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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929

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Sie wollen die Mitte halten!
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Schwab, Alexander: Das Städtebaugesetz - eine Gefahr
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https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0782

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DAS STADTEBAUGESETZ _ EINE GEFAHR

Das preußische Städtebaugesetz ist in der öffent-
lichen Erörterung und ebenso — bisher — in der par-
lamentarischen Behandlung fast nur von verwal-
tungsrechtlichen und wirtschaftlichen Gesichtspunk-
ten aus kritisiert worden. Man hat darüber verges-
sen, daß der Entwurf auch einen kulturpolitischen
Inhalt hat, der — um es gleich vorweg zu sagen —
eine Gefahr ist. Er übernimmt die wesentlichen Be-
stimmungen der Verunstaltungsgesetze
von 1902 und 1907, die damit formell außer Kraft
gesetzt, inhaltlich jedoch in einem größeren Zusam-
menhang gesetzgeberisch neu und fester verankert
werden sollen, und sanktioniert zugleich erneut die
Vorschriften und Ortsstatute, die auf Grund der
alten Gesetze geschaffen wurden.

Der Abschnitt B, „Bauvorschriften für die äußere
Gestaltung des Straßen-, Platz-, Orts- und Land-
schaftsbildes" (§ 48 bis 59) geht davon aus, daß
„die Baugenehmigung zur Ausführung von baulichen
Anlagen und baulichen Änderungen zu versagen
ist" — also eine Muß-Vorschrift! — „wenn da-
durch (!) Straßen oder Plätze der Ortschaft oder
das Orts- oder Landschaftsbild gröblich verunstal-
tet werden würden". Darüber hinaus ermöglicht § 49
sogar Vorschriften „mit dem Ziele, das Entstehen
städtebaulich befriedigender Straßen-, Platz- und
Ortsbilder zu fördern....", und diese Vorschriften
sollen u. a. sogar „die Ausgestaltung der Außen-
flächen der Gebäude, insbesondere über Verputz,
Anstrich, Ausfugung, Verkleidung, Dachausbildung
und -eindeckung" erfassen können.

Abschließend bestimmt ein monumentaler § 59:
„Die Berechtigung der ästhetischen und geschicht-
lichen Gesichtspunkte in der Entscheidung der Bau-
polizeibehörde unterliegt nicht der Nachprüfung
durch die Gerichte."

Die ästhetische Diktatur der Baupolizei,
die damit aufgerichtet wird, bedeutet eine unerträg-
liche Knebelung des freien baukünstlerischen Schaf-
fens, die durch rechtzeitigen Protest der Betroffe-
nen verhindert werden muß. Jedem Architekten, der
sich nicht der Imitation historischer Stile oder dem
faulen Kompromiß ausgeliefert hat, sondern neue
Aufgaben selbständig zu lösen versucht, ist der viel-
fältige Mißbrauch bekannt, der mit dem Verunstal-
tungsgesetz getrieben worden ist. Künstlerischer
Befehlsdünkel lokaler Größen, kostspielige sinnlose
Verhandlungen, Verbalhornung vieler guter Entwürfe,
Förderung eines leeren Konventionalismus, ein stän-
diger Druck auf die freie gestalterische Arbeit —
das ist das Schuldkonto des Verunstaltungsge-
setzes. Ganz zu schweigen von jenen auch nicht
ganz seltenen Fällen, wo sich lokale Interessen
materieller Art hinter „ästhetischen" Bedenken ver-
stecken.

Nur dem Wohlfahrtsministerium scheint von alle-
dem nichts bekannt zu sein. Sonst würde es die Ge-
legenheit nicht versäumt haben, in dem neuen Ge-
setz die Verunstaltungsvorschriften auf das viel-
leicht notwendige Mindestmaß einzuschränken und

sie mit allen Garantien einer freien, von lokalen
Interessen und Rücksichten nicht gebundenen sach-
verständigen Begutachtung zu umgeben.

Um so mehr ist es jetzt nötig, bei den Beratungen
des Landtagsausschusses die Forderungen der
freien gestaltenden Kräfte mit allem Nachdruck zur
Geltung zu bringen.

Randbemerkung: Es ist ganz interessant,
einmal der geistigen Einstellung nachzuspüren, aus
der diese Haltung des Gesetzentwurfes entstanden
ist. Es ist die Haltung des vorigen Jahrhunderts. Es
ist, als ob Adolf Loos nie gelebt hätte. All die müh-
same Arbeit der neueren Generation versinkt ins
Nichts, und triumphierend steht der Attrappenarchi-
tekt vor uns. Er hat für die „Schönheit" zu sorgen,
die Planung geht ihn nichts an. Die Planung ist
Sache der Gemeinde, oder des Kreises, oder des
Planungsausschusses, der sich (nach § 14, 2) in der
Regel zusammensetzt aus „Vertretern der Gemein-
den und Kreise----und einem Vertreter des Regie-
rungspräsidenten". Darunter kann wohl ein Archi-
tekt sein, aber dann eben als Baubeamter; daß es
auch außerhalb der Ämter Architekten gibt, die An-
spruch erheben können, als Sachverständige für die
Flächenaufteilungspläne gehört zu werden, davon
ahnt der Entwurf nichts. Die Idee, daß etwa gar
von vornherein städtebaulich erfahrene Architekten
bei der Planung vorschriftsmäßig gehört werden
müßten, ist dem Verfasser des Entwurfes nicht
einmal im Traume eingefallen. Ist der Plan aber ge-
macht, so hat der Architekt gefälligst für „städte-
baulich befriedigende Straßen-, Platz- und Ortsbil-
der" zu sorgen, und er darf sich ja nicht einfallen
lassen, „in Straßen und an Plätzen von geschicht-
licher oder künstlerischer Bedeutung" — diese Be-
deutung stellt infallibel die Baupolizei zusammen mit
dem Landeskonservator fest (§ 16) — Dinge zu
machen, die das Bild beeinträchtigen könnten.

Aus dem ganzen Entwurf spricht unverkennbar
jene rein formalistische Einstellung, jene Scheidung
zwischen dem ernsten Leben, das der Verwaltungs-
beamte und der Kaufmann besorgen, und der heite-
ren Kunst des immer heiteren Künstlervölkchens,
jenes Ideal der Gasanstalt mit aufgepappten Burg-
zinnen, kurz jene längst totgeglaubte Welt unter
dem Motto: Hier herrschen Schönheit und Ge-
schmack — hier riecht es angenehm nach Lack. —
Vermutlich werden die Verfasser des Entwurfs das
nicht wahr haben wollen, und werden damit nur be-
weisen, daß sie noch viel zu lernen haben.

A. Schwab

Anschriften der Mitarbeiter dieses Heftes:

Dipl.-1 ng. Ferdinand Kramer, Frankfurt a. M., Oppenheimer Str. 44

Professor H. de Fries, Düsseldorf, Staatl. Kunstakademie

L.W. Rochowanski, Wien XIX, Philippovichstr. 1

Professor F. H. Ehmcke, München, Odeonsplatz 12

Roger Ginsburger, Paris 6 e, 63 rue de Seine

Dr. Alexander Schwab, Berlin W57, Potsdamer Str. 93

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