Ueber die neueſte Literatur.
An einen jungen Dichter. (S. Blätter für Kunſt Nr. 17.)
II.
Ueber die Eurianthe als literariſches Produkt.
(SFortſetzung.)
Es bedurfte nur einiger Erklaͤrung, um dem Adolar be-
greiflich zu machen, daß Lyſtiart den Ring nicht von ihr
ſelbſt, ſondern durch Eglantine's Betrug erhalten habe und
Euryanthe war nichts, als geſchwaͤtzig geweſen, ein Fehler,
den der Mann ihr leicht vergeben konnte, da er ſich daran
gewoͤhnen muß, wenn er ſie heirathen will. Adolar ſagt
S. 277 ö
Adolar.
Nein du errangſt den Ring durch Liſt!
Nein reiner Engel, kannſt du zagen?
Hier war es fuͤr Euryanthen Zeit, zu antworten, aber
Lyſiart nimmt das Wort:
Lyſfiart.
Wer ſonſt als Euryanth' und du kannſt ſagen,
Was dieſes Rings Bedeutung iſt?
Die Gruft nur kannte Emma's Thaten!
Adolar.
Sprich Euryanthe! haſt du mich verrathen?
Hier wird die Szene peinlich; man möchte die Lippen oͤff-
nen und Eurianthen zur Sprache verhelfen. Aber ſagt ſie
etwas, was am Platze war? Nein!
Adolar.
Brachſt du den Eid?
Euryanthe.
ö Ich that es.
An dieſem leicht zu entfernenden Mihverſtaͤndniſſe haͤngt
das Stück, und eine Oper, wo ſolche Spitzen, auf denen
die Verwicklung tanzt, am wenigſten taugen! Und als ſie
nun ausruft:
Uner meßlich Leid,
Doch treulos bin ich nicht!
erwiedert Adolar außerſt bequem für die Dichterin: Ver-
ſtumme!“ S. 28.
Mit dieſer wunderlichen Szene war meine Theilnahme
für den Helden dahin und ich hatte nichts mehr gewüͤnſcht
als daß er dafuͤr durch den Verluſt Euryanthe's beſtraft
werden moͤchte. Leider wird mir dieſer billige Wunſch'
eben ſo wenig erfüllt, als der tragiſchen Kunſt, die mit
mir denſelben hegt. Adolar findet ſie wieder, es erfolgt
eine Ausſoͤhnung in der angenehmen Hoffnung, daß nun
auch Emma erloͤſt ſeyn mag. Die ſchwächſte Szene duͤnkt
mich übrigens die erſte des dritten Aufzuges zu ſeyn. Ado-
lar erſcheint in der Felsſchlucht in Begleitung Euryanthe's.
Was er hier thun will, wird uns bald klar. S. 31:
Dies iſt der Ort,
So ſchaurig, oͤd' und ſtill,
Wie meine That ihn will,
Ich führte dich zum Tode fort.
Wenn man auch keine langweilige Marterſzene erwarten
darf, iſt man doch berechtigt einer erſchütternden Situa-
tion zu begegnen. Aber was geſchieht? Kaum hat Adolar
die Worte!
Weh' daß ich muß dein Richter ſeyn!
ausgeſprochen, als Euryanthe S. 32. „mit ſteigendem Ent⸗—
ſetzen etwas Graͤßliches gewahr zu werden“ ſcheint, naͤm—
lich eine Schlange, welche auf Adolar los will. Bei dem
beſten Willen wird man hier das Lachen nicht unterdrücken
koͤnnen, wenn man die Anſtrengungen des jungen Ritters
ſieht, ein Thier zu toͤdten, ehe er ſeiner Geliebten daſſelbe
thut, man bemerkt mit dem erſten Blick, ſie unterhalten
ſich nur vom Sterben, denken aber beiderſeits nicht daran,
mehr zu zeigen als Worte. Wie iſt es moͤglich, daß eine
ſolche Szene nur ein augenblickliches Intereſſe hervorbrin-
gen kann? Selbſt fur eine Oper iſt ſie zu bunt.
