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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1868

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Nr. 116-129 (1. Oktober - 31. Oktober)
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505

Oberamtmanns in keine allzu große Besorgniß gerathen wird. Die
Moral von dieser Geschichte ist übrigens die, daß das Resultat
unserer ganzen vielgerühmteu „freiheitlichen Bewegung" vom Jahre
1860 kein anderes ist, als ein Uebermaß des bureaukratischen
Einflusses auf allen Gebieten des staatlichen Lebens, ein lieber-
matz der Einmischung und Anmaßung dieser carrisrebegierigen
Faiseurs neuesten Schlages. Die öffentliche Gewalt mit ausübend,
fesseln sie die Untergebenen, einen Schweif von nach Gunst haschen-
den Interessenten, eine ganze servile Gesellschaft an sich; lassen sie
von Bürgermeistern, Gensdarmen, Steuererhebern und Polizei
dienern Hoch und Bravo rufen; von irgend welchen Kanzleibe-
diensteten Artikel schreiben, in welchen ihre Rednergabe und der
allgemeine Enthusiasmus, den sie hervorgerufen, bis in den Himmel
erhoben wird; geben sich schließlich noch für die Erbpächter des
freien Geistes aus und glauben am Ende selbst, daß dieser ganze
Schwindel nicht durchschaut würde. Gleichviel, dieses Gebühren
der neuärarischen Bureaukratie drückt auf jede freie Regung im
Volke. Statt zur Sclbstthätigkeit und Selbstverwaltung zu erziehen,
verführt es zum Servilismus und zerstört den Glauben an die
Unbefangenheit und Unparteilichkeit der Staatsgewalt. Doch das
Joch ist ja so süß! (Franks. Ztg.)

L Die bürgerliche Standesbeamtung.
Die Fortschrittspartei in Badcu, die ihren Fortschritt bis
jetzt nur in Feindseligkeiten gegen die katholische Kirche zu zeigen
wußte, dringt seit geraumer Zeit mit gewaltiger Anstrengung da-
rauf, daß den Geistlichen die Führung der bürgerlichen Standes-
bücher abgenommen und eigenen Beamten überwiesen werde. Der
Justizminister hat den deßfallsigen in der zweiten Kammer gestellten
Anträgen eine entsprechende Gesetzesvorlage für den nächsten Land-
tag zugedacht. Nach den jüngsten Berichten öffentlicher Blätter
soll dieser Gesetzentwurf bereits fertig sein. Da au dessen Annahme
nicht zu zweifeln ist und somit statt der Geistlichen eine eigene
weltliche Standesbeamtenschaft in's Leben treten wird, dürfte es
an diesem Wendepunkte eines uralten Herkommens nicht unpassend
sein, zur Aufklärung und Berichtigung der öffentlichen Meinung
einen kurzen Rückblick auf die seitherige Führung der bürgerlichen
Standesbücher zu werfen, die Ursachen anzugeben, warum man
den Geistlichen dieses Geschäft abnimmt um zu untersuchen, auf
wessen Seite, des Staates oder der Kirche, Gewinn oder Verlust
aus dieser Maßregel zu finden sei. Wir haben dabei vorzugsweise
die Verhältnisse der katholischen Kirche im Auge.
I.
Bis zur französischen Revolution waren die Kirchenbücher bei-
der Confessionen in allen christlichen Staaten oie alleinigen öffent-
lichen Urkunden über Geburten, Taufen, Verehelichungen und
Sterbfälle ihrer Angehörigen; ihre Führung wurde von den kirch-
lichen Behörden überwacht und jede im Laufe der Zeit nothwen
dig erscheinende, von der Staatsgesetzgebung gewünschte Abänderung
nur im Einverständnisse mit ihnen vorgenommen.
Mit der Einführung des Code Napoleon in Frankreich (1804)
wurden für dieses Land und für alle mit demselben vereinigten
Gebietstheile eigene Beamte des bürgerlichen Standes geschaffen,
zu welchen in der Regel die Ortsbürgermeister genommen wurden;
diese hatten für die Zukunft ausschließlich die Beurkunduugen des
bürgerlichen Standes zu führen; die vorhandenen Kirchenbücher
mußten ihnen ausgeliefert werden; für ihre Dienstleistungen wurden
sie theils aus der Gemeindekasse, theils mit den für Ausfertigung
der Acten bestimmten Gebühren besoldet. Unabhängig von diesen
Civilstandsregistern werden von den Pfarrern jener Länder, wo
der Code Napoleon in seinem ganzen Umfang zu Recht besteht, die
Kirchenbücher nach altherkömmlicher Weise in Doppelschrift fort-
geführt und unterliegen nach wie vor der strengsten kirchlichen
Aufsicht.
Mit dem 1. Januar 1810 trat der Code Napoleon auch für
das Großherzogthum Baden als Gesetzbuch in's Leben, und das
zweite Einführungsedict (1809) ernennt die Pfarrer sämmtlicher
christlicher Confessionen in ihren Sprangeln zu Beamten des bürger-
lichen Standes; eine landesherrliche Verordnung vom 29. Mai
1811 erklärt jedoch ausdrücklich: „daß die Kirchenbücher nach ihrer
alten Einfachheit, nur mit einigen sich erstellenden Verbesserungen
als Stellvertreter der bürgerlichen Standesbücher forlbestehen
sollen, daß die Pfarrer keine besonderen Standesbücher, sondern
nur wie bisher die Kirchenbücher in Doppelschrift zu führen
gaben, daß sonach eine Reihe speciell angeführter Sätze des Code
Napoleon über die bürgerliche Standesbeamtung nicht maß-
gebend sei".
Aus dieser Verfügung des Gesetzgebers geht hervor, daß die
Kirchenbücher nach wie vor kirchliches Eigenthum sein und bleiben
sollen, demnach von den Pfarrern als kirchlichen Beamten nicht
als Staatsbeamten geführt werden; daß die Benennung „bürger-
liche Standesbeamte" auf die Pfarrer übertragen und den Sinn
haben könne, daß aus ihren Einträgen und Beurkundungen, die
sie als kirchliche Beamte vornehmen, für alle Fälle von einem
Richter das was er zur Entscheidung der bürgerlichen Nechtsange-

