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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929

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Wichert, Fritz: Die Frankfurter Schule für freie und angewandte Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0403

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dieses Kennzeichen unserer Arbeit werden wir noch
öfter zurückkommen, so bei der Besprechung des
Zeichenunterrichts und der des besonderen Wertes
der akademischen Schulung für unsere Zeit.

Wo immer man den Aufgabenkreis einer Schule
für künstlerisches Schaffen betritt, zeigt sich diese
problematische Zweiteiligkeit. Da ist als erstes der
Gegensatz: freie und angewandte Kunst. Wie
stehen sie zueinander, sind sie vielleicht doch ab-
hängiger voneinander als wir glauben? Welches sind
die idealen Forderungen, die für beide im Hinblick
auf einen Lehrplan erhoben werden müssen? Das
Gegenüber — Natur und Kunst, irreguläre Erschei-
nungsfülle und abstrakte Grundform — wird wesent-
lich für die Methode fast der meisten Abteilungen,
nicht zum mindesten für die Arbeit in den Vorberei-
tungsklassen. Die Ausbildung der Fähigkeit des Dar-
stellens bewegt sich ebenfalls auf doppelter Bahn:
Zeichnen nach Gegenständen und Zeichnen aus der
Vorstellung: Erleben der äußeren und Erleben der
inneren Welt.

Über die Möglichkeiten des Handwerks und der
handwerklichen Künstlerschaft im Gegensatz zur
maschinellen und industriellen Gestaltung ist schon
manches gesagt worden. Auch dieser Gegensatz
macht sich im Betrieb einer Kunstschule aufs
schärfste geltend. Er bringt zahlreiche Störungen
und Schwierigkeiten mit sich. Er kann aber auch
fruchtbar gemacht werden, sobald man einsieht, daß
mit einem strengen Entweder-Oder keine Lösung zu
finden ist. Die am schwersten zu überbrückende
Zweiheit läßt sich andeuten mit Worten wie „Zweck-
tätigkeit oder Ausdruckstätigkeit", „idealistische
oder materialistische Einstellung", „reine Entfaltung
oder Finalität (zielgebundenes Wollen)", „Kunst oder
Gewerbe".

Sollen junge Talente zur Qualität erzogen werden
und soll sich Qualität als reiner Ausdruck herrschen-
der Lebensströme durchsetzen, so muß dies mit dem
Bewußtsein geschehen, daß nichts die Ausbildung
gültiger Formen mehr gefährdet als die Verbindung
künstlerischen Schaffens mit dem Getriebe wirt-
schaftlicher Nutzbarmachung. Kunst und Gewerbe
sind im Grunde genommen unvereinbar. Alle Ver-
irrung und Verwirrung auf dem Gebiet der Gestal-
tung läßt sich fast ausnahmslos auf die Einwirkung
materialistischer Mächte zurückführen. Deshalb ist
es heute mehr denn je eine Forderung der Erziehung
zur Kunst, daß wir die Notwendigkeit ideeller Unab-
hängigkeit des Kunstschaffens betonen. Wer sich
getrieben fühlt, den schweren Weg des künstleri-
schen Gestalters zu beschreiten, der soll sich dar-
über klar sein, daß ihn sein Entschluß einem prome-
theischen Leidensschicksal entgegenführen kann.
Herstellung anständig geformter Gebrauchsware ist
durchaus ehrenwert und eine für die Allgemeinheit
nützliche Beschäftigung. Sie hängt ja auch mit der
Kunst aufs engste zusammen, da sie von ihr die
Grundprinzipien der Formgebung übernimmt. Aber
selbst da, wo die Erziehung des jungen Künstlers
auf eine praktische Verwendung seiner Gabe abzielt
wie in der angewandten Kunst, sollte immer wieder
auf die Gefahr der Rücksichtnahme auf Gewerbe,
Handel und materiellen Nutzen hingewiesen werden.
Dem jungen Künstler sei das Ringen um Ausdruck,
um die Wiedergabe innersten Erlebens, um Intensi-

tät der Anschauung, um neue höhere Menschlichkeit
letztes und einzig geltendes Gebot.

