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Die Kunst-Halle — 8.1903

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Rücklin, R.: Die soziale Aufgabe unserer Kunstgewerbevereine [1]
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82 Die A u n st - H a l l e. Nr. h

der Schule auch der des Vereins am gleichen Platze
war, so haben sie andererseits ihre Ziele sich wesentlich
weiter stecken müssen, als die Schule es thun konnte
und durfte. Hatte diese im Allgemeinen die formale
Ausbildung des werdenden Kunstgewerblers zur Auf-
gabe, so jene die Geschmacksausbildung des Gewordenen,
des in praktischer Ausübung des Berufes Stehenden.
Da es sich damals im wesentlichen um Leute handelte,
denen eine methodische, künstlerische Ausbildung aus
Mangel an Gelegenheit nicht hatte zu Theil werden
können, so war man genöthigt, überall erst Grundlagen
zu schaffen: Man ließ belehrende Vorträge halten, man
veranstaltete Fachausstellungen, gründete kunstgewerbliche
Bibliotheken, man gründete und unterhielt Vereins- und
Fachzeitschriften. Der Zusammenschluß verschaffte also
den Mitgliedern die Möglichkeit, sich gemeinsam ein
Vorbilder- und Anregungsmaterial zu beschaffen und
zu benutzen, die für die Mittel des Einzelnen unerschwing-
lich gewesen wären. Das mußte damals, wo die öffent-
lichen Museen und kunstgewerblichen Zeitschriften ent-
fernt noch nicht auf der Höhe standen, wie heute, für
jeden Angehörigen des Kunstgewerbes und der Kunst-
industrie von gleichem werthe sein, und die dahin zielende
Thätigkeit der Kunstgewerbevereine ist auch für unsere
nationale künstlerische Entwicklung von einer gar nicht
hoch genug einzuschätzenden Bedeutung gewesen. Dazu
kam noch die persönliche Anregung, die jedem zusloß,
der regelmäßig die Vereinsveranstaltungen frequentirte,
und die dem Deutschen bei seinem zu schwerfälliger
Gründlichkeit neigenden Tharakter so besonders von
nöthen ist. wiederholen wir es uns: Unsere Kunstgewerbe
vereine haben für den Bereich ihrer Thätigkeit, also
für die Gewerbekunst und die Kunstindustrie, die Grund-
lagen gelegt für ein fachliches Zeitschriften- und Aus-
stellungswesen, für fachliche Sammlungen und Museen,
für die Entwicklung eines fachlichen Standes- und
Korporationsgeistes. Sie haben dazu die Grundlagen
gelegt, wie haben die Pflanzlinge nun aber sich weiter
entwickelt?
wir dürfen wohl sagen: Zhr Wachstum hat jede
Erwartung übertroffen; daß sie sich dabei theilweise der
Obhut ihrer ursprünglichen Pfleger entzogen und sich
auf eigene Füße gestellt haben, kann dem Erfreulichen,
das darin liegt, keinen Abdruck thun. Es liegt in der
Natur solcher freien, bürgerlichen Korporationen, wie
die Kunstgewerbevereine es sind, daß, sobald ihr
Wirkungskreis einen gewissen Umfang überschnitten hat,
eine ehrenamtliche Thätigkeit zu ihrer Vorsehung nicht
mehr ausreicht. Dann muß der Verein entweder besoldete
Mitarbeiter einstellen, in Bezug auf deren Thätigkeit
ihm das Auffichts- und Direktionsrecht zusteht, oder aber,
wie das nut den kunstgewerblichen Fachzeitschriften der
Fall ist, er verwandelt sich aus einem Produzenten in
einen Konsumenten, und bezieht, anstatt selber eine
Zeitschrift herauszugeben, eine solche zu besonders günsti-
gen Bedingungen von einem Verlage, wenn ein
Kunstgewerbeverein also im Laufe der Zeit in mancher

Beziehung von seiner ursprünglich leitenden Thätigkeit
zurückgetreten ist und sich auf eine unterstützende beschränkt
hat, so ist damit nicht gesagt, daß er seiner Aufgabe nicht
mehr gewachsen ist, oder daß er ihr nicht mehr nach-
kommt, sondern zunächst nur, daß die Verhältnisse und
damit seine Aufgaben andere geworden sind.
Denn, um bei den eben angeführten beiden Beispie-
len zu bleiben, um eine moderne, auf der Höhe stehende
kunstgewerbliche Zeitschrift herauszugeben, dazu bedarf
es einer so umfassenden, angespannten und fachmännisch
geschulten Thätigkeit, daß ein Verein mit seinen im
Ehrenamts thätigen Kräften sie nicht auf die Dauer
auszuüben in der Lage ist. Das Gleiche gilt von der
Leitung eines modernen kunstgewerblichen Museums,
das, sobald es über ein gewisses Maß hinausgewachsen
ist, einer wissenschaftlich gebildeten, ständig thätigen
leitenden Persönlichkeit nicht wohl entrathen kann.
Freilich wird die Leitung eines Kunstgewerbevereins in
beiden Fällen eine aufsichtsführende und dirigirende
Thätigkeit wohl beibehalten können. Giebt ja doch der
Münchener Kunstgewerbeverein seine bekannte Zeitschrift
nach wie vor heraus, unterhält doch der Verein „Kunst-
gewerbe-Museum" in Leipzig ein vorzüglich geleitetes
kunstgewerbliches Museum. Aber in beiden Fällen ist
von einer eigentlichen, freien vereinsthätigkeit nicht
mehr die Rede; es sind fest angestellte, fachmännisch
geschulte Kräfte, welche die Verwaltung und die son-
stigen laufenden Geschäfte in mehr oder weniger selbst-
ständiger weise erledigen. Und beide Fälle sind ja doch
nur dadurch denkbar, daß beide Vereine in großen
Städten domiziliren, wo Anregung und Unterstützung
von Staat und Gemeinde in reichem Maße ihnen zu-
fließen. Auch die fachlichen Ausstellungen, durch welche
namentlich der Münchener, in kleinerem Maßstabe
der Karlsruher Kunstgewerbeverein so ungemein anre-
gend und fördernd gewirkt haben, dürften bei den
immer größer werdenden Mitteln, welche solche Veran-
staltungen heutzutage erfordern, mehr und mehr aus
dem selbstständigen Geschäftsbereich unserer Kunst-
gewerbevereine zurücktreten.
Das Alles möchte nun den Eindruck erwecken, als
ob ich an ein Sinken der Wirksamkeit und Bedeutung
unserer Kunstgewerbevereine glaubte. Zn der That
sind in letzter Zeit mancherlei Symptome zu erkennen
gewesen, welche darauf Hinweisen könnten, daß eine
solche Empfindung in weiteren Kreisen vorhanden sei.
Zch erinnere an die Klagen auf den Delegiertentagen
des Verbandes deutscher Kunstgewerbevereine, daß dem
Verbände das richtige Arbeitsfeld fehle, ich erinnere an
die Vorgänge in Stuttgart, wo trotz des Vorhanden-
seins eines lange Zahre schon bestehenden württember-
gischen Kunstgewerbevereins ein neuer „Verein für
dekorative Kunst" gegründet wurde, der erst neuerdings
nach langen Verhandlungen sich entschlossen hat, mit dem
alten sich zu vereinen. Nichtsdestoweniger aber ist es
meine Ueberzeugung, daß der Wirkungskreis unserer
Kunstgewerbevereine sich nicht zu verkleinern, sondern
 
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