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Die Kunst-Halle — 9.1904

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Nummer 5
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Gigliardi, Ernesto: Zur Vollendung von Sta. Maria dle Fiore, II.
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Täuber, Ernst: Kann künstliches Alizarin den Krappfrabstoff in der Malerei ersetzen?
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68

Die Kunst-Halle.

Nr. 5

Menschen und Thieren, jedes Stück ein Kunstwerk für
sich, einzeln modellirt und dann mühsam zu einem
harmonischen Ganzen zusammengefügt, was das be-
deutet, könnte nur ein Ghiberti sagen! Als Donatello
und Brunellesco vor ihm, als vor dem Würdigsten,
freiwillig zurücktraten, zählte Ghiberti kaum zwanzig
Lenze. Ueber der Herstellung seines Werkes wurde er
fast ein Greis. „Es kostete ihm — so berichtet vasari —
vierzig Jahre übermenschlicher Anstrengung." — Und
doch standen ihm bei der Schöpfung der Thür, die
Michelangelo als des Paradieses würdig erklärte, Ge-
hilfen wie pollajuolo und Filarete bei. Die Verwegen-
heit, mit dem Meisterwerke eines Ghiberti sich messen
zu sollen, muß auf die Künstler geradezu beklemmend
gewirkt haben, und neben ihm bestehen zu dürfen, der
höchste Lohn für sie gewesen sein. Bei der Einweihung
dieser Mesenthür — sie mißt 7,75 zu 5,8^ Meter —
bestätigte die liebenswürdige Florentiner Bevölkerung
wiederum ihren feinen Kunstsinn und ihrKunstverftändniß,
daß das Niveau der übrigen Italiener bei weitern
überragt.
Noch mehr als durch den äußeren Schmuck seiner
Fassade ist dieser unvergleichliche Kunstschrein, der Dom,
der dazu bestimmt scheint, den Geist unvergänglicher
Schönheit zu erhalten, mit der Geschichte der Stadt
Florenz unzertrennlich verwachsen. Auf alle traurigen
und freudigen Vorgänge ihrer so wechselreichen Ge-
schichte, von denen manche sich in seinen geräumigen
Schiffen abspielten, hat er mit stummer Beredsamkeit
herabgeblickt. Die hervorragendsten Söhne der LsUa
b5r6n?s haben mit jeder Faser ihres Herzens an dem
werdenden Gotteshaus gehangen, mit innigster Teil-
nahme seiner Vollendung entgegengesehen. Noch heute
zeigt der marmorne Gedenkstein zwischen den sitzenden
Standbildern von Brunellesco und Arnolfo di Tambio
die Stelle ,,8a88o äi vants", wo der Dichterfürst sich
seinen Betrachtungen hinzugeben liebte. Schon damals,
noch bevor er das bittere Brot der Verbannung ge-
kostet hatte, beschäftigte sein Geist sich mit den unsterb-
lichen Versen des Paradieses. Und auch diese Dichtung,
zu welcher der unbeugsame Ghibelline „Himmel und
Hölle in Bewegung setzte", klingt in einer überirdisch
schönen Apotheose der Jungfrau Maria aus. Wir
begegnen darin denselben biblischen Heroen, denselben
wunderthätigen Heiligen wie auf der Fassade des Doms.
Und stehen wir in Bewunderung vor diesem Bau, so
tauchen in unserem Gedächtniß alle die herrlichen Verse
auf, in denen Dante die Holdselige vergleicht mit der
Sonne aller Tugend, mit der Lilie auf dem Felde, mit
der Rose „in olle il Vsrbo Oivino Ourus 8i ttzvs" --
in der Gottes Wort Fleisch wurde. . . . Selbst wenn die
rein ästhetischen Anschauungen kommender Geschlechter
dem frommen Glauben unserer vorfahren den Gnaden-
stoß versetzt haben werden, werden sie nicht anders als
mit Rührung und Dankbarkeit an einen Mythus denken,
dem wir zwei solche Denkmäler menschlicher Begeisterung,
wie diese Dichtung und diese Kathedrale, verdanken.

Asnn künstliclieg Mrsrin öen Xrrpp
ssrlrckoff in Ser MIerei erregen?
chon im Jahre s86ß> ist es den Chemikern Graebe
und Liebermann gelungen, den natürlichen
Krappfarbstoff aus einem Bestandtheile des
Steinkohlentheers künstlich herzustellen, und in raschem
Siegeszuge hat der künstliche Farbstoff, dessen Herstellungs-
kosten erheblich geringere sind als die Gewinnung des
natürlichen Produkts, dieses fast vollständig aus der
Färberei verdrängt.
Um so erstaunlicher will es dem Chemiker scheinen,
daß in der Kunstmalerei der natürliche Farbstoff sich
noch immer einer erheblich größeren Werthschätzung
erfreut als der künstliche. Auf vielfache Umfrage nach
dem Grunde hierfür, sowohl bei Künstlern wie auch bei
Tubenfarbenfabrikanten, habe ich eine bestimmte, ver-
trauenweckende Antwort nicht erhalten. Am häufigsten
bin ich der Meinung begegnet, der künstliche Farbstoff
besitze nicht die große Lichtechtheit des natürlichen. Eine
solche Behauptung erscheint dem Chemiker, welcher
weiß, daß beide Farbstoffe im Wesentlichen identisch
sind, auf den ersten Blick absurd; bei näherer Betrachtung
findet er wohl eine nothdürftige Erklärung, doch werden
seine Zweifel dadurch nicht beseitigt, umsoweniger, wenn
er weiß, wie unsicher und häufig widersprechend die
Urtheile der Künstler selbst über die gebräuchlichsten
Farben sind, und wenn er in Betracht zieht, daß der
Nichtchemiker mit dem Begriffe „künstlicher" Farbstoff
immer den des Surrogats verbindet und es für aus-
geschlossen hält, daß ein künstlicher Farbstoff mit dem
natürlichen durchaus identisch sein könne.
Angesichts dieser Erwägungen muß ich die Frage,
ob künstliches Alizarin den natürlichen Krappfarbstoff
in der Malerei ersetzen könne oder nicht, noch immer
als eine offene und ihre eingehende experimentelle
Prüfung als dringend geboten betrachten. Einen kleinen
Beitrag dazu vermag ich schon heute zu liefern, da ich
seit etwa P/Z Zähren vergleichende Belichtungsproben
mit beiden Produkten ausgeführt habe.
Zch habe dazu verschiedene Handelsmarken sowohl
von Krapplack wie auch von Alizarinlack verwendet
und die Vergleichsproben durch verreiben mit ein und
demselben Gel bezw. mit ein und derselben Glyzerin-
Gummilösung selbst hergestellt. Die Gelfarben wurden
nebeneinander auf die äußere Fläche einer Fensterscheibe,
die Aquarellfarben auf Lartonpapier mit dem pinsel
aufgestrichen, nach dem Trocknen zur Hälfte bedeckt
und die andere Hälfte sodann dem Lichte ausgesetzt.
Die dicker aufgetragenen Gelfarben ließen erst nach
Monaten, die dünn aufgestrichenen Aquarellfarben be-
*) Die Abneigung gegen künstliche Farbstoffe findet
übrigens ihre natürliche Erklärung in der Thatsache, daß ge-
rade die zuerst aufgefundenen Repräsentanten derselben eine
außerordentlich geringe Lichtechtheit aufwiesen und dadurch von
vornherein das vertrauen gegen die ganze Gruppe untergruben.
 
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