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Die Kunst-Halle — 9.1904

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Nummer 15
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Wolf, Georg Jacob; Vereščagin, Vasilij Vasilʹevič [Honoree]: Wassil Wereschtschagin †
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Wolf, Georg Jacob: Französische Kunst in München
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228

Die K n n st - H a l l e.

Nr. s5

räumen, wie man ihn nicht hervorragender für Tolstoj
in der Literaturgeschichte haben wird. Ueberhaupt
besteht ein enger Kontakt zwischen dem Schaffen Leo
Tolftoj's und dem Wereschtschagin's. Wie hinter den
Büchern des großen Weisen und Dichters steht hinter
den Bildern des originellen Walers eine starke Persön-
lichkeit, die sich zu einer Objektivität nicht zwingt,
sondern frei und offen sich sehr subjektiv giebt und
gebärdet, wer sich nicht in Tolftoj's Persönlichkeit
vertieft hat, der wird seine Werke nur halb verstehen,
wer nicht Wereschtschagin's ausgeprägte Individualität,
seinen Entwicklungsgang, studirt hat, der geht des
besten Genusses, den ihm das umfangreiche Werk des
Weisters bieten kann, verlustig. Dazu kommt die aus-
gesprochene Tendenz der beiden Schaffenden, und das
Gemeinsame dieser Tendenz: Indem sie die Greuel des
Krieges in blutigen Farben malen, wollen sie die ganze
Grausamkeit des Krieges schildern; nicht entflammen
für die männermordende Schlacht, sondern als bar-
barische Unkultur, als das Ueberbleibsel der Zeiten
allerprimitivster ethischer und intellektueller Entwicklung
den Krieg brandmarken. Und das ist nun die tragische
Ironie, der innere unüberbrückbare Zwiespalt in
wereschtschagin's Leben, daß der zornesmuthige Eiferer
gegen den Krieg gerade als Schlachtenmaler sich den
besten Ruhm erwarb, daß seine Bilder vom Krimkrieg,
von der Napoleontragödie s8l2, ihn in den Geruch
eines Bannerträgers russischen und französischen Er-
obererthums brachten, und daß der Friedensapostel, der
oft genug in der Zeitschrift „Die Waffen nieder" seine
Stimme hören ließ, nun seinen Tod in der Schlacht,
vor dem Feind, finden mußte. —
Wereschtschagin ist am 26. Oktober s8H2 in einem
kleinen Städtchen des russischen Gouvernements Now-
gorod geboren. Wan dachte trotz früher Talentproben
nicht daran, den Jungen für die Kunst heranbilden zu
lassen, er wurde in eine Kadettenschule in der Nähe
von Petersburg gesteckt, f860 begegnen wir ihm als
Fähnrich zur See, s862 setzt er beim Vater durch, daß
er Waler werden darf. Die Wutter freilich meint,
der arme „Waßja" habe wohl den verstand verloren.
Zunächst bedient sich der junge, damals häufig kränk-
liche Wereschtschagin russischer Lehrer, aber er bringt's
bei ihnen nicht vorwärts. Sie können ihm nicht mehr
lehren als einen verwaschenen und ausgelaugten
Klassizismus, den es unter der nordischen Sonne
Petersburgs ordentlich gefroren haben mag. was
dabei herauskam, das zeigt Wereschtschagin's erstes
Bild: „Rlysses tödtet die Freier". Später hat der
Weister selber für diese jugendliche Kunstübung, die
ihm übrigens eine Wedaille eingetragen hatte, nicht
mehr allzu viel Liebe übrig. s86^ geht der junge
Künstler nach Paris, wo Geröme sein Lehrer wird.
Als ihm der Weister räth, im Louvre Watteau und
andere französische Rokokomaler zu kopiren, lehnt es
Wereschtschagin ab, zum Kopiren wollte er sich nicht
hergeben. Er packte lieber wieder sein Bündel und
zog in der Folgezeit kreuz und quer in der unerschlossenen
Welt des Ostens herum, aus nächster Nähe und im
täglichen Verkehr studirte er die Völker des Kaukasus,
von Turkestan und Thina und Südrußland, was seine
flüchtigen, aber sicher und markant hingesetzten Völker-
typen aus jener Zeit verkünden, das ist die Bestätigung
für die Folgerichtigkeit seines energischen Schrittes, das
ist die vollgültig erbrachte Talentxrobe als ein durch-
aus origineller zeichnerischer und koloristischer Könner.
s87f geht er auf drei Jahre nach München. Er hat
sich müde gelaufen und müde gesehen in der Welt,
seine Eindrücke und Studien will er verarbeiten. In

