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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929

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Dessauer, Friedrich: Technik, Kultur, Kunst: Vortrag, gehalten von Professor Dr. Friedrich Dessauer auf der Jahresversammlung in Breslau, am 25. Juli 1929
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https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0565

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können auch genannte, angesehene Zeitgenos-
sen zu diesen Alltagsmenschen rechnen —
glaubt, das Technische sei selbstverständlich,
in seine Tiefe einzudringen sei verlorene Zeit;
es gehe ja schon von selbst, leiste ja schon
seinen Dienst, und versage es ihm einmal, nun
dann sei eine besondere Kategorie von Men-
schen da, die Techniker, die ordneten das schon
wieder; sie kennten die Tücken eines solchen
Grammofons oder einer fein gebauten Uhr oder
einer elektrischen Maschine oder eines Auto-
mobils; man zahle, entgelte wirtschaftlich, da-
mit sei die Sache erledigt, und so nutzt der All-
tägliche die Technik weiter ohne Gedanken.

Dies gedankenlose Hinnehmen und Verbrau-
chen ist ja nicht Schuld der Technik, sondern
Schuld der Unreife des menschlichen Ge-
schlechtes, über das die Technik kam, wie brau-
sender Weltwind; es hört ihn, weiß nicht, woher
er kommt, sieht nicht, wohin er geht. — Aus
dem Weltall geströmt, ins Weltall verrauschend,
alles, was er anhaucht, verwandelnd. —

Für viele ist die Technik einfach die Maschine,
und diese mit ihrer halben Autonomie ist ihnen
grauenhaft. Ein namhafter Philosoph unserer
Tage hat kürzlich in einer deutschen Zeit-
schrift dem Sinne nach geäußert, daß die Dämo-
nie der Maschine, ihre unheimliche Halbautono-
mie, die wertlose Unermeßlichkeit, von der Hegel
einmal spricht, bedeute; das ist Verbreiterung
ins grenzenlos Vermehrte, aber nicht qualitativ
Vertiefte.

Aber die Maschine ist gar nicht der Repräsen-
tant der Technik, und überdies ist sie nicht schul-
dig, wie jene glauben. Die Technik ist viel mehr als
Maschine. Die Maschine ist ein wichtiger, aber
doch nur ein kleiner Ausschnitt aus der Technik.
Neben der Technik der Maschine steht die unge-
heure Gestaltungstechnik des Hoch- und Tief-
baus, die Technik alles dessen, was unsere Häu-
ser füllt, die ganze ungeheure chemische Tech-
nik, die Arzneimitteltechnik, die ungeheure Tech-
nik der Apparate und ihres Baues und unzähli-
ger Verfahren. All dies ist Technik, und die Ma-
schine ist nicht eine besondere oder besonders
abschreckende Form. Unheimlich erscheint sie
dem, der sie nicht begreift. So erscheint ja auch
dem Kinde oder dem Europäer ein fremdes ge-
waltiges Tier, begegnet er ihm zum erstenmal,
unheimlich. Und wer ist nicht erschrocken, wenn
er zum erstenmal vor einem Elefanten stanjd.
Auch da ist es das Nichtverstehen dieses auto-
nomen Wesens, was uns unheimlich ist. So er-
schrickt der, der geistig zur Technik keine Be-
ziehung hat, vor den Gestalten, die mit körper-
lichen Gliedern finale, das sind geistige Dinge,

vollziehen. Aber dies Erschrecken ist nichts
Wesentliches an der Sache, sondern nur Unzu-
länglichkeit des Betrachtenden.

Andere wieder sehen in der Technik nur die
Dienerin der Wirtschaft, in der technischen Ge-
stalt nur die Ware, in dem zum Ziele Geformten
nur das Äquivalent des Geldes; denken, wenn
die Arznei kommt, nicht an die Geistesordnung,
die den Stoff bezwang, so daß das Fieber weicht,
sondern nur an den ,,Preis", den Allestauscher
„Geld" und leiten, weil sie nur wirtschaftlich zu
denken gewohnt sind, ihre Mißachtung der Tech-
nik daher.

All das erfaßt die Technik nicht, berührt kaum
ihr Kleid. Und immer dann, wenn Menschen gro-
ßen Zeiterscheinungen gegenüber im Äußer-
lichen bleiben, werden sie unbefriedigt sein.

So waren wir ja auch einmal, als Schüler viel-
leicht, unzufrieden, wenn wir von einer Sprache,
von Griechisch oder Latein, nur das äußere
Kleid, nur die Grammatik und Vokabeln zu ler-
nen bekamen, wenn uns ein ungeschickter Lehrer
das geistige Wesen einer Sprache nicht erleben
ließ, sondern ganz im Kleid haften blieb, im
Formalen der Grammatik. Wir müssen durch
das Kleid ins Wesen, wir müssen erfahren, was
Technik ist, um zu erkennen, wie Technik die
Kunst, und darüber hinaus, die gesamten Lebens-
beziehungen der menschlichen Gesellschaft, die
gesamte Kultur bewegt.

Einige Bemerkungen zum Wesen der Tech-
nik! Vertiefen können Sie Ihre Wesenskenntnis
der Technik leicht durch die Literatur der letzten
Zeit, zum Beispiel durch mein kleines Werk
„Philosophie der Technik"*).

Technik ist zunächst die Erhebung des Men-
schen aus der Kausalität. Denken Sie an den
biblischen Schöpfungsbericht. Dort heißt es im
ersten Kapitel der Genesis, der Mensch solle
über die Natur regieren. Die Pflanze, und in
hohem Grade das Tier, sind der Natur ausgelie-
fert. Sturm, Regen, Dürre, Kälte, Hitze wirken
auf sie kausal. Aber der Mensch soll der Kau-
salität nicht ausgeliefert sein. So sagt diese
uralte Weisheit. Und wodurch soll der Mensch
sich erheben von dem Ausgeliefertsein an die
Kausalität der Natur, an ihre Wetter, Seuchen,
wilden Tiere und was da alles ist? Dadurch, daß
er die Bereitschaft der Natur technisch, das ist
final, zu bestimmten, gesehenen Zwecken
ordnet.

So drängt er das Feindselige der Natur zu-
rück. Er baut ein Haus und macht sich frei vom
Wetter. Er hüllt sich in ein Kleid und macht sich

*) Verlag Friedrich Cohen, Bonn. 2. Auflage 1928

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