Kunst und Gewerbe! Hier offenbart sich die
größte, in der Aufgabe der Kunstschulen liegende
Spannung. In dem Maß, in welchem es einer sol-
chen Schule gelingt, diese Spannung zu über-
brücken, oder besser noch den Gegensatz frucht-
bar zu machen, indem sie aus der Beziehung zum
Gewerbe den Hebel zur Verbreitung von Qualität
gewinnt, im selben Maß kann sie ihr Problem als
gelöst betrachten.

Natur und Kunst.

Die Natur, oder wenigstens die Darstellung von
Naturgegenständen, ist in der letzten Zeit bei vielen
Schaffenden in Verruf gewesen. Diese Bewegung
hat noch keineswegs ihre volle Auswirkung erreicht.
Noch immer gibt es Leute, die es für völlig über-
flüssig halten, daß sich bildnerische Talente weiter-
hin mit dem Naturerlebnis abgeben und es in irgend-
einer Form zu gestalten versuchen. Solche Ver-
suche werden als „Blümchenmalerei" mit gering-
schätzendem Lächeln abgetan. Man fordert „Form,
strenge harte Form, Erfüllung von Notwendigkeiten,
Beschäftigung mit der Funktion, Sachlichkeit" (die
für viele allerdings nichts anderes ist als die Siche-
rung der materiellen Einträglichkeit), „Materialstu-
dium" und so weiter. Aber das Zeichnen nach der
Natur sei abgetan.

Diese Erscheinung müßte ganz allgemein und dann
in ihrer Bedeutung für die Kunsterziehung betrach-
tet werden. Ganz allgemein ist sie zwar auch nicht
ohne weiteres zu erklären, aber doch zu verstehen.
Es ist denkbar, daß junge Künstler, besonders Archi-
tekten, in einem instinktiven Rationalisierungsbestre-
ben keine Kraft mehr an das Naturerlebnis wenden
mögen. Ihnen ist dies Erlebnis in seiner ganzen rei-
chen Mannigfaltigkeit selbstverständlicher Bewußt-
seinsvorrat, den weiter zu pflegen und zu ergänzen
sie für Kraftverschwendung halten. Aber die Ableh-
nung des Naturstudiums erfolgt gewöhnlich mit so
viel Leidenschaft, daß es sich verlohnt, den Grün-
den für diese Einstellung weiter nachzuforschen.

Die größte Gabe der Kunst des 19. Jahrhunderts
ist eine unerhört innige Beziehung des Menschen zur
Natur. Eine Freude an der Landschaft, wie sie nie
vorher war: an der leuchtenden Blume, am Wiesen-
tal, am Waldbach, an jeder Art landschaftlicher For-
mation. Jeder Abschnitt der Malerei des 19. Jahr-
hunderts, von den Romantikern bis zu den Expres-
sionisten, hat zur Bereicherung unseres Land-
schaftsgefühls beigetragen. Dieser Erlebnisreich-
tum ist so gewaltig, daß er uns unerschöpflich vor-
kommt. Mehr noch: es scheint, als erhielten selbst
gewisse technische Errungenschaften durch ihn erst
ihre volle Bedeutung. Die Impressionisten zum Bei-
spiel haben die Augen der Menschheit hell gemacht.
Zu dem Erlebnis der arkadischen Heiterkeit und des
ruhigen, völlig ungestörten Daseins, wie sie es ge-
staltet haben, gehört auch die Lichtheit. Sonne am
Morgen, am Mittag und am Abend. Wenn wir heute
mit den neuen Baustoffen eine Wohnung gestalten,
die eine einzige Verehrung von Licht, Luft und allen
anderen natürlichen Lebensquellen darstellt, so
sieht der Verfasser darin vorwiegend die Auswirkung
der künstlerischen Gabe des 19. Jahrhunderts.

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