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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929

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Wichert, Fritz: Die Frankfurter Schule für freie und angewandte Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0401

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erscheint. Künstlerische Fantasie, handwerkliche
Übung werden auch bei weitestgehender Technisie-
rung und Industrialisierung für die Erzielung von
Qualitätsleistungen unentbehrlich bleiben. Wir be-
sitzen nun Institute, deren Aufgabe es zu sein hätte,
der freien Kunst, dem Handwerk und der industrie-
mäßigen Gestaltung zu dienen. Sie alle müssen sich
heute auf die Erziehung zum Können und zur Quali-
tätsleistung im Rahmen ihrer besonderen Aufgabe
organisieren. Erst wenn ihnen das gelingt, wenn
System und Methode diesem letzten und hauptsäch-
lichsten Zweck entsprechen, ist ihre Daseinsberech-
tigung wieder erwiesen.

Auf welchem Wege hat nun die Frankfurter Kunst-
schule die gestellte Aufgabe zu erfüllen versucht?

Polarität als Grundsatz.

Eine Kunstschule soll also der Qualität dienen.
Aber Qualität ist ohne eine ganz bestimmte Be-
ziehung zur Gegenwart und Zukunft nicht denkbar.
Eine noch so fein erfundene, noch so einheitlich
durchgegliederte Arbeit, sofern sie den Ausdruck
abgestorbener Epochen trägt, kann diese lebendige
Qualität nicht haben. So hat der Historizismus auch
in der angewandten Kunst seine Rolle ausgespielt.
Und es erscheint selbstverständlich, daß ein Insti-
tut für künstlerische Gestaltung sich bei der Wahl
seiner Lehrer ausschließlich an die Bahnbrecher hält.

Aber ganz so einfach liegen die Dinge doch nicht.
Auch die Gestaltung bewegt sich durch Ausgleich
gegensätzlicher Kräfte vorwärts. Eine Lehranstalt
ist nicht dazu da, als künstlerisches Einzelwesen
nach außen zu wirken und sich für diese Aufgabe
— gleichsam faschistisch — zu totalisieren. Sie
kann damit natürlich kräftige Wirkungen erzielen
und manches für die Verbreitung einer bestimmten

„Richtung" leisten. Man wird aber nicht bestreiten
können, daß diese Einstellung gefährlich ist. Ein der-
artig radikal durchkonstruiertes Institut besitzt nicht
die Wandlungsfähigkeit und Spannkraft, die allein
Dauer verleihen. Ohne Zweifel ist es besser, das
Gegensätzliche nicht zu scheuen und dem Wirken
dualistischer, polarischer Kräfte, wie im Leben so
auch in der Schule, Spielraum zu gönnen.

Radikalismus ist leicht. Höchste Leistung stellt
sich fast immer dar als ein Zusammenzwingen von
Elementen, die unvereinbar scheinen. Von jedem
dieser Elemente soll ein Höchstmaß im Endergebnis
stecken. Die Bildhauerkunst bietet für diese Fest-
stellung Beispiel über Beispiel. Die beiden Pole sind
Natur und mathematische Grundform. Organische,
konkrete, irregulär und einmalig wirkende Lebens-
fülle in unendlicher Mannigfaltigkeit und auf der
anderen Seite die geometrische oder stereometri-
sche Abstraktion, also die Sinnbilder der Maßhaf-
tigkeit wie Linie, Kreis, Quadrat, Kugel usw.

Das Zutagetreten des Gesetzmäßigen, die Regu-
larität in der Erscheinung wird von uns als Ruhe und
Größe empfunden. Aber das organische Leben läßt
sich in seiner Darstellung nur bis zu einem gewissen
Grade stereometisieren. Klassische Reife vereinigt
beides: das Leben und die Grundform! So ist es
bei allen reifen Leistungen der Bildhauerei gewe-
sen: in Ostasien, in Indien, in Ägypten, in Griechen-
land und im mittelalterlichen Europa.

Ein anderer treffender Beleg für unsere Feststel-
lung findet sich im Wesen der Architektur. Hier sind
die Pole Funktion, Zweckerfüllung, Materialbedingt-
heit auf der einen und Ausdrucksgesetz auf der
anderen Seite. Das Übergewicht liegt bald bei dem
einen, bald bei dem anderen Pol. Daß zum Beispiel
die architektonische Erneuerungsbewegung in dem

O.DIEHL

FRANKFURT, 2.0.3.29.

Plastisches Gestalten

Vorklasse, Lehrer J. Hartwig

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