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Die Kunst-Halle — 9.1904

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Nummer 19
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Marasse, M.: Masaccio und S. Clement in Rom
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Neumann, Ernst: Was die Kunst in Paris sagt
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Die Kunst-Halle.

Nr.

L90

ging ein heiliger Paulus verloren, der die Züge eines
gewissen Bartolo ^lngiolini trug. Von diesem berichtet
Vasari: „Und wer Diulus nicht gekannt hat, wird
beim Anblick dieser Gestalt außer dem würdigen An-
stand des Römers die unbesiegte Urast des srommen,
völlig der Sorge sür den Glauben geweihten Gemüthes
erblicken."
Der Patron der Kapelle, die seinem Namen zu so
unverhofftem Ruhm verhelfen sollte, war Felice Brau-
cacci. In seinem Testament vom 26. Juli (I22 be-
stimmte er den Bau. Den malerischen Ausschmuck be-
gann Masolino, beendet hat ihn Filippino Lippi, doch
die dazwischen liegenden Fresken, vor Allein die Ver-
treibung Adam's und Lva's von der Paradiesespforte,
die selbst für die gewaltigsten der nachsolgenden Künstler
ans dein kleinen kirchlichen Raum eine Hochschule der
Malkuust machten, entstammen der Hand des Masaccio,
des fugendfrischen Kleisters, der vor keiner Probe seines
Könnens, auch vor der Darstellung der schönen Nackt-
heit nicht zurückschreckte.
Der Kunstgehalt der Brancaccikapelle ward von
berufener Feder so häufig ausdrucksvoll dargelegt, daß
eine erneute Schilderung überflüssig wäre. Im Gegen-
satz hierzu umgiebt die Persönlichkeit Masaccio's noch
immer der Nimbus des Geheimuißvollen, Ewig-Rube-
kanntcn. Und in die Lücken seiner Lebensschicksale und
seiner persönlichen Erscheinung war auch die kürzliche
Zentenarfeier nicht aufklärend eingetreten. Aber über
die Fresken der Brancaccikapelle zittert wie Goldlicht
der Geist des längst Dahingegangenen, aus der Tiefe
seiner Werke steigt sein Bild vor dem suchenden Be-
trachter plastisch auf.
„8s alsuu 6sroÄ886 il Marino, 0 il nomo mio,
Ua 6Üi68Ä s' il marmo, nun sappslla s' il nonmI so
lauten die Worte, die Vasari dein verstorbenen Künstler
auf die Lippen legte: „Sollte man nach meiner Grab-
schrift, meinem Namen fragen, Tine Kirche ist meine
Grabschrift, eine Kapelle mein Name."
W
öle Auiirl in Mr ragt.
Von Ernst Neumann, Paris.
I. Ausstellung der 8ooiöts Rationale Ü68 U6aux-^rt8.
^E^ie Brutstätte der französischen Kunst ist noch
vN/ unuier der Montmartre und das Ouartier-Latin,
und hier, zwischen mehr oder minder werth-
losem Atelier-Krempel (Grassel sagt man in München,
bris-a-brao in Paris) entstehen die oft so wunderbar
leuchtenden und farbenprächtigen Bildwerke. Die
Boheme von Paris ist die Originalbohsme und feder
tüchtige und wahre Künstler führt ihre Embleme nol6U8
volon8 sein Leben lang im Wappen. Außer den Mata-
doren trägt jeder Hoffnungsfreudige seine Musenkinder