Man iſt nicht gewohnt, von poetiſchen Produkten dieſer
Art ſtrenge Charakteriſtik zu verlangen; Individualität
ſcheint überhaupt die Muſik nicht zu dulden, ſowie ſie an
ſich weder etwas Tugendhaftes noch etwas Laſterhaftes aus-
druͤcken kann, aber Einförmigkeit kann ſie wenigſtens ver-
meiden. Eglantine liebt den Adolar und unglücklich, Lyſiart
liebt die Euryanthe und ebenfalls unglücklich, eine pſycho-
logiſche Monotonie, welche weder die Muſik noch ſonſt ein
Kunſtgeſetz verlangt haben.
(Schluß folgr.)
Bilder und Sprü ſche
von Fritz Max Heßemer.
(Fortſetzun g.)
25. Der Jüngling und die Welt.
Setzt mich in die Welt wohin ihr wollt, ich werde nicht
Hungers ſterben! — So ſpricht der Jüngling, voll Ver-
trauen auf ſeine Kraft; doch hutet euch, dies zu verſuchen,
ſterben wird er zwar nicht, aber ſein Herz wird er zu
Grabe tragen müſſen.
26. Der Kirchhof.
Dies iſt ein haßlicher Garten, ſprach das Kind zur Mut-
ter, da ſtehen nur ſchwarze Kreuzchen mit welken Blumen.
— Die Mutter ſagte: Wohl fielen hier Blumen verblüht
zur Erde, und doch gab es eine reiche Ernte für den Va-
ter droben. ö
27. Gott im Bilde.
Nur dann vermagſt du in die Sonne zu ſehen, wenn eine
Wolke ſie duftig verhüllt. — O wahr! wahr! ſagte der
Freund, an welchen ich jene Worte richtete, muſſen wir
doch auch Gott in dem Bilde verehren, das ihn uns halb
verhüllt.
Schluß folgt.]
An einen jungen Dichter. (S. Blätter für Kunſt Nr. 17.)
II.
Ueber die Eurianthe als literariſches Produkt.
(SFortſetzung.)
Es bedurfte nur einiger Erklaͤrung, um dem Adolar be-
greiflich zu machen, daß Lyſtiart den Ring nicht von ihr
ſelbſt, ſondern durch Eglantine's Betrug erhalten habe und
Euryanthe war nichts, als geſchwaͤtzig geweſen, ein Fehler,
den der Mann ihr leicht vergeben konnte, da er ſich daran
gewoͤhnen muß, wenn er ſie heirathen will. Adolar ſagt
S. 277 ö
Adolar.
Nein du errangſt den Ring durch Liſt!
Nein reiner Engel, kannſt du zagen?
Hier war es fuͤr Euryanthen Zeit, zu antworten, aber
Lyſiart nimmt das Wort:
Lyſfiart.
Wer ſonſt als Euryanth' und du kannſt ſagen,
Was dieſes Rings Bedeutung iſt?
Die Gruft nur kannte Emma's Thaten!
Adolar.
Sprich Euryanthe! haſt du mich verrathen?
Hier wird die Szene peinlich; man möchte die Lippen oͤff-
nen und Eurianthen zur Sprache verhelfen. Aber ſagt ſie
etwas, was am Platze war? Nein!
Adolar.
Brachſt du den Eid?
Euryanthe.
ö Ich that es.
An dieſem leicht zu entfernenden Mihverſtaͤndniſſe haͤngt
das Stück, und eine Oper, wo ſolche Spitzen, auf denen
die Verwicklung tanzt, am wenigſten taugen! Und als ſie
nun ausruft:
Uner meßlich Leid,
Doch treulos bin ich nicht!
erwiedert Adolar außerſt bequem für die Dichterin: Ver-
ſtumme!“ S. 28.
Mit dieſer wunderlichen Szene war meine Theilnahme
für den Helden dahin und ich hatte nichts mehr gewüͤnſcht
als daß er dafuͤr durch den Verluſt Euryanthe's beſtraft
werden moͤchte. Leider