Horschelt, dem geschätzten Münchner Weister, gewinnt
er einen treuen Freund, mit dem er Atelier und Arbeit
theilt. Das gerade um diese Zeit neu erblühende
Münchner Künstlerleben zieht ihn an, er fehlt nicht bei
heiteren Festen und ernster Arbeit, und doch vermochte
ihn die frohe Isarstadt nicht zu halten, es ist nur eine
Durchgangsstation auf der Wanderung des Rastlosen.
Die folgenden Jahre verlebt er in der Heimath, es
sind die Jahre der Sammlung, des Reifens. Er setzt
an zum vollen Schwung, zur höchsten Kraftentfaltung.
Was er konnte, wo seine enorme Begabung lag, das
zeigte er in seinen Bildern vom russisch-türkischen Krieg,
den er selber als Nicht-Kombattant mitgemacht. f88O
war das große Werk vollendet, er füllte sieben Säle
des Hauses Besobrasow in Petersburg. So war in
Rußland noch nie eine Ausstellung besucht worden wie
diese, aber auch in Wien, Paris, Brüssel, Dresden,
Berlin und wo sonst diese enorme Kollektion ausgestellt
wurde, fand sie erstaunlichen Beifall, und Werescht-
schagin wurde mit einem Schlag zur internationalen
Berühmtheit. Einzelne Stücke, wie „Transport der
verwundeten" und „Einsegnung der Gefallenen" sind
von einer Wucht und inneren Größe, daß sie über das
begreiflicher weise im Vordergrund stehende historische
Interesse hinausragen, das sind Werke, die ihre feste
Bedeutung auch außerhalb des in seiner geschlossenen,
feinkomponirten Einheit geradezu monumental wirkenden
Zyklus haben und den Namen ihres Schöpfers nicht
so schnell werden vergessen lassen.
Noch einmal trat Wereschtschagin in den neunziger
Jahren vor die Kunstwelt Euroxa's mit einem kolossalen
Zyklus: f8s)7 brachte er im alten Reichstagsgebäude
zu Berlin seine Napoleonsbilder zur Ausstellung. So
glaubhaft, mit so viel begeisterter Liebe hatte noch
keiner die Tragödie von Moskau gemalt: Merkwürdig,
der nämliche Mann, der einmal die widerliche Apotheose
des Krieges — eine scheußliche Pyramide von ge-
bleichten Menschenschädeln und drüberhinstreichenden
Geiern — gemalt und die Worte: „Allen großen Er-
oberern der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft"
daruntergesetzt, schwärmt nun für Napoleon! Mir
wenigstens ist dieser Napoleon, der in der einsamen
Blockhütte über die Karte gebeugt sitzt und überlegt,
ob „Vorwärts — oder zurück" immer wie ein Hymnus
auf den vom Schicksal Gebeugten, aber nicht Gebrochenen
vorgekommen. Das ist eine Verherrlichung des großen
Abenteuerers, des grausamen Kriegshelden, die schlecht
in Wereschtschagin's übriges Programm paßt. —
Wereschtschagin hinterläßt keine Schule, wie er aus
keiner hervorgegangen ist. Er ist ein Einsamer gewesen
und geblieben. Die Spur von seinen Erdentagen wird
gleichwohl nicht verwehen. Rußland wird es als seine
Ehrenpflicht betrachten, das Andenken seines großen
Schlachtenmalers hochzuhalten. Auch Deutschland, das
schon von frühe an seinem Können Bewunderung und
verständniß entgegenbrachte — Menzel und Begas
standen ihm auch persönlich nahe —, wird Werescht-
schagin nicht so bald vergessen.
G. I. W.
frsnrörircke Xnnrt in Ducken.
ist ausfallend, daß zugleich an drei Stätten
Münchner Kunstpflege in diesem Monat sich
französische Künstler zu Gaste laden. Im Kunst-
verein zieht Louis Legrand mit s68 Werken auf.
 
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