Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst-Halle — 8.1903

DOI Artikel:
Dworaczek, Wilhelm: Die Entwicklung des Impressionismus [1]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.61999#0194

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
f66

durch Fixiren, d. h. durch spezielles Linstellen der Gesichts-
linse genau ersaßt werden kann — daß ferner ein in
Bewegung befindlicher Gegenstand undeutlicher und
verschwommener wahrnehmbar ist, als ein im Zustand
der Ruhe befindlicher, daß es endlich in Bezug auf die
Farbe keine absoluten, sondern nur relative Eindrücke
gäbe, und daß der richtigen Farbe nur auf dem Wege
der Kontrastwirkung beizukommen sei. Jede Farbe
ändert sich bei verschiedener Beleuchtung. Lin Mensch,
der unter grünen Bäumen wandelt, wird eine völlig
andere Gesichtsfarbe haben, als einer, den die unter-
gehende Sonne bestrahlt u. s. w. Das genaue und tief
eindringende Studium der Farben und ihrer Beziehun-
gen, ihrer wechselseitigen Verhältnisse ist nun eine Er-
rungenschaft der neuesten Zeit, wenn auch ältere Meister
in dieser Hinsicht vorgebaut und manches angebahnt
haben. Daß man in der Freude über die neuen Er-
rungenschaften vielleicht zuweilen etwas zu weit ging,
daß man es mit den kühnsten und eigenartigsten Farb-
und Beleuchtungs-Experimenten versuchte, der neuen
Lehre immer tiefer auf den Grund zu kommen, das
hat den Impressionismus beim Laienxublikum sehr
diskreditiert. Man schimpfte über die violetten Kühe
und grünen Menschen u. s. w. Dem nun durch eine
gewissermaßen wissenschaftliche und durch Beispiele be-
gründete Darlegung der Prinzipien des Impressionis-
mus wirksam entgegenzutreten, sollte eben die Aufgabe
der vorliegenden Ausstellung sein. So wünschenswerth
es wäre, wenn das vorurtheilsvolle und oft ebenso
urtheilslose blinde wüthen gegen Alles, was nicht mit
der altbeliebtengemeinen Deutlichkeitder Dinge gezeichnet,
und mit dem soliden bürgerlichen wohlsortirten Farben-
kasten (Gesicht-fleischfarben, Himmel-blau, Gras-grün)
etc. gemalt ist — endlich einmal einem vernünftigen
künstlerischen Studium Platz machen würde — fürchte ich
doch, daß die gegenwärtige Ausstellung diesem Ziele
nur wenig näher führen dürfte. Denn wie schon im
Anfänge gesagt — es fehlt vieles in der logischen Kette
der Beweisführung, vieles auch ist geradezu geeignet,
die Begriffe zu verwirren und den widerstand noch zu
schärfen.
Die Sezession beginnt den Nachweis der An-
fänge und Entwicklung des Impressionismus mit Nr. s,
Tintoretto's prächtigen prokuratur v. S. Marco.
Das ist nicht unglücklich. Die breite, nur das wesent-
liche der Farbenwirkung erfassende, und die Form aus
Licht und Schatten durch die Farbengebung heraus-
modellirende Malweise hat in der That vieles mit den
Modernsten gemeinsam, und im Publikum wird mancher
ein wenig nachdenklich werden, und sich in das künstle-
rische Prinzip dieser, das Detail der Gesammtwirkung
unterordnenden Kunstausfassung vertiefen. Gleich darauf
aber bringen zwei kleine Nubensbilder (Esther vor
Ahasver und Ehristus im Hause Simon's) wieder Ver-
wirrung in die Köpfe. Noch weniger beweiskräftig, ja
nahezu von gegentheiliger Wirkung scheint mir das
herrliche Maler-Atelier Ian Vermeer's zu sein, die
perle der Tzernin-Gallerie. Das Problem des hell in
den Raum fallenden Lichtes, so frei und voll in der
Wirkung der niederländische Meister es auch behandelt,
erweist gerade für den Impressionismus sehr wenig,
weit eher, wie ein geradezu geniales Empfinden für
die Plastik der beleuchteten Form selbst bei liebevoller
Behandlung der Details noch eine großzügige Wirkung
im Ganzen hervorzubringen vermag, warum aber ist
Velasquez, der bei den Erörterungen über Impressio-
nismus so oft als Berufsinstanz herhalten muß, nur so
spärlich vertreten, und das mit einem Frauenbildniß,
das wieder unter den Gemälden des Meisters zu den

