Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929

DOI Artikel:
Ehmcke, F. H.: Zu unserem Heft 21 ("Das Buch"): Sachliches, Allzusachliches
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0778

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ehemaligen Geschriebenseins, die zweierlei Strich-
stärken an sich hat. Aber mit der Antiqua lassen
sich die Experimente, zu denen die Grotesk sich
eignet, kaum vollbringen. Und mit der Fraktur schon
gar nicht. Obgleich wir Deutsche unsere Vorbilder
gerne in Rußland, Frankreich, Holland holen, nur
nicht bei uns selbst, so ist doch die Fraktur immer
noch d i e deutsche Schrift. Die allervordersten
unter den neuen Typografen geben sich schon nicht
mehr mit der Grotesk zufrieden, weil auch ihr noch
zu viel Historisches anhaftet. Sie suchen nach einer
ganz neuen lautmalenden Schrift. Dabei ist der Leit-
gedanke, daß die Konsonanten, der Klangwirkung an-
gemessen, ein schmales raumsparendes Lautbild
aufweisen sollen, die Vokale dagegen ein weites. Es
ist aber der besondere Vorzug der Fraktur vor der
Antiqua, daß gerade bei ihr eine solche Gliederung
durchgeführt ist, wie es Wilhelm Niemeyer in seinem
vor der Deutschen Akademie gehaltenen Vortrag
aufs glänzendste belegt hat.

Mag dem sein, wie es will, im Augenblick wird noch
ein erheblicher Prozentsatz unserer Buchproduktion
in Fraktur hergestellt und eine große Majorität unse-
res Volkes denkt gar nicht daran, diese Schrift als
Buchschrift preiszugeben. (Wenn es auch wiederum
gänzlich verfehlt erscheint, die Mützenbänder unse-
rer Matrosen mit deutscher Schrift zu bedrucken.)
Jede auf das Buchäußere angewandte neue Typo-
grafie — sofern sie nicht einem mit Grotesk ganz
in ihrem Geist behandelten Buch entwächst, ist dazu
verurteilt, im Gegensatz zum eigentlichen Buchinhalt
zu stehen. Nichts ist damit gewonnen, wenn ihre
Verfechter es der Zeit überlassen wollen, diesen
Gegensatz zu beseitigen. Dieses: „Friß-Vogel-oder-
stirb"-Verfahren ist sehr wenig aussichtsvoll.

Gerade wer den wahren Werten der Fotomontage
und der elementaren Typografie ohne Vorurteil und
wohlmeinend gegenübersteht, muß darauf dringen,
daß beide in ihre Grenzen gebannt bleiben. Und die
liegen eben innerhalb alles Propagandistischen. S o
angesehen, sind die Arbeiten der Burchartz, Mol-
zahn, Tschichold, Trump sehr gut, die des Letztge-
nannten sogar ausgezeichnet. Theo van Doesburgs
Titel seiner Zeitschrift „De Styl" ist ein ebenso
treffliches und nachahmenswertes Beispiel elemen-
tarer funktioneller Typografie wie sein Broschüren-
umschlag der „Theorie van het Syndicalisme" ein
Beispiel kühler und zurückhaltender Konstruktion.
(Hierbei ist übrigens bemerkenswerterweise die
Schrift in der sonst verpönten Symmetrie verwandt.)
Dagegen ist es mir völlig unverständlich, wie der
gleiche Autor, der so vernünftige und beherzigens-
werte Gedanken ausspricht, ein Beispiel wie sein
typografisches Bilderbuch von der Scheuche in die-
sem Zusammenhang abbilden kann. Das ist eine
Schnurrpfeiferei, die man in der Ulkzeitschrift eines
Bierabends gelten lassen kann. Man mag so etwas
für sich selbst ausprobieren, soll aber besser kein
weiteres Aufheben davon machen.

