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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929

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Doesburg, Theo van: Farben im Raum
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https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0058

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Anwendungsmöglichkeit der Farbe: die rationa-
listische und konstruktivistische. Ich muß be-
tonen, daß diese Herabsetzung der Farbe zur
Dienstbarkeit in einer Zeit entstand, in der die
Existenz des Künstlers sehr bedroht war. Man
machte aber aus der Not ein Prinzip und erklärte,
das Plakat, Signet oder Inserat seien die Konse-
quenzen der neuen, „abstrakten" Malerei. Kon-
sequenzen aber haben nur Bedeutung innerhalb
des Gebiets der schöpferischen Tätigkeit.

Die Konsequenz der Malerei liegt nicht in
ihrem Ende. Ebensowenig wie die Unterdrüc-
kung der Farbe in der Architektur als Konse-
quenz der modernen Architektur anzusehen ist.
Im Gegenteil, da beide sich immer mehr nach
einer gemeinsamen Achse hin entwickeln, war
ein innerer Zusammenschluß zwischen Farbe und
Raum unvermeidlich. Und hier setzte das Pro-
blem der schöpferischen oder gestaltenden An-
wendung der Farbe im Raum ein. Ich selbst habe,
während meiner Zusammenarbeit mit dem jun-
gen Architekten C. van Eesteren (1923), ver-
sucht, die Farbe als Verstärkungsele-
ment der architektonischen Raumgestaltung an-
zuwenden. Dabei wurde von jeder künstleri-
schen, kompositorischen Tendenz abgesehen.
Die den Raum gliedernden Flächen wurden nach
ihrer Lage im Raum in einer bestimmten Farbe
gemalt. Höhe, Tiefe und Breite wurden durch rot,
blau und gelb betont, die Massen dagegen grau,
schwarz und weiß angestrichen. Auf diese
Weise kamen die Dimensionen des Raumes leb-
haft zur Wirkung. Anstatt die Architektur zu zer-
stören (wie das im Barock der Fall war), wurde
sie auf diese Weise verstärkt.

Was verstehen wir nun endlich unter einer
„gestaltenden" Anwendung der Farbe im Raum?

Seit Anfang der sogenannten „Stijl"-Bewe-
gung haben wir diese Frage sowohl praktisch als
theoretisch zu lösen versucht. Sie ergab sich
von selbst aus den Konsequenzen der Bildmale-
rei. Nachdem jede Illusionserregung ausgeschal-
tet war und das Bild aufhörte, eine in sich abge-
schlossene individuelle Ausdrucksform unserer
Privaterlebnisse zu sein, kam die Malerei mit dem

Raum und — was noch wichtiger war — mit dem
Menschen in Berührung. Es entstand eine
Beziehung von Farbe zum Raum und vom Men-
schen zur Farbe. Durch diese Beziehung vom
bewegenden Menschen zum Raum ergab sich
eine Empfindung in der Architektur, nämlich die
Empfindung der Zeit.

Die Fährte des Menschen im Raum (von links
nach rechts, von vorn nach hinten, von oben nach
unten) wurde für die Malerei in der Architektur
von prinzipieller Bedeutung. Wurde der Mensch
durch das statische Bild an einen bestimmten
Punkt gefesselt und hatte die dekorative „monu-
mentale Wandmalerei" ihn schon für einen kineti-
schen linearen Ablauf des Malerischen im Raum
empfindlich gemacht, so sollte ihm die gestal-
tende Raum-Zeitmalerei es ermöglichen,
den ganzen Inhalt des Raumes, malerisch (op-
tisch-ästhetisch) zu empfinden. Diese Empfin-
dung war neu, ebenso neu wie die erste Emp-
findung einer Flugzeugfahrt im freien Raum.

Es handelte sich bei dieser Malerei nicht dar-
um, den Menschen an den bemalten Wand-
flächen herumzuführen, damit er die malerische
Entwicklung des Raums, von Wand zu Wand, be-
obachten kann, sondern vielmehr hierum: eine
synoptischeWirkung von Malerei und Ar-
chitektur hervorzurufen. Um das zu erreichen,
müssen die gemalten Flächen sowohl architek-
tonisch als malerisch in Beziehung stehen: das
Ganze muß als ein fester Körper gestaltet
sein.

Konstruktion und Komposition, Raum und Zeit,
Statik und Dynamik in einem Griff gefaßt. Grund-
sätzlich ist der architektonische Raum nur als
gestaltlose und blinde Leere zu betrachten, so-
lange die Farbe sie nicht tatsächlich zum Raum
gestaltet.

Die gestaltende Raum-Zeitmalerei des zwan-
zigsten Jahrhunderts ermöglicht es dem Künst-
ler, seinen großen Traum, den Menschen statt
vor, in die Malerei zu stellen, zu verwirklichen.

Letzten Endes ist doch nur die
Oberfläche für die Architektur ent-
scheidend. Der Mensch lebt nicht in der Kon-
struktion, aber in der Atmosphäre, die durch
die Oberfläche hervorgerufen wird.

Theo van Doesburg

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