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Die Kunst-Halle — 8.1903

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Grosse Berliner Kunstausstellung 1903
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https://doi.org/10.11588/diglit.61999#0336

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daß trotzdem das Herkömmliche bei weitem vorherrscht.
Aber letzteres ist es gerade, was in den Augen der
Mehrheit diese Ausstellung anziehend macht. Ls ist der
ungeheuere Unterhaltungsstoff, der die dankbarer: Leute
von den Wänden herab amüsirt, sie zum Lachen oder
Nachdenken bringt. Selten ist in der That so viel
Figürliches vorgetragen, so viel erzählt worden.
Das Genre ist eben noch lange nicht todt, es hat sich
auch keineswegs radikal geändert, es hat nur, so weit
es heute ernsthaft erscheint, viel von der Absichtlichkeit
der Schilderung verloren. Ls legt fetzt vor allem
Gewicht auf das treu beobachtete, echt empfundene
Milieu. Ls wird nicht selten zum feinen Stimmungs-
bild, das nicht nur zu den Sinnen sprechen, sondern
auch die Seele des Beschauers voll und ganz erfüllen
will. Wie in dem Gemälde von Friedrich Fehr
(Karlsruhe) „Die Alte", das eine alte Dame in Be-
gleitung von drei kleinen Seidenspitzen schildert, im
Begriff, ihr von Bäumen beschattetes Häuschen zu
betreten, und das Bild altväterlicher stiller Traulichkeit
gewährt.
Selbst das ältere Genre, das sog. Anekdotenbild,
ist noch nicht verschwunden. Ls ist in Arbeiten von
Albert Baur (Düsseldorf) „Letzte Stunde", Moritz
Loschell (Berlin) „Die Abtrünnige" u. A. gar nicht
übel vertreten. Loschell schildert mit fast lebensgroßen
Figuren ein junges jüdisches Weib, das mit dem anders-
gläubigen Geliebten in einer Herberge von ihren ortho-
doxen Angehörigen aufgestöbert wird: in dem magischen
Helldunkel des öden Raumes wirkt das Entsetzen und
die Neugierde der Lindringenden äußerst beredt. Ebenso
hat Baur die Beichte eines zum Tode verurtheilten
zu einer malerisch fesselnden Leistung gestaltet, Koloristisch
pikante kleine Interieurs von Bauernstuben mit
holländiscken Insassen beiderlei Geschlechts sind zumal
von dem Münchener Haul Höcker und dem Berliner
R. Dossin vorhanden; in diese Gruppe gehören auch
die Bilder der Düsseldorfer Th. Funck „Am Todten-
bett", wo das glattsiächige Blau der Holzwände frappirt,
und O. Kirberg's „Dambrettspieler", die an den Stil
der Gartenlaube-Illustration erinnern.
Die heutige Vorliebe für die Landschaft hat sehr
dazu beigetragen, daß man besonders das Genre in
freier Natur pflegt. Auch da kommt ein anekdotischer
Zug zum Ausdruck, wenn die Landschaft nicht schlecht-
weg zum Milieu, vielmehr zur Erläuterung eines wirk-
lichen oder seelischen Vorgangs gehört. Z. B. bei den
Hochzeitsreisenden von Ad. Schladitz und dem „Luft-
schlösser" bauenden still gelagerten Haar von M.
Schlichtung, das natürlich im Kostüm unserer Groß-
väterzeit sich xräsentirt. Kayser-Lichberg und Franz
Hoch lassen eine keck in die Wiesenlandschaft gesetzte
junge Dame einsam lustwandeln. Heinrich Lessing führt
einen Maler am Strande vor, dem zwei Damen bei
der Arbeit zuschauen. Hermann Seeger erfreut uns
mit dem Anblick gut gepflegter Kinder „Im Hfarr-
garten", K. von Bergen malte schlicht und innig ein
kleines Mädchen im Nasen, das eine niedliche Kücken-
schaar füttert, Skarbina eine Schloßterrasse, wo hinter
üppigen Blumengruppen eine Dame halbversteckt sitzt. . .
Dies sind artige, liebenswürdige Genremotive, meist in
frohen, bisweilen beschönigten Farben und mit poetisirtem
Ausdruck der Darstellung geboten. Auch K. Breitbach
und sogar der gewissenhafte Ernst Henseler, der
Berliner Breton, sieht Landschaft und Menschen mit
den freundlichsten Augen, ob er Mäher im goldig
glänzenden Getreide „Mittagsruhe" haltend oder zu-
weilen wohlhabende Leute auf Besuch, auf Reisen u. dgl.
schildert.