hin zum allgemeinen Altar und erwartet mit Hangen
und Bangen den Schiedsspruch der Oberpriester. Dann
eröffnet man einen Salon. Ts liegt etwas Rührendes
darin, zu sehen, wie dies Kunstvölkchen unter den vielen
Völkern in Paris sich seine Welt baut, man muß sagen
seine Welt, denn von der großen Welt, ihren Erschütte-
rungen und ihren ungeheuren Sensationen ist hier
wenig zu verspüren. Fast sollte man glauben, daß das
Kunstvölkchen noch immer auf die Erfindung des Pulvers
wartet und sich einstweilen mit diversen alten Männlein
und Weiblein, Genre-Bildchen im Grünen oder in
Asphalt-Sauce, oder mit interimistischen, gut bezahlten
Modebildern die Zeit vertreibt. Nur hier und da ent-
decken wir interessante Versuche, das verfeinerte Seelen-
und Nervenlebeu unserer Zeit von einer bestimmten
Seite zu fassen und zur Darstellung zu zwingen. Diese
Bestrebungen sollen es auch in der Hauptsache sein,
welchen diese Zeilen gewidmet sind.
Wir betreten den ungeheuren Palast der Kunst-
ausstellung mit skeptischen Gefühlen, welchen sich „der-
jenige vom Bau" nicht entziehen kann. Sahen wir
doch vor einem halben Jahr, im Dezember, in den-
selben Räumen, durch ein Meer von Lichtern verwirrt,
den 8alon cis Hutomobils. Diese Vehikel, diese
Naumverschlinger mit ihren wunderbaren Präzisions-
Mechanismen, versammelten die ganze Welt um sich.
Die Besucherzahl bezifferte sich in einer ungeheuren
Höhe, eine Höhe, welche allein im Stande war, die
immensen Räume auszufüllen. Ein Monstre-Orchester
bemühte sich, die dicke, staubige Dunstschicht, welche
unter den strahlenden Kuppeln lagerte, zu durchdringen.
Und hier, in diesem gigantischen Milieu sollen wir die
stummfeierliche Malerei unserer Zeit auf uns wirken
lassen. Wahrhaftig das Horoskop zeigt sich der Kunst
unserer Zeit ungnädig und in verzweifeltem Ringen,
die eigenen Irrwege passirend, muß der moderne
Künstler mn die angestammten Privilegien und um die
Stellung im geistigen Leben, welche stets neu erworben
werden muß, einen dreifach schweren Kampf kämpfen.
Im Vestibül sind wir angenehm überrascht,
nirgends entdecken wir die in Deutschland gewohnten
Attribute unserer Kunstausstellungen. Es giebt hier
keine welken Lorbeerkränze, es giebt hier keine ge-
pumpten bunten Lappen von Bern- oder Wertheim,
keine blaugestrichenen Gipsfiguren und keine mit schöner
Goldbronze angeschmierten Pappfassaden, kurz es fehlt
der ganze Flitter und Meßkram unserer deutschen Kunst-
paraden. Las ich doch noch kürzlich in einer deutschen
Fachzeitung den Nothschrei meiner Kollegen nach
reicherem Schauschmuck ihrer Kunsttempel. Man muß
es den Franzosen lassen, ihr feiner Geschmack und ihre
reifere Kultur haben hier in der Einfachheit das
Nichtige gefunden. Ueberhaupt besitzt der Franzose die
glückliche Eigenschaft, nackdem er die Skala aller
menschlichen Irrungen mit großem Pomp durcheilt hat,
mit einem Schlage, verblüffend natürlich und einfach
den Nagel auf den Kopf zu treffen.
Der ganze Schmuck der Ausstellung besteht in
seinen natürlichen architektonischen Skulpturen, welche,
von feinem Staub überzogen, eineu Atlasschimmer
tragen, der die Barockfiguren wunderbar zu beleben
scheint. In den großen Parterre-Sälen stehen auf
schmucklosen Sockeln in zwangloser Weise die Bildhauer-
werke und hier ragen zwei durch die Macht ihrer Dar-
stellung und Einfachheit der Bewegung weit über alle
anderen, größtentheils Büsten und Nippesfiguren,
hinaus. Man sieht sofort, daß eine Meisterhand hier
geformt hat. Wir brauchen nicht nach den Täfelchen
zu suchen, um Rod in's und Me unter's Hand-
 
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