legenheiten zu wissen nothwendig hat, auf eine im In- und Aus-
lande zureichende Art geschöpft werden kann." (Verordnung vom
Jahr 1811.) Sind aber die Kirchenbücher nicht die im Code vor-
geschriebenen Standesbücher, sondern nur deren Stellvertreter, so
steht das Eigenthumsrecht dieser von kirchlichen Beamten geführten
Bücher und die Jurisdiction über beide nicht der Staatsgewalt,
sondern den kirchlichen Organen zu, und nur im Einvernehmen
mit diesen und mit ihrer Zustimmung können von der Staatsge-
walt deßfallsige Erlasse an die Pfarrei gerichtet werden.
Es war vorauszusehen, daß man in der bald daraus folgenden
Zeit des sog. „Staatskirchenrechtes" und des „unveräußerlichen
staatlichen Oberhohheitsrechtes über die Kirche" einer kirchenrecht-
lichen Auslegung der Edicte von 1809 und 1811 nicht viel Raum
geben und insoferne eine solche mit der Stacusallmacht in Wider-
streit gerathen oder ihr unbequem werden wollte, kurz aufräumen
würde. Und da geschah's. Die Staatsverwaltung betrachtete die
Kirchenbücher als ihr Eigenthum, maßregelte die Pfarrer als Stan-
desbeamte nach Willkür, stellte sie unter die Aufsicht und Straf-
gewalt der Bezirksämter, die bei den geringsten Versehen in Füh-
rung der Kirchenbücher mit Drohungen, Verweisen und Strafen
auf die rücksichtsloseste Weise gegen die Pfarrqeistlichen vorgingen,
und um das Mau der Willkür voll zu machen, die bezüglichen
Verordnungen der Staatsgewalt aus eigener Machtvollkommenheit
verschärften oder auf eigene Faust periodische Standesschreibereien
anordneten. Die Kirchenbücher hatten aufgehört Kirchenbücher zu
sein, die Pfarrer waren weltliche Standesbeamte genau nach den
Bestimmungen des Code Napoleon, ohne daß ihnen jedoch auch,
wie in Frankreich den Beamten des bürgerlichen Standes, eine
angemessene Belohnung für ihre Leistungen wäre bewilligt worden;
denn die geringen Taxen, die sie für manche Anfertigungen zu er-
heben berechtigt sind, die aber in den meisten Fällen nicht eingehen,
können nicht als solche Belohnung bezeichnet werden; ohnedies yatten
die Pfarrer auf deren Bezug ein Recht lange bevor, ehe sie der Staat
als Standesbeamte in seine Dienste zwang. Dagegen war ihnen
ein Wust von Umsonstardeiten ausgebürdet für tue Bezirksämter,
Amtsgerichte, Notare, Phpsicate, Amtsrevisorate, Genchtsnotare
u. s. w., zu deren mehr als halbhunderljcchriger Fortschlcppung
nur die deutsche — Geduld fähig war. Der Kirchengewalt war
dem Landrecht und dem Strafgesetzbuch gegenüber jede Einwirkung
auf tue Führung dieser Standesbücher oder zum Schutze ihrer
Pfarrer, weil Standesbeamte, unmöglich gemacht und sie ließ ge-
schehen, was sie wie so vieles andere, auf weit wichtigeren Gebieten
nicht hindern konnte oder im Anfang zu hindern übersehen hatte.
