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Die Kunst-Halle — 8.1903

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Rapsilber, Maximilian: Von Berliner Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.61999#0358

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3^2 Die Aunst - Halle. Nr. 20

seitdem sie der dekorativen Entartung anheimgefallen. Zum
Zweiten sehen wir, daß der naturalistische und impressionistische
Stil von einein ausgesprochen dekorativen abgelöst ist. Der
gewaltige baukünstlcrische Aufschwung unserer Tage, der eine
so heißxulfirende Lebensfreude, aber auch einen malerischen
Blödsinn und eine wüste Antiquitäten-Anbetung in sich schließt,
hat auf die Entwicklung des dekorativen Stils stark eingewirkt.
Als Drittes kommt dazu, daß dem Künstler wiederum aus
den Tiefen des Volksempsindens entscheidende Anregungen zu-
strömen und daß der Bewegnngsweg der Kunst abermals durch
die Fülle der deutschen Phantasie zu leiten sich anschickt. Eine
bedeutsame Erscheinung ist besagte Ausstellung gerade wegen
der unverkennbaren Stellungnahme zu dem unverwüstlich ger-
manischen und dekorativ verjüngten Idealismus, wichtiger
als die kunstkritisch übliche Frage, ob dieses oder jenes Einzel-
werk auch völlig gelungen sei, ist diesmal die Entfaltung des
Programms und der Flügelschlag des inspirirenden Geistes,
der über dem Ganzen und Einzelnen schwebt. Und dann
wird wieder klar, ein wie herrliches Temperament in diesen
Münchner Meistern lebt, von einem zum andern anfeuernd
wirkt und ins Ganze und Große strebt, ein Gefühl warm-
herziger Gemeinsamkeit erweckt und somit zu Wege bringt
daß die Münchner Kunst einen greifbaren und schöngerundeten
Stil besitzt, was man ebenso von der Karlsruher, nicht aber
von der Berliner sagen kann, weil bei uns immer noch das
Ehaos herrscht und so lange weiter grassiren wird, bis von
oben her die Freiheit des künstlerischen Schaffens und Be-
kennens als unantastbare Souveränität anerkannt wird.
was wir nun in der Ausstellung des Künstlerhauses im
Einzelnen und Besonderen zu sehen bekommen, ist nicht durch-
weg neu. Fast alle Bilder sind schon in München und anders-
wo zur Schau gestellt gewesen und wurden an dieser Stelle
in den Grtsberichten gewürdigt. Nun aber sehen wir die
schönen Dinge mit Berliner Augen an. Auffällig ist, wie ge-
sagt, das Vorherrschen der Figurenbilder, womit neue Richtung
und neue Ziele angedeutet werden. Vornan stehen hier Raffael
und Georg Schufter-Woldan, Earl Marr, PH. (l). Schäfer, der
kürzlich verstorbene F. Lisenhut und E. Blos. Die impressio-
nistische Landschaft in virtuos aufgebauschter und starker
Manier, die allgemach zu veraltet! anfängt, betritt der treffliche
F. Baer. Seine Bilder mit dem gelbgekringelten und gepatzten
Abendglühen laufen in der Richtung des auch noch in Düssel-
dorf üblichen Krafthuberthums, aber es dürfte schwer sein, für
derlei Schöpfungen einen Innenraum zu finden mit der er-
forderlichen Distanz zu genußreicher Betrachtung, wirkliche
Größe und echte Kraft wohnt dagegen in Baer's Pochgebirgs-
bild, das wohl eine rauhe und granitwuchtende Mache verträgt,
blos daß auch hier der Pimmel schwerer ist als die Erde, die
Berge und Fclsriesen. Unter den Künstlern, welche die deko-
rativ idealisirte Landschaft pflegen, sind Edmund Steppes, der
sich in dem alterthümelnden Temperastil ergeht, Karl Küstner,
der ein Meister des märchenschönen Stimmungsbildes ist, und
Karl Busse, der Sizilianer, die am meisten hervorstechenden.
Busse zumal steht in schön vorschreitender Entwicklung. Neuer-
dings meistert er die exotische Note, die er sich angewöhnt, mit
dekorativen: Esprit. Davon zeugt das auf grauen: Felsen
wundervoll aufgebaute Normannenschloß und ein gothischer
Ldelsitz Siziliens in der Glorie des Abends und des Psirsich-
blüthenzaubers. Den höchsten dekorativen Trumpf spielt in der
Runde der Luitpold-Perren natürlich Raffael Schufter-Woldan
aus Ihm ist das Dekorative Paupt- und Endzweck und auf
diesem Gebiete beherrscht er die Vorbilder der venezianischen

