wir viel weniger Macht. Der Gotiker hat
es gemildert und gefärbt durch seine Glasfen-
ster; davon sind wir heute abgekommen, wenig-
stens verwenden wir nicht mehr die künstlerische
Raumwirkung des gemilderten und gefärbten
Tageslichts. Dagegen das künstliche Licht gibt
uns die Möglichkeit, die Gegenstände zu verklä-
ren, weil wir sie entmaterialisieren.
So merkwürdig es klingt, so ergibt sich doch
nach all dem Gesagten, daß erst die Licht-
reklame, die aus kaufmännischer Einsicht gebo-
ren ist und die Technik zur Schaffung neuer
Möglichkeiten angeregt hat, uns auf einen neuen
künstlerischen Schaffensstoff hingewiesen hat,
der bisher ungewertet lag. Wenn es nun Leute
gibt, die der Lichtreklame den Kampf ansagen
wollen, die behaupten, daß sie das Stadtbild ver-
schandele, und wenn ganze Stadtverwaltungen
sich gegen die Anbringung von Lichtreklame
wehren, so muß man diesen Gegnern der Licht-
reklame nicht nur alle Einsicht in die Erforder-
nisse des heutigen Lebens absprechen, sondern
auch den Sinn für wahre künstlerische Werte.
Wer kann eine gutgebildete Reklame aus blauen
und roten Neonröhren sehen, ohne erfreut zu
sein über den Anblick, wie diese wundervoll far-
bigen Striche im Dunkel stehen? Wer Berlin
nachts vom Potsdamer oder Anhalter Bahnhof
Nachtaufnahme
-des gegenüber abgebildeten Gebäudes.
Die Schrift wird jetzt erst bei der Durch-
leuchtung der Milchglasplatten sichtbar
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