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Die Kunst-Halle — 9.1904

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Nummer 22
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Esswein, Hermann: Persönlichkeit und Technik
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Künstler über Kunst
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Die Kunst-Halle.

Nr. 22

Stoff. Diese technischeUniversalität, dieHandschriftlichkeit
des Könnens mag in ihren einzelnen Leistungen leicht,
mühelos aussehen und den Laien, manchmal auch den
Kunstkritiker, der ja leider in vielen Fällen der Rou-
tinier des Schriftstellerthums ist, zu dem Urtheil ver-
führen, als sei diese Mühelosigkeit Leichtsinn, die kecke
Anmaßung einer Persönlichkeit" im üblen Sinne dieses
Wortes, das dann nichts Anderes bedeutet, als un-
berechtigte Subjektivität. Aus dieser Verwechslung
heraus mag es dann wohl geschehen, daß einem
Kunstschreiber die Ausdrücke „Lharakteristiker" und
„Manierist" zu Synonymen werden.
Und welcher Abgrund liegt zwischen Beiden!
Welche Ueberwindungen nach der persönlichen wie
nach der technischen Seite hin sind nothwendig, aus
einen: modernen Künstler z. B. einen modernen
Illustrator zu machen, der, wie etwa Th. Th. Heine,
jede neue Aufgabe, die an ihn herantritt, zugleich nut
neuartigen technischen Ausdrucksmitteln löst, die eben
der jeweils vorliegenden Aufgabe entsprechen und keiner
anderen. Der Künstler, der seinen Stil, seine persönliche
Note einmal gewonnen hat, wird leicht geneigt sein,
sich bei diesen: seinen: Stil vor Anker zu legen, einer-
seits Aufgaben zu umgehen, die sich mit diesem Stil
nicht vertragen, andererseits diesen Stil, diese persön-
liche Note auf Themata aufzupfropfen, die sachlich
dieser Einverleibung widersprechen. Die universelle
Begabung, der Mann der künstlerischen Handschrift
entgeht dieser Gefahr. Hroteisch zeigt er sich von allen
Seiten, denn zede der Aufgaben, die nur immer an
ihn herantreten mögen, wird einer der Seite:: seines
Wesens entsprechen.
Bliebe zum Schluß noch übrig, einen Blick zu
werfen, auf den Affen der Individualität, auf den
Manieristen. Auch er schreibt seine Handschrift. Er
bewältigt, wie das Genie, spielend jede und jede Auf-
gabe. Alles, was er hervorbringt, trägt den Stempel
seiner Persönlichkeit, die identisch ist mit souveräner
ästhetischer Willkür, der natürlich gerade die formale
Gesetzmäßigkeit des Wirklichen, Mbjektiv-Gegebenen
zum Opfer fällt.
So sehr die anspruchsvolle, lärmende Originalität
des Manieristen — sie ist nur Griginalitätssucht — ge-
eignet sein mag, den Laien, der einem Bildwerk nur
gegenständliches Interesse entgegenbringt, zu bestechen,
der Kenner wird das richtende, verurtheilende Wort
„Manier" immer dann aussprechen, wenn er sieht,
daß die „originellen", subjektiven Momente des in
Betracht kommenden Werkes unberechtigter Subjekti-
vismus sind, der dem Kampfe mit der Wirklichkeit von
vornherein aus dem Wege gegangen ist. Nicht um-
sonst war es von je der Manierist, der Snob, welcher
den Ruf ausstieß: „Es giebt keine Technik."


Künstler über Kunst.

s. Franz von Lenbach.
^/^^ie Tagespresse hat das reizende nachgelassene
-ss ) Büchlein*) von w. wyl über Lenbach schon
in solchem Umfange ausgeschöpst, daß uns
kaum noch etwas von Bedeutung übrig gelassen ist.
Die wyl'schen Gespräche und Erinnerungen lassen sich
zwar in Gedankenfülle, in Vielseitigkeit der künstlerischen
Fragen und Gesichtspunkte nicht mit dem Floercke'schen
Buche über Böcklin entfernt vergleichen. Aber die
Publikation ist mit ihrem frisch gezeichneten Inhalt an-
regend genug, um nachhaltig zu fesseln, was der
Meister über Bismarck, König Ludwig I., Gottfried
Semper und den Grafen Schack sagt, hat offenbar
quellengeschichtlichen, dauernden Werth, und wie Len-
bach über moderne Kunstbestrebungen, über Maltechnik
und dergl. geurtheilt hat, wird ebensowenig Niemand
gleichgültig lassen.
In einer Rede, die vor länger als HO Jahren ge-
halten wurde, tritt Lenbach's verhältniß zur Kunst der
alten und neueren Zeit ziemlich unverhüllt hervor, be-
sonders da, wo er den heutigen verfall der Technik in:
Gegensatz zu früher beleuchtete:
„Niemals — das ist selbstverständlich — kann
die Technik Selbstzweck sein. Sie bietet nur die Mittel
zu der eigentlichen Kunst. Aber jene großen Meister
wußten, daß man sich nicht sorgfältig genug vorbereiten,
nicht energisch genug nach der vollen Herrschaft über
die Mittel streben kann, wenn man sich der höchsten
Wirkungen und größtmöglichen Dauer der Werke ver-
sichern will . . .
„Die nothwendige Folge hiervon war, daß auch
ihre Schüler in den Besitz der wichtigsten Kunstmittel
gelangten und daß selbst geringere Talente dadurch zu
erfreulichen Leistungen befähigt wurden. Die Kirchen
und Gallerten sind voll von Bildern, in denen sich der
Segen einer solchen praktischen Schulung, einer Ueber-
lieferung erprobter Methoden erkennen läßt . . .
„Das ist nun leider in unserer heutigen Zeit sehr-
anders geworden. Ein junges Geschlecht ist heran-
gewachsen, das in pietätlosem Dünkel den großen vor-
fahren nichts verdanken, aller Tradition den Rücken
kehren, die Kunst von vorne anfangen will, wer in
der Wissenschaft oder im Handwerk die Erfahrungen
und Erfindungen der Jahrtausende ignoriren wollte,
würde nicht nur einfach ausgelacht und für einen
Narren erklärt werden, sondern bei seinem thörichten
Eigensinn verhungern müssen. Ein Maschinentechniker,
der nicht aus seinen Vorgängern Nutzen schöpfen
wollte, würde es höchstens zur Erfindung eines Schub-
karrens oder einer Kaffeemühle bringen, wenn er üher-
haupt Talent hat und alt genug wird. In der Kunst
aber soll das ganz anders sein. Der zuchtlose Geist,
der durch die heutige Welt geht, bewirkt und begünstigt
die Auflehnung gegen jede anerkannt höhere Macht
und sieht ein Hinderniß der freien Entwicklung in der
Dankharkeit gegen Diejenigen, die der Welt durch ihr
begeistertes Schaffen die höchsten Genüsse bereitet haben,
was jene geleistet, möchte für ihre Zeit ganz löblich
gewesen sein. Sie aber, die Kinder einer neuen Zeit,
dürften nicht rückwärts schauen, nichts von den Alten
lernen, nicht einmal die Mittel von ihnen annehmen,
durch die jene Großen zu ihren herrlichen Wirkungen
gelangt sind. Denn sie bilden sich ein, wenn sie sich an
I Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart (Preis Z M.; geb.
4 M.)
 
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