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Die Kunst-Halle — 8.1903

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Gagliardi, Ernesto: Altes und Neues aus Pompeji
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https://doi.org/10.11588/diglit.61999#0316

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Die A u n st - H a l l e.

27^

Nr. ls8

Farben, besonders das tiefe Karminroth, das hartnäckiger
als alle sonst in Pompes: vorgefundenen Farbennuancen
den Untersuchungen der Künstler und Chemiker wider-
standen hat, prangen in frischesten: Glanz, als ob sie
gestern und nicht fast vor 2000 Jahren aufgetragen
worden wäre::.
Nicht nur Atrium, peristyl, reichbeinalte Speise-
zimmer und eine ganze Reihe anstoßender Gemächer
sind vortrefflich erhalten, sondern inan fand auch den
größten Theil des Inventars und beließ es diesmal
feinfühlig an Grt und Stelle. Das Perischl schmücken
noch die dort gefundenen reizenden Statuetten, z. B.
eii: Satyr, ein Bacchos, ein Knäblein mit einem pasen,
schalkhaft und zierlich; zwischen den Säulen prangen
große runde Marmortische mit Löwentatzen als Fuß,
in Marmorbecken rauscht das kühle Wasser, sein
Tropfenfall singt den Erinnerungen und Empfindungen
einer längst verklungenen Zeit ein melancholisches Lied.
In der schwierige,: Kunst, über die Unebenheiten des
Daseins mit Grazie Hinwegzugleiten, sich an dei:
scharfen Kanten nicht zu stoßen, standen die Vettier
keinen: Epikur nach. Für die trauten: Augenblicke, in
denen die menschlichen Seelen aus ihrem vergänglichen
Gesängniß zu einander streben, und die Natur in ihren
höchsten Triumphe,: schwelgt, hatten sie einen ange-
messenen Raun: zur Verfügung, in dem das Tages-
licht keinen Eingang fand, dessen wände mit erotischen
Malereien geschmückt waren, und der sich selbst für die
perzensergüsse eines perikles und einer Aspasia wohl
geeignet hätte. Unbegreiflich bleibt es, daß ein solches
Juwel, das sich in: Zentrum Pompejis, dicht bei den
Therme,: und den: Tempel der Fortuna befindet, erst
anderthalb Jahrhunderte nach den ersten Ausgrabungen
wieder an das Tageslicht treten konnte. Vielleicht
hatte der musengebietende Apoll den Schatz allen
Nachforschungen darum so lange entzogen, um den er-
löschenden Ausgrabungseifer durch eine,: so herrlichen
Fund von Neuen: auflodern zu lassen. Bei kurzem
Aufenthalt in Pompeji möchte ich dem Besucher den
Rath geben, lieber das paus der Vettier gründlich zu
besichtigen, als sich durch die Fülle der interessanten
Reste die Eindrücke verderben zu lassen. Seine Be-
geisterung würde nachhaltiger sein, und nur zu gut
würde er Goethe begreifen, der eine an Schadenfreude
grenzende Genugthuung an den Verheerungen des
Vesuvs empfand.
Bei der chronischen Geldebbe, unter der die ita-
lienische Verwaltung leidet, wird gegenwärtig nur an
der Gräberstraße und bei der Porta Vesuviana aus-
gegraben. Aus diesen Arbeitsstätten gehen die seltensten
Blüthen der so eigenartigen pompejanischen Flora wie
aus einen: Treibhause hervor; leider sind sie für ge-
wöhnliche Sterbliche unsichtbar. Ich hatte glücklicher-
weise in perrn Tedesco, Professor am Istituto di
Belle Arti in Neapel, einen vorzüglichen Mentor, durch
den ich in das peiligthum gelangte. An dieser Stätte
lernt inan auch die Spitzfindigkeit und pandfertigkeit

der Italiener auf das Vortheilhafteste kennen. In aller-
letzter Zeit hat cs der Architekt Tozza unternommen,
selbst die kleinsten Stücke pompejanischen Gerölls
mit bewunderungswürdigem Geschick und Trappisten-
geduld zusammenzufügen. Bisher wanderte all das
auf einen Schutthaufen, — mit Recht nach Laienansicht
— jetzt aber entstehen aus den Stückchen ganze wände,
reizende Gemälde. Gerade so setzten italienische Bild-
hauer aus den: Marmorgeröll von Pergamon und
Olympia Statuen für deutsche Museen zusammen.
Gegenwärtig wird nut Volldampf daran gearbeitet,
das neuaufgedeckte paus des Frontonie, das eine große
Bereicherung bedeutet, dem Publikum frei zu geben.
Dieses paus zeigt originellen Wandschmuck, ein Zimmer
ist ganz wie ein parlekinsgewand ausgemalt, in einen:
anderen fand inan in den Fußboden eingemauerte
Blumenkassetten, auf deren Sockel die schönsten Pflanzen
abgemalt waren. In den Kassetten prangten zweifellos
dieselben Pflanzen, die der äußere erhaltene Schmuck
noch zeigt, Glycinien, Agaven, Kaktus. Jeder echte
Künstler von heute muß seine Freude haben an dem
Kollegen aus grauer Vorzeit. Auch die Schwesterkunst,
die Skulptur, ist bei den neuesten Funden nicht zu kurz
gekommen. Mb die fast meterhohen Statuetten einen
Epheben und einen Perseus bedeuten, darüber ent-
brannte unter Fachleuten ein heißer Kampf, daß sie
sich aber unter den schönsten Bronzen, um die man
das Museum zu Neapel in der ganzen Welt beneidet,
sehen lassen dürfen, darüber kann ein Zweifel nicht
eristiren. In Pompeji weht ein erfrischender, moderner
pauch, man merkt das Bestreben, nicht nur wieder-
herzustellen, sondern auch neu zu beleben, weit an-
geregter fühlte ich mich bei meinem diesjährigen Besuch
wie bei frühere:: Gelegenheiten. Ich wähnte mich oft
nach Athen versetzt, wohin die Seele immer wieder
strebt, wenn sie einmal dorten weilte. Pompeji ist eine
ideale Ergänzung einer griechischen Reise; dort unver-
gleichlicher Marmorzauber, himmlische Einsamkeit, aber
nichts, was uns Aufschluß geben könnte, wie die glück-
lichen Sonnenkinder hausten, handelten, lebten, die Be-
neidenswertsten, für die die geräumigen Pallen, die
luftigen Säulengänge, die ungeheure Arena bestimmt
war. Pier die Tempel mit Säulen von Stuck und
Ziegelstein, im Vergleich zu Athen eine Parodie, und
doch leisteten sie den Verwüstungen des Vesuvs Wider-
stand und der 2000jährige Schlaf verlöschte nicht die
Spuren eines Lebens, das uns auf Schritt und Tritt
entgegcnlacht. wir fühlen uns unwiderstehlich mit hin-
eingezogeu in das Gewimmel alltäglichen Lebens, hier
finden wir Alles, was wir in Athen vermissen, hier
lernen wir die pellenen innerlich und äußerlich kennen.
Verblüfft müssen wir uns die Frage stellen, wie muß
es bei ihnen auf dem Pöhepunkt politischen Daseins
und blühender Kunst ausgesehen haben, wenn zur Zeit
tiefsten Verfalls handwerksmäßige Maler die päuser
kleiner Kolonisten mit Fresken schmückten, die einem
Burckhardt die Loggien Naffael's fast überflüssig er-
 
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