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Die Kunst-Halle — 8.1903

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Galland, Georg: Berlin: 6. Kunstausstellung der Sezession [2]
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ff 8 DieAunft-!)alle. Nr. 8

köpfen findet sich sonst noch Vortreffliches von Turt
Stoeving, Fritz Erler, Thr. F. Ulrich, Permann Struck,
Rich. Müller, I. Alberts, mit flott gezeichneten und auch
gemalten Aktfiguren sind Franz Stuck, Ls. von paber-
mann, L. von Pofmann, L. Torinth vertreten. Die
Studien, die einige junge hiesige Künstler, Baluschek,
Brandenburg, p. Zille, irr den untersten Volksschichten
machten, find nicht nur bildmäßig geschickt oerwerthet,
sondern auch als Sittenschilderungen aus dem dunkelsten
Berlin bemerkenswerth. Die Perspektive halb ver-
fallener Pausdächer weiß wilh. Schulz, trauliche
Interieurs namentlich p. pübner in farbigen Zeich-
nungen höchst malerisch zu gestalten. Die hierher ge-
hörigen Skizzen M. Liebermann's aus Florenz — sie
könnten freilich ebensowohl aus der Mulackstraße
stammen — scheinen mir dagegen recht unbedeutend:
immer nur ein paar Dächer und ein Stückchen Mauer
oder Schornstein. O'tz8t tont.
Mas von poetisirenden und xhilosophirenden
Zeichnern der Gegenwart auf der Ausstellung ist, bildet
gewiß nur einen kleinen Bruchtheil der künstlerischen
Phantasie, die wir den deutschen Graphikern zutrauen.
L. von pofmann's ausgedehnte dekorative Malerei
für ein Berliner Standesamt, ein Fries von guirlanden-
tragenden Kindern beiderlei Geschlechts, gehört wohl
kaum in eine graphische Ausstellung; aber diese an-
muthige Darstellung voll naiver Sinnenfreude mußte
hier eine klaffende Lücke ausfüllen. Sonst wirkt das
Beste, was uns von Phantasieschilderungen verschiedener
Gattungen hier begegnet, wie die Arbeiten von
L. Torinth und Käthe Kollwitz oder von dein
trotz angeblicher Modernität stark akademisch ange-
hauchten Franz Stassen, der einige Illustrationen zu
Faust, II. Thl., lieferte, gar sehr von des Gedankens
Blässe angekränkelt. Torinth hat sich übrigens in seiner
radirten Folge von „Tragikomödien" anregen lassen
durch die satirische Art jener politisch-historischen
Episoden, die in Frankreich gegenwärtig Steinlen u. A.
kultiviren, eine Art, die indes schon seit Tallot's
Nisöi'tzZ äs 1g, ß'Utzrrs bekannt und später, z. B. in
Rethel's grimmigen Volksszenen seiner Todtentanzfolge,
aufgetaucht ist. Eben dieses Revolutionsgebiet frukti-
fizirte neuerdings Käthe Kollwitz in ihrem auf allen
deutschen Ausstellungen seit Jahren gezeigten „Bauern-
krieg", der scheußliche Szenen menschlicher Muth und
Mordlust offenbart. Soll man fortan mehr das künst-
lerische Verdienst oder die „weibliche" Unverdrossenheit
dieser Kollrvitz-Schaustellungen bewundern? Im ge-
wissen Sinne wäre hier auch Wassily Kandinsky-München
mit seinen dekorativen Skizzen in Tempera anzureihen;
sie zeigen zum Theil auf schwarzem Grunde flüchtige
Darstellungen in mosaikartig bunten Flecken von reiz-
voller Wirkung, interessiren also vor allem nach der
koloristischen Seite hin.
Wenn man dann die Vielheit der Blätter über-
schaut, die hier den gerühmten deutschen pumor ver-
treten, so staunt man, wie sehr dieser pumor sich neuer-

dings seiner früheren Behaglichkeit entäußern und durch
fremde Einflüsse derb, brutal herausfordernd werden
konnte. Der alte satirisch-harmlose Geist der „Fliegenden"
lebt hier freilich unvergleichlich in den köstlichen, wohl-
bekannten Federzeichnungen Ad. Gberländer's, dein
Thierwelt und Menschen gleich vertraut sind; seiner
witzessxhäre nähern sich auch E. Kirchner, Mathilde
Ade und p. Bruck. Tarl Strathmann stellt dieses
Mal, als Pauptstück seiner bizarr stilisirten Schilderungen,
einen friesartigen Krönungszug mit komisch aufgeputzten
Typen aus. Das Auffallende dieser Strathmann'schen
Phantastik beruht doch wohl zumeist in dem Gegensatz
seines tollen, verzwickten Schnörkelwesens und der
pedantisch säubern, bunten Malerei. Ein Phantast von
noch seltsamerer Beschaffenheit, dessen Blätter mit nur
kleinen Einzelwesen wahrhaft groteske Gestaltungen be-
sitzen, ist Marcus Behmer, der moderne pöllenbreughel.
Eine entschiedene zeichnerische Vereinfachung erstreben
übrigens fast alle Karrikaturisten moderner Observanz:
die Th. Th. Peine, Bruno Paul, R. Wilke, L. Feininger,
Ed. Thöny. Jeder von diesen zweifellos begabten
Zeichnern brillirt in einer persönlichen Eigenheit, nicht
nur in stofflicher Beziehung, wie Peine, der mit seinem
Stift die Schwächen der sog. staatserhaltenden Kreise
vom Fürsten herunter schonungslos geißelt, sondern auch
in Typen und Zeichenmanier, die bei den Soldaten,
Bauern, Matrosen, Engländern, Studenten von Thöny,
Paul, Feininger häufig an das Fratzenhafte der Nigger-
Karrikaturen amerikanischer Witzblätter erinnern.
Rezniceck verhöhnt in diesem Kreise die faulende
Eleganz unserer Tage.
Am stattlichsten nimmt sich in der gegenwärtigen
Ausstellung die Zahl der gezeichneten und in Pastell
vielfarbig ausgeführten Landschaften aus. Bei nicht
wenigen, wie Gemälde wirkenden Darstellungen ist eine
Vereinfachung des landschaftlichen Bildes durch Stili-
sirung der Formen mehr oder minder auffällig durch-
geführt; am erfolgreichsten sind darin hier p. von
Volkmann, Walter Georgi, Pans von peider,
W. Leistikow, Künstler, deren bestimmt ausgesprochene
Absichten durch ein abgerundetes Können unterstützt
werden. Derartige summarisch behandelte Natur-
szenerien eignen sich namentlich gut zur Reproduktion
in farbiger Lithographie, die ja heutzutage als ästhetisches
Bildungsmittel eine Rolle spielt, und vermöge ihrer
dekorativen Wirkung scheinen diese Blätter auch als
Schmucktheile in den Nahmen mancher Räume modernen
Stils besonders gut zu passen. Die bekannten Worps-
weder Mackensen, Modersohn, Pans vom Ende stehen
jener Gruppe mit ihren intimen, melancholischen
Stimmungsbildern als Naturalisten gegenüber. Dann
erwähne ich Paul Baum, den Schüler der pariser
impressionistischen Lichtmaler, von welchem ein paar
Baum- und Kanal-Landschaften durch eine zarte und
freie Behandlung in ganz lichten Tönen entzücken. In
Feinheit des zeichnerischen Details stehen ihnen freilich
die kleinen sommerlichen Naturausschnitte nicht nach,
 
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