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Die Kunst-Halle — 8.1903

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Galland, Georg: Die Reform der Künstler-Jury [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.61999#0010

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2 D i e A u n st - H a l l e. Nr. f

überzeugen können. Denn diese Einrichtung der Künstler-
Iury repräsentirt ein Rechtsverfahren, das genau so noth-
wendig sein und wohlthätig wirken könnte, wie jedes
andere Iustizmittel des Staates. Das will nicht Recht
und Freiheit unter ein Joch beugen, sondern sie förder-
sam schützen. Und wenn gerade dies bei der Künstler-
Jury von mancher Seite prinzipiell geleugnet wird, so
meine ich zunächst: Die Gegner sind sich nicht völlig
klar über das, was künstlerische Freiheit, was das Recht
des Künstlers im Anschluß an die öffentliche Ausstellung
seiner Schöpfung bedeutet.
Wie heute im politischen Leben, so verwechselt inan
auch im künstlerischen Leben den Begriff Freiheit leicht
mit Schrankenlosigkeit. Gewisse Leute glauben wirklich,
Kunst und Künstler seien erst dann völlig frei und glück-
lich, wenn man jedes gemalte und gemeißelte Werk
öffentlich ausstelle. Konsequenterweise müßte dann auch
jedes lyrische Gedicht gedruckt, jeder dramatische Versuch
auf die Bühne gebracht werden. Im Gedränge eines
ungezügelten Wettbewerbs würden aber die breiten Rücken
der Riittelmäßigen sicherlich den Andern Licht und Luft
fortnehmen. Man lerne nur aus der Geschichte, welche
unerhörten Ausschreitungen im politischen Leben im Namen
solcher Art Freiheit schon begangen worden sind. Auf-
gabe einer Künstler-Jury soll sein: Dem wahren Kunst-
werk Licht und Luft zu ermöglichen, den wahren Künstler
und seine Arbeit gegen die brutalen Umschlingungen
dilettantischer Mittelmäßigkeit zu schützen. Erst dadurch
erwächst dem Künstler auf diesem Boden die Freiheit,
auf die er ein unleugbares Recht hat. Erfüllt aber
eine Jury diese Aufgabe nicht oder schlecht, so soll man
nicht die ganze Einrichtung verwünschen und beseitigen,
sondern man soll sie reformiren. Man soll ihr endlich
eine feste legale Form geben, damit sie als eine der
Rechtseinrichtungen des Staates Achtung finden und
sich bewähren könne, Hierzu ist aber merkwürdiger-
weise kaum irgendwo bisher ein entscheidender Schritt
gethan worden.
Die Jury entbehrt heute noch der festen Basis und
der gesetzlich geregelten Thätigkeit. Ihre Mitglieder
werden schnell gewählt, bald mehr als Folge ihres
künstlerischen Ansehens in der betreffenden Künstlerschaft,
bald mehr auf Grund ihrer Vertrauensstellung, die in
manchem Künftlerverbande oder -vereine auch durch
Redegewandtheit, Trinkfestigkeit u. a. persönliche Vor-
züge zu gewinnen ist. Nicht selten lehnt der Ge-
wählte ab, sei es, daß es ihm grade an Zeit und Lust
gebricht, sei es, daß ihm die Verantwortlichkeit des
Ehrenamtes oder die Gefolgschaft zufällig nicht paßt.
Die meisten aber nehmen gern an; erscheint es ihnen
doch mit Recht ehrenvoller als ein Juror über Hunderte
und Tausende zu fungiren, als auf der Gegenseite das
Urtheil unfehlbarer Kunstrichter über sich ergehen zu
lassen. Dabei braucht der Juror nicht einmal die Ver-
pflichtung in sich zu fühlen, das übernommene Amt
auch wirklich nach Kräften auszuüben. Lin unbezahltes
Amt verpflichtet, nach der Meinung vieler, zu nichts,

selbst wenn es über Wohl und Wehe strebsamer Ge-
nossen zu entscheiden hat.
Das Verfahren der Iury-Thätigkeit vor den großen
Iahresausstellungen ist ziemlich bekannt. Die aus den
Magazinräumen Stück für Stück von Dienern herbei-
geschleppten Objekte werden von den anwesenden
Juroren nacheinander besichtigt. Der Vorsitzende des
Künstlergerichts, der sein Urtheil zunächst in die Wag-
schale wirft, stellt dann für Annahme bezw. Ablehnung
des Werkes die Majorität der Stimmen fest. Eine
protokollirung des Urtheils oder nur der Ablehnung
findet, meines Wissens, nirgends statt. Dazu bleibt den
Herren bei der relativ kurzbemessenen Zeit ihrer Zu-
sammenkünfte keine Zeit übrig: wer daran zweifelt,
dem wird das zahlenmäßig bewiesen . . . Stellt sich
zum Schluß heraus, daß man trotz Wiederholung der
Auswahl noch immer zu rigoros verfahren und den
Bedarf an Schauobjekten nicht völlig gedeckt hat, dann
wird die Arbeit — falls verabsäumt wurde Fragliches
bei Seite zu stellen — manchmal an irgend einem Ende
wieder ausgenommen, aber nur so weit fortgeführt,
bis der Bedarf glücklich gedeckt ist. Das Endergebniß
macht alsdann einen sonderbaren Eindruck. Man glaubt
die Zulassungen und die Abweisungen auf zwei ver-
schiedene Jurys zurückführen zu sollen. Die Glücklichen
loben die Gerechtigkeit einer milden Jury, die Opfer
der strengen Jury lamentiren über die Begünstigung
der Anderen. weder das Eine noch das Andere
braucht richtig zu sein: die Ursachen der Milde und
Strenge liegen vielmehr in dein gleichen herrschenden
Verfahren der Jury, das jeglichen Grad der Will-
kür zuläßt. Sie wird von den Eigenschaften der
Persönlichkeiten abhängen.
Giebt es doch in mancher Jury Einen oder Einige,
die, sei es durch ihre künstlerische Position, sei es durch
die Fähigkeit ihres Geistes, das Urtheil der Uebrigen
beeinflussen oder einschüchtern. In kleinen Kunstorten
besonders ist die Jury durch mancherlei Rücksichten
gebunden. Bald merkt man, daß vorurthsile mit dem
„für" und „wider" seltsam umspringen, daß persönliche
Empfindungen eine Rolle spielen; bald sieht man den
Hochmuth erbarmungslos seines Amtes walten. Und
trotzdem lagert über dem Haupte jeder Jury eine heilige
Ruhe, die sonst nur das beste Gewissen und die treueste
Pflichterfüllung verschafft, und die hier den Kunstrichter
um so mehr befriedigt, als er bei der absoluten Geheim-
haltung der Einzelurtheile die Verantwortung für seine
Abweisung eines Werkes nicht zu fürchten braucht . . .
Als die „Sezessionen" vor Jahren aufkamen, da
hatten Viele aufathmend eine Umwälzung auch der
bestehenden Iuryverhältnisse erhofft. Aber wenn diese
Parteien der „Jungen" auf einem Gebiete den ge-
hegten Erwartungen gar nicht entsprochen haben, so
hier. Sie haben durchweg bitter enttäuscht. Fast über-
all haben sich die ehemals Schwachen, die der Groll
gegen die bestehenden Einrichtungen zusammenkittete,
als eigenmächtige Herrscher entpuppt. Das scheint so
 
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