Nr. U
am wenigsten charakteristischen für den erwähnten Zweck
gehört, weit glücklicher vertreten ist sein großer Lands-
mann Goya, der geistige Vater eines großen Theiles
der modernen Malerei. Er ist der eigentliche Trumpf
der Ausstellung, vor allem das große „Stiergefecht".
Hier kann man die Kunstprinzixien des späteren radikalen
Impressionismus mit einer Pracht, Deutlichkeit und von
künstlerischstem Bewußtsein getragenen Unmittelbarkeit
studiren, die einem Schulmeister Helle Freude bereiten
dürfte. Es giebt auch kaum ein besseres Schulbeispiel
für den klassischen Impressionismus als dieses Bild mit
seinen breit hingewischten Farbenflecken, seinem halb-
dunklen, von kaum berechenbaren Lichtquellen durch-
fluteten Raume, der unstäten flimmernden Bewegung
der Masten, seiner durchwegs mit überwältigender Kraft
wirkenden Naturwahrheit. Rechnet man hierzu die
wirksame Tieftönung der Farben, das gesättigte Kolorit,
so ergiebt sich eine künstlerische Impression — das ist
wohl das richtige Wort? — von stärkster und tiefst-
geheader Wirkung. Schade, daß sich dem nur das
Porträt der Marquise de Baena, ein weit weniger
erfreuliches Werk des Meisters, und ein paar kleinere
Bilder — mehr Skizzen — anfügen, die durch ihre
große eindruckstarke Kunst den Wunsch nach einer
reicheren Auswahl erwecken. Dem mögen sich freilich
unumgängliche Hindernisse entgegengestellt haben, die
leicht begreiflich sind. Die vorhandenen Bilder sind durch-
wegs aus demBesitze desspanischenMalersIg.Z uloaga,
einem der bedeutendstenen Impressionisten (? D. Red.) der
gegenwärtigen spanischen Malerei, zu dessen Vorbildern
Goya und auch Velasquez unleugbar gehörten, der aber
selbst leider nicht vertreten ist. Man muß dem Künstler
Dank wissen, daß er seine Kunstschätze so bereitwillig
zur Versügung stellte. Von den Spaniern führen die
Anfänge des Impressionismus in Frankreich über den
Romantiker Delacroix, dann über Torot, Daumier
und Monticelli immer deutlicher zum eigentlichen
Impressionismus, bis dieser in Manet vollen und reinen
Ausdruck findet. Gewiß muß bei Manet vieles befremden.
In ihm ist alles Malerei, alles Augenblickseindruck. Die
gewisse Bändigung des künstlerischen Empfindens durch
irgend welche Schönheitsgesetze kennt er nicht. Ein
Zugreifen, rücksichtslos im malerischen Prinzip, zuweilen
brutal, wie in dem Bild „Büffetdame", oder selbst an's
Komische streifend, wie in dem unvollendeten „Bauer
auf dem Kanapö". Stets aber eine bewußte starke Hand,
ein eminentes Empfinden für das Leben und weben von
Farbe und Bewegung im Rahmen des augenblicklichen
Gesichtsfeldes, weit klarer, künstlerisch erzogener wirkt
Tlaude Monet. Freilich sind es vornehmlich landschaft-
liche Motive, die wir von ihm sehen, und es ist eine
Eigenthümlichkeit der gesammten modernen Malerei,
daß die Natur, vielleicht durch die Fülle der unwesent-
lichen und doch nicht völlig entbehrlichen Details, den
Verstiegenheiten einer gährenden Kunstanschauung doch
ein bestimmteres Maß auferlegt. Bei August Renoir
steht wieder die Augenblickserscheinung mehr im Zeichen
des Figuralen. Durchwegs Probleme, die der Freude
des Malerauges an der fesselnden, wenn auch flüchtigen
Erscheinung entspringen und mit der Raschheit der
Bleistiftskizze, die Eindrücke von Licht und Farbe fest-
zuhalten versuchen. Er hat im Incarnat des weiblichen
Körpers seine herrlichsten Farbtöne gefunden. Neben
ihm steht Tszanne. Er beherrscht vollendet die deko-
rative Wirkung der Farbenflächen; er verliert vielleicht
zuweilen dabei das Perspektivische, denn er wagt oft
das Unerhörteste und Kühnste. Immer aber hält er
mit verblüffender Sicherheit den Eindruck der lebendigen
Wirkung durch die Farbe fest, wie er aber auch durch

Die Kunst-Halle.
 
Annotationen