Nr. B

völlig echt wirken diejenigen, welche eine bestimmte
Gegend ohne Voreingenommenheit fixiren und sie mit
den dazu gehörigen Mensche:: realistisch beleben. Im
kleinen Rahmen leisten hierin F. Kallmorgen (Berlin)
und Hugo Mühlig (Düsseldorf), dessen Hannoversche
Kartoffelernte wiederum ein erlesenes Kabinetsstück in
Wahrheitsschilderung ist, das beste. Fein und koloristisch
interessant ist Kallmorgens „Sonntag Morgen", eine
beschneite polnische Gegend, belebt mit winzigen Ge-
stalten bunt gekleideter Bauern, ferner „Tauwetter" in
einer Dorfgasse. Im größere:: Nahmen hat Jul.
Bergmann beim Kartoffelfeuer und Gänsehüten" be-
schäftigte Bäuerinnen in seiner blau-grünen koloristischen
Art und gestrichelten Vortragsweise gegeben. Ludwig
Dettmann zeigt im Rahmen eines Triptychons die
Seemannsfrauen von Föhr in charakteristischen Hand-
lungen, das Vieh auf dem Felde melkend, Abschied
nehmend, zur Kirche schreitend; aber Dettmann hat sich
immer mehr in einen trüben Kolorismus verrannt, der
weder seiner Phantasie noch seinen Naturstudien zur
Ehre gereichen kann. Hans Herrmann fährt fort die
Spezialität seiner Blumen- und Fischmärkte an den hell
dunstigen Grachten Amsterdams zu pflegen, wenn auch
nicht immer mit gleich großem Erfolge. Und ähnlich
führen uns Fritz Werner, I. Jacob und G. Lilers in
das Getriebe der Groß- und Kleinstädte; doch nur der
letztere verräth in seinen Aquarellen feinern koloristischen
Geschmack. Friedrich Keller (Stuttgart) hat den
Betrieb einer „Schleiferei in Solnhofen" äußerst an-
schaulich, mit breiter flotter Hinselführung geschildert,
aber durch den grauen Ton, vielleicht unbeabsichtigt,
eine ideale Note in das Bild hineingetragen. Ernst
Koerner hat dann als Vertreter des ethnographischen
Genres das bunte Treiben des oberägyptischen Ortes
Siut mit vollem Können auf die Leinwand gebracht.
Maximilian Schaefer wählte als Hintergrund einer
Gruppe nackter lachender Kinder den Hellen Meeres-
strand. Hans Bohrdt endlich findet sich in einer
Szene aus dem Seeleben „Der Letzte am Bord des
sinkenden Schiffes" mit der dem Künstler eigenen
Sicherheit auf diesem Gebiete ab.
Auch sonst liegen erfreuliche künstlerische Resultate
vor, wo es sich für die Maler vorzüglich um eindring-
licher Physiognomik, um Lharaktergestalten und sonder-
bare Menschentypen handelte. G. H. Engel, Dett-
mann, H. Herrmann, Klein-Lhevalier bieten eine wahre
Sammlung von Typen aus gewissen Nordseegegenden,
Bauern, Bäuerinnen, Fischer, Schiffer, Mägde u. s. w.
O. Hsichert giebt auf einer mächtigen Leinwand
,,Ora et Tabors zwei Mönche im Joche von förmlich
monumentalem Gepräge. R. Müller (Dresden) malte
die frontal gestellte Büste einer alten Elisabethinerin
mit miniaturhaftem Detail der Haut und dabei kräftig-
ster Modellirung. Bantzer weiß uns davon zu über-
zeugen, daß in seinen hessischen Bauersleuten ein
gewisser aristokratischer Zug lebt. R. Balcke (Lharlotten-
burg) hat einen philiströs dreinschauenden Kirchgänger
getreu beobachtet. Max Fabian weiß die Empfindung
der Ruhelosigkeit, die in armen jüdisch-polnischen Aus-
wanderern sich offenbart, auf den Beschauer zu über-
tragen. A. Erdtelt (München) ist mit einigen seiner
intensiv beleuchteten Mädchenköpfebetheiligt. Ferdinand
Brütt führt uns dann in höhere, etwas angefaulte
Gesellschaftskreise, in die Spielerwelt, die er mit
souveränem Hinsel beherrscht; seine Leinwand „Im
Kasino" enthält köstliche Typen alter vornehmer Herren.
Dann malt er diese vornehmen Herrschaften auch am
Altäre des Herrn, andächtig das HI. Abendmahl em-
pfangend. Nahezu ebenbürtig erscheint ihn: Larl

Die Kunst-Hall e.
 
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