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Die Kunst-Halle — 8.1903

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Rapsilber, Maximilian: Die Kunst im kaufmännischen Verkehr
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https://doi.org/10.11588/diglit.61999#0334

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290

Die K n n st - p a l l e.

Nr. s9

Gestaltungsmaterial der kaufmännischen Gepflogenheiten
in neue Formen umzugießen. Aus dein Reich der ge-
schäftsklugen und zugleich kunstsinnigen Kommerzienräthe
uud Fabrikherren und aus dem Lager der wortführenden
Professoren und freien Künstler begegnete inan sich auf
halbem Wege und aus einer gesunden Kreuzung der
anregenden und ausführenden Intelligenz fingen die
Keime des hier in Frage stehenden Kunstzweiges zu
sprießen an und man konnte beobachten, wie der Kauf-
mann sich den Künstler und der Künstler sich den
Kaufmann für feine Anschauungen erzog. Entscheidend
war es, daß der deutsche Künstler und Professor sich
endlich entschloß, von den weihrauchumnebelten Aarnaß-
kuppen oder von der hohen Rosinante herabzusteigen
und sich mit seinen zwei Beinen auf die Asphaltstraße
und die Paßhöhe des alltäglichen Lebens aufzuftellen
und von den Schlag- und Wachtworten des Großstadt-
getriebes begeistern zu lassen. So kam es, daß ein
neuartiges Künstlergeschlecht in die Arena einzog und
daß der überlieferte Begriff des Künstlerthums in einer-
ganz erheblichen Wandlung begriffen ist.
Bei einer feierlichen Gelegenheit erklärte Wallot
einmal, daß beicher Gestaltung eines neuen Kunststils
von dein Ingenieur, dein ausgemachten Zahlenmenschen,
die entscheidenden Impulse ausgehen werden. Darüber
sind erst zehn Jahre vergangen und schon sehen wir
sich dieses Wort von Tag zu Tag mehr bewahrheiten,
Heute können wir hinzufügcn, daß auch ein anderer
Zahlenmensch, der Kaufmann, einen wesentlichen Ein-
fluß auf eine neue Kunst ausüben wird, ohne daß das
Phantasieschaffen deshalb das ideale Rückgrat ein-
büßt. Der anfänglich wohl herbe und ungelenke Um-
bildungsxrozeß zeitgemäß werdender Anschauungen hat
zu allen Zeiten zu neuen Formen- und Geistesidealen
geführt. Wenn heutzutage der konstruktiv bahn-
brechende Ingenieur und der heißeratmend in die Welt-
konkurrenz einsteuernde Kaufherr ueue Lebensfundamente
zu legen berufen find, so wird auch die Künstlerkraft
eines gesunden Volkes nicht ermangeln, das Eisengerippe
täglicher Nothdurft mit dein Königsmantel der ver-
klärenden Phantasie zu umkleiden. Und das sehen wir
fetzt Schritt auf Tritt von derjangewandten Kunst, der
wichtigsten Errungenschaft unserer Tage, thatsächlich
geleistet.
Zu welchem Ziel uns aber der Sturmlauf der an-
gewandten Künste und dieser ganze dekorative Rausch
und Taumel fördern wird, kann gegenwärtig noch Nie-
mand überschauen, wenn aus dem feisten Schlaraffen-
land heraus eine neue Bahn an die frische Luft ge-
sprengt und geebnet wird, stehen die Arbeitenden und
nächsten Zuschauer in so dichten Staubwolken des unver-
meidlich aufwirbelnden Schutts, daß inan eben kaum die
Hand vor den Augen sieht. Das ist heute so, wie's immer
war. Erst wenn diese Staubwolken sich gelegt, wenn
der Kehricht, den die unberufenen Kleingeister und
Kärrner der Kunst mit affenartiger Geschäftigkeit an der
neuen Straße aufhäufen, bei Seite geweht ist, dann

wird über Ziel und Werth des verjüngten Kunstschaffens
zu rechten und zu richten sein, vorläufig streben und
kämpfen wir noch im Halbdämmer vor Sonnenaufgang
uiid müssen uns auf das ehrliche Gefühl verlassen, ob
wir auf rechtem Wege sind. Aller Wahrscheinlichkeit
nach sind wir wirklich auf dem Wege zu einer der
größten Umwälzungen der Weltkunst, ähnlich wie auch
der Weltreligion, der Staatsform und aller funda-
mentalen Lebensfaktoren.
Bekanntlich ist der deutsche Kaufmanu in der Er-
oberung des Weltmarktes dem englischen seit Kurzein
hart auf die Fersen gerathen und es eröffnet sich dein
deutschen Handel eine Perspektive ohne Gleichen. Zu-
gleich aber verpflichtet die neue Machtstellung zu einer
Repräsentation über den ganzen Erdball hin, zu einer
Aufrollung des Standesbewußtseins, das uns seit den
goldenen Tagen der Renaissance und namentlich seit
dem dreißigjährigen Krieg nach und nach abhanden
gekommen. Repräsentation, d. h. die Schaustellung der
Macht- und Glanzmittel wird heute nachgerade mit
Recht zu den ausschlaggebenden Faktoren des Daseins-
kampfes gerechnet. Und ebenso ist es klar, daß Nie-
mand anders zum Zeremonienmeister der Repräsentation
wie bei Königen und Prälaten, so auch bei Kaufherren
berufen ist, als der Künstler, der die schwarz auf weiß
deponirten Verkehrsformen des Handels zu stilisiren,
wie die Kulissen der aufmarschirenden Kapitalien blen-
dend und verblüffend zu gestalten hat. Gerade hier
thut sich für die Folge ein ungeahnt glänzendes und
wichtiges Schaffensbereich auf, in welchem aller Witz
uiid alles Genie formender Kräfte zu spielen berufen
ist. Ueber die ersten glücklichen Anfänge sind wir seit
der Einführung der Künftlerplakate schon hinausgediehen,
aber wir dürfen in halber Arbeit nicht stecken bleiben,
die Endziele müssen aufgeklärt werden und vor allem
ertönt in diesen frohen Werdetagen die Parole, daß
das ganze Feld von Grund aus aufgewühlt und um-
geackert werde. Ganze uiid weltmännisch vornehme
Arbeit soll geleistet uiid gerade von Berlin aus die
endgültig entscheidende Anregung gegeben werden.
So sehr nun auch zu allen Zeiten Kaufherr uud
Künstler in denkbar besten Beziehungen gestanden, so
ersichtlich ist doch hinwiederum das Mißtrauen, das in
weiten Kreisen den Schlangenwindungen der ange-
wandten Kunst entgegengebracht wird, vorurtheile
verwirren hüben wie drüben die Lage. Künstler vom
alten Schlage, die in den Hohlspiegel eines Gottes-
gnadenthums hinein liebäugeln, halten es unter ihrer
würde, den Erfordernissen des täglichen Lebens zu
dienen und an der Gestaltung einer neuen Volkskunst
mitzuwirken. Andererseits empfinden die Leute der
Praxis an dem überkommenen Begriff des Künstler-
thums eine muffige und abgestandene Nebenbedeutung,
sie wollen mit Sammetjacket uiid Gelock, mit roman-
tischer verblasenheit und Weltfremdheit, mit dem
Zigeuner- und Plebejerwesen des akademischen Hoch-
muths nichts zu schaffen haben und übersehen, daß
 
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