Wir wollen einige Beispiele anführen zum Beweis wie gering-
schätzig man mit den Pfarrern als Standesbeamten umging und
sie als solche zwang katholische Lehrsätze und kirchliche Anordnungen
zu übertreten.
Der ehemalge katholische Pfarrer Maier in Gerlachsheim,
später Oberkirchenrath in Karlsruhe, hatte in Standessachen ein
amtliches Schreiben an das dortige Bezirksamt ergehen lassen und
darin den Ausdruck „Dienstsreuudschaft" gebraucht. Bezirksamtmann
Schmitt schickte das Schreiben zurCorrectur zurück, „weil das Be-
zirksamt mit dem Standesbeamten nicht in Dienstfreundschast, son-
der dieser zu jenem im Verhältnisse der Unterordnung stehe." Auf
den Recurs des Pfarrers wurde das Verfahren des Bezirksamtes in
allen Instanzen genehmigt. Die Kirche hatte somit einen Theil
der Jurisdiction an den Staat preisgegeben, ihre Geistliche in
Handhabung einer rein kirchlichen Institution der weltlichen Ge-
richtsbarkeit freiwillig, ohne zwingende Nothwendigkeit überant-
wortet, sonach zur Beeinträchtigung der kirchlichen Immunität mit-
gewirkt.
Landrechtssatz 34 heißt: „Die Beurkundungen dürfen nichts ent-
halten, dessen Eintrag die Gesetze nicht vorschreiben." Ein Pfarrer
des Amtes Rheinbischofsheim hatte nach der alten Vorschrift des
römischen Rituals bei einem Eintrag in's Todtenbuch gesetzt: „starb
versehen mit allen heiligen Sterbsacramenten". Das Bezirksamt
gebot ihm „diese Ungehörigkeiten künftig zu unterlassen." Natürlich,
das Landrecht ist für die Kirchenbücher eine höhere Autorität als
Concil und Ritual.
Die katholische Kirche kennt keine Geburtsbücher, sondern
nur Taufbücher. Die geistlichen Standesbeamten aber müssen Todt-
geborene, die nicht durch die Taufe in die Kirche ausgenommen wor-
den sind, in die Taufbücher eintragen; müssen von Polizeiwegen
diese Kinder zur Beerdigung auf den Kirchhof begleiten.
Uneheliche Kinder werden nach kirchlichen Grundsätzen durch die
nachfolgende Ehe legitim; wollte aber ein katholischer Pfarrer in
Baden im Kirchenbuch zu dem Eintrag eines solchen Kindes nach-
träglich die kirchlich gültige Formel setzen: „durch nachfolgende Ehe
legitimirt", ohne daß die vom Landrecht erfüllten Förmlichkeiten er-
füllt werden, die nach der Eheabschließung gar nicht mehr erfüllt
werden können, so würde er zum Strich der Noliz angehalten oder
bestraft werden; und dennoch ist das Kind vor der Kirche legitim.
Der Pfarrer ist als Stalidesbeaint er gezwungen, in die Kirchen-
bücher Ehen, als durch einen weltlichen Gerichtshof geschieden em-
zutragen, die es kirchlich nicht sind; die Kinder, die lolche nach dem
Landrecht geschiedene Eheleute bei einer allenfallsigen Wwdermreini-
 
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