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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929

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Dessauer, Friedrich: Technik, Kultur, Kunst: Vortrag, gehalten von Professor Dr. Friedrich Dessauer auf der Jahresversammlung in Breslau, am 25. Juli 1929
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https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0564

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so ganz anders aussieht als ehemals? Ist viel-
leicht der Grund eines solchen Wandels ein gei-
stiges, ein inneres Geschehen des Geschlech-
tes, das den Planeten beherrscht? Sind viel-
leicht, nachdem der Planet nun im Laufe der
Millionen Jahre in andere und andere Sphären
des Weltalls wanderte, in ihn andere geistige
Kräfte eingedrungen, die das herrschende Men-
schengeschlecht von innen heraus verwandelt
haben, so daß es aus dieser inneren Verwand-
lung heraus auch die Gestalt seines Planeten
verwandelt hat?

Und ein solcher nachdenklicher Geist würde
diese Fragen bejahen.

Und Sie alle, die Sie dem Werkbund ange-
hören oder seine Gäste sind oder mit seinem
Geiste vertraut sind, spüren mit mir und mit die-
sem gedachten kosmischen Besuch der Erde:
daß wirklich ein neuer, gewaltiger Geist in die
Erde einzog und durch Verwandlung der An-
schauung, Erkenntnis, Gesinnung der Bewohner
die Formen der Erdoberfläche mitverwandelt
hat. — In Ihren Kreisen ist ja fast am meisten
davon die Rede, daß weltgeschichtlich eine neue
Zeit angebrochen ist. Schon vor längerer
Epoche begann sie, jetzt aber werden wir uns
ihrer recht bewußt. — Sie wissen auch, wie die
zeitgenössische Welt diese Verwandlung an-
schaut; ihre Betrachtung bleibt zumeist im
Äußerlichen.

Man beklagt beides: den Wandel des Geistes
und der Gestalt; man sagt etwa — und Sie
haben das alle schon gelesen —, daß alte Ge-
schlechter der Menschen ihre innere Welt, ihre
Gesinnungswelt und ihre Begegnungswelt, aus
der Seele heraus aufgebaut und die „ratio",
den erkennenden, ordnenden Geist, benutzt hät-
ten, um die seelischen Bilder auszufüllen und zu
klären; daß aber nunmehr der Primat des Ratio-
nalen gekommen sei, und daß dieser Primat
mit sich brächte ein Verkümmern der Seele und
des Seelischen, — damit auch ein Verkümmern
der Kunst, damit ein Verarmen der Kultur, da
alles nunmehr in öder Zweckmäßigkeit verrichtet
werde; die neue Sachlichkeit mache in kurzer
Schau der nächsten Ziele sich breit, aber dahin-
ter versinke der Mensch, der mehr beanspruche
als Anschauung nächster Ziele; das Künstleri-
sche, das einem schöpferischen Reich der Frei-
heit entstamme, werde verarmt durch diese Ein-
stellung auf das rationell dem Zweck Ange-
glichene, denn das Künstlerische — dies sei sein
Wesen — ziele auf die Beglückung auf dem
Wege durch die Sinne, aber das Beglückende
entweiche, wenn trockene Sachlichkeit die
Welt regiert.

Diesen Vorwurf über die Weltverwandlung, der
uns in der zeitgenössischen Literatur alle Tage
begegnet und an dem etwas Wahres ist,
— diesen Vorwurf wollen wir zum Ausgang neh-
men, um den Versuch zu machen, in Kürze zu
prüfen, ob dieser neue Weltgeist, der in die Erde
einzog, ihr Antlitz und die Menschen selbst
zu tiefst verwandelt hat, wirklich uns den
Wurzeln des Menschlichen entfremdet, der
Kunst abhold macht und die lebendige, seelische
Beziehung von Mensch zu Mensch verödet; ob
das wirklich so sein muß, daß diese Umgestal-
tung, die als so hart hingestellt wird, notwen-
dig so hart sei oder vielleicht nur so hart sein
kann; ob jenseits der Tatsache dieser Ver-
wandlung, die wir ja nicht erlöschen lassen kön-
nen — denn sie ist stärker als unser Wille —,
ein Reich der Freiheit noch besteht, ob jenseits
der Tatsache noch Raum für die Seele ist, ob
bei voller Bejahung der Umgestaltung sie wirk-
lich zu dieser Verarmung führen muß? Kann sie
vielleicht zur Bereicherung führen? Und müssen
wir Sklaven der Sachlichkeit sein, wenn wir sach-
lich sind? Oder können wir sachlich und dennoch
Meister sein?

Diese Frage, die ja wohl entscheidend ist für
alles, was der Werkbund plant und tut, nach Be-
jahung oder Verneinung der finalen Ordnung der
Technik, die uns das Gewissensrecht zum Han-
deln gibt, wollen wir prüfen. Dazu ist es nötig,
ein wenig bei der Betrachtung der Technik zu
verweilen, bei der Schau ihres Wesens.

Der schlimmste Feind, der uns dabei (bei der
Betrachtung der Technik) begegnet, ist die Ober-
flächlichkeit. Die Technik wird von der Gegen-
wart äußerlich genommen. Der Alltagsmensch
nimmt sie einfach hin. Steigt irgendwo im Laufe
seines Lebens die erstmalige Realisation eines
technischen Gedankens, einer technischen
Ideengestalt auf, wie etwa in meiner Jugend die
Erfindung des Fonografen durch Edison, dann
faßt den Alltagsmenschen vielleicht eine Stunde
lang Ehrfurcht vor dem erstaunlichen Wunder,
daß die flüchtige Sprache, die durch den Raum
hallte, nun eingefangen werde in eine plastische
Masse und von daher beliebig Auferstehung fei-
ern könne, auch nach Jahrhundert und Jahrtau-
send. Einen Augenblick wacht er auf und ist er-
schüttert; eine ehrfürchtige Ahnung von tiefen
Zusammenhängen in der Ratio der Schöpfung
klopft an die Pforten seines Begnügtseins; aber
dann vergißt er, und der Fonograf, dieses Wun-
der der Realisation einer technischen Idee, ist
für ihn nichts als ein Unterhaltungsding, müßige
Stunden zu verkürzen. Und so wie hier, bei
jedem Beispiel. Der Alltagsmensch — und wir

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