Vergangenheit und alle die Mittel, die dem modernen Maler
zur Verfügung stehen. Auf dem Ehrenplatz der Ausstellung
hängt Schuster-Woldan's bekannte Phantasie mit den beiden
Frauen und dem Dekorationsmann mit dem Garde du Eorps-
pelin. Der Farbenaufbau des Bildes ist meisterhaft. Die
nackte Frau auf dem Linnen und die meergrün grell bekleidete
sind herrlichst im Vordergrund inszenirt und dieser Helle Akkord
wird gehalten und aufs Intensivste gesteigert durch den zwischen
und hinter ihnen sitzenden Kavalier, der in Blau und Roth
dunkel und schwer posirt, und noch schwerer giebt sich in die
Tiefe und pöhe hinein die furchtbare Gewitterwolke. So
schreitet der Künstler in drei Löwensprüngen aus der dunklen Tiefe
und pöhe bis an den unteren Rahmenrand, wo als Inkarnation
zarter Schönheit die lichte nackte Frau dem Beschauer so nahe
geführt wird, daß er den bezaubernden pauch ihres Leibes
wonnig zu verspüren meint. Da der Künstler noch vcrhältniß-
mäßig jung ist, könnten wir wohl auf diesem seinen: Wege
eine neue Blüthc dekorativer Kunst erwarten. Unsere Zeit
scheint ja auch mit aller Kraft darauf loszusteueru.
* *
Als ein Lrzeugniß heutiger Kampflust und sozialer Un-
zufriedenheit stellt sich uns eine neue Künstlergruppe dar.
Nämlich die „Berliner Künstler-Vereinigung tstos",.
die ihr Pauptquartier in dein Pause der Möbelhandlung A. S.
Ball in der Potsdamer Straße aufgeschlagen hat. Der Kern
des jungen Unternehmens ist ein Salon der Refüsirten. Aber
im Grunde handelt es sich da noch um ein Weiteres: herb
und ohne Umschweife ausgedrückt, um die Mrganisirung des
Künstlerxroletariats, dem sich eine Reihe voi: Volkstribunen der
Kunst an die Spitze gestellt hat. Man könnte sagen, daß es
eine Parallelerscheinung der eben geschlagenen großen Wahl-
schlacht sei. Die Masse revoltirt gegen die Elite, der vierte
Stand der Kunst wünscht im Ausstellungs-Parlament in breiter
Fülle vertreten zu sein. Der Staat thäte Unrecht, wollte er
die Forderungei: der Vereinigung tstOZ ohne Diskussion einfach
abweisen. Der Staat bildet nach vorheriger Prüfung der Be-
fähigung auf den Akademien die Künstler aus und entläßt sic
mit dein tsstinroninrn artis, und der Verein Berliner Künstler
nimmt nur Mitglieder auf, die zuvor ein künstlerisches Rigo-
rosum abgelegt haben. Ls muß doch also wohl etwas faul sein in:
Staate der Kunst, wem: man den von: Staat und Künstler-
verein approbirten Malern und Bildhauern die Möglichkeit
abschneidet, in einer von: Staat inaugurirten Ausstellung sich
vor der Geffentlichkeit zu präsentircn. Andererseits kann man
der Jury der großen Ausstellung, die möglichst den: Schlag-
wort der Elite nachzuleben bestrebt ist, es auch nicht als eine
Morithat anhängen, wenn sie Heuer über 2000 Arbeite«: zurück-
gewiesen hat. Da sitzen wir also wieder in der Klause und
haben Anlaß zu schöne«: Reden, die nichts helfen und besser«:
werde«:, wenn die Dinge «acht von Grund aus in Erwägung
und Angriff genommen werden. Pente wollen wir indessen
nur einen Blick i«: den Salon der Refüsirten werfen. D. h.
von Refüsirten soll inan «richt spreche«:, die perren haben das
begreifliche Schamgefühl mit einem Mäntelchen drapirt. Zum
Gros der Abgewiesenei: haben sich noch einige wenige nam-
hafte, angeblich nichtrefüsirte Künstler geschlagen, um die Rechts-
sache der Massenbewegung zu stützen, aber inan weiß nicht
und es wird auch nicht 8«ad rosa gesagt, wer diese pelsers-
helfer sind, was man da nun in dein neuen Salon an Bild-
werken und Malereien zu sehen bekommt, steht fast durchweg
unter dem Niveau ernsthaft zu nehmender Kunst, zehn, zwölf
Werke höchstens ausgenommen, wer diese sind, werde ich
 
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