Das gleiche gilt von Lissitzkys Bilderbuch von den
„Zwei Quadraten", das offenbar schulbildend für
diese Art „humoristischer" Typografie gewesen ist.
Wie seine anderen typografischen Bilderbücher,
etwa Majakowskijs „Dlja Golossa" kann es doch
wohl nur einer Schar großer Kinder von Analphabe-
ten reines Vergnügen machen. Auch all die gekün-
stelten Kompositionen von Karel Teige, so geschickt

sie ausbalanciert sein mögen, können als Vorbilder
für unsere Typografie nur verwirrend wirken. Die
Folgen zeigen sich heute schon jedem, der die typo-
grafischen Zeitschriften, d. h. die Fachblätter unse-
rer Setzer aufmerksam verfolgt. Eine allgemeine
Direktionslosigkeit hat Platz gegriffen. Wie kann
man auch erwarten, daß derart subtile Feinheiten,
wie sie in den Malerateliers der Dadaisten ausgeklü-
gelt werden, als Richtschnur für die Erziehung von
Setzern dienen könnten! Da war doch das, was
ihnen die heute als „Historiker" Verlästerten boten,
ein gesünderes Brot! Der einfache ruhige Schrift-
satz, das Beschränken auf wenige Grade, das Prü-
fen der zu verwendenden Schrift auf ihre Qualität
hin, sind allerdings keine Zauberformeln, die jeden
Tag neue Sensationen und frischen, freilich bald
verwelkten Lorbeer zeitigen. Man kann heute schon
mit Bestimmtheit sagen, daß die allzu Vordringlichen
unter den neuen Typografen den vor dreißig Jahren
eingeleiteten Gesundungsprozeß in Schrift und
Buchkunst gestört und aufgehalten haben. Die
öffentlichen Stellen, Verleger, Drucker, Publikum,
sind kopfscheu gemacht worden. Sie alle, die zu-
meist über die zur Diskussion stehenden Fragen gar
nicht genügend unterrichtet sind, glauben denjeni-
gen, die am meisten Lärm machen. Wie ja überhaupt
der Anschein erweckt und aufrecht erhalten wird,
daß heute den Lebensstil die Reklame bestimme,
diese aller wahren Kultur entgegengesetzte, im tief-
sten Sinne unproduktive bittere Not der Zeit, die
man vergeblich zur Tugend stempeln wird.

Mit der Glorifizierung der Groteskschrift geht es
so weit, daß bald allem, was nicht aus ihr gesetzt
ist, die Daseinsberechtigung versagt ist. Ich bin hin-
gegen der Meinung, daß die vornehmste Lösung
einer gegebenen Buchaufgabe darin besteht, daß
man sie aus der Besonderheit ihres textlichen In-
halts mit einheitlichen Mitteln von vorne bis hinten
gestaltet. Wie gerne erkennt man das Brauchbare
der elementaren Typografie an und auch das wirk-
lich Neue, was sie uns gebracht hat. Wie ausge-
zeichnet sind unter den Abbildungen im November-
heft Johannes Molzahns Schutzumschläge zu Bruno
Tauts „Bauen"! Wie ist hier das Wesentliche für
das eilende Auge leicht faßbar und deutlich hervor-
gehoben, wie gut der nebensächliche Text unterge-
gliedert! Wie viele derart vorbildliche Arbeiten
haben uns Moholy Nagy, Tschichold, Trump ge-
schenkt! Ja, welch eine wirkliche Fantasie steckt
in diesen Leistungen, die ja eigentlich nichts weiter
als sachlich sein wollen, aber darüber hinaus doch
kleine Kunstwerke geworden sind.

Neben dem vielen Widerspruchsvollen, dem wir im
Novemberheft der „Form" begegnen, mutet der Auf-
satz „Zur Lage der Handbuchbinderei innerhalb der
Buchproduktion der Gegenwart" von Siegfried Fuchs
geradezu wohltuend an. Schlicht, klar und ohne Be-
schönigung sind hier die Dinge dargestellt, wie sie
in Wirklichkeit liegen. Völlig illusionslos beschreibt
der Autor die verzweifelte Lage der Handbuchbin-
der, im übrigen die Lage aller heute ehrlich um gute
sachliche und — wenn man das große Wort gebrau-
chen will — künstlerische Arbeit Ringenden. Seiner
Weisheit letzter Schluß ist, daß ein gut, ja vortreff-
lich gebundenes Buch bei der Kostbarkeit aller heu-
tigen handwerklichen Leistung schon einen Wert
gegenüber einem billligen Maschinenband darstellt

670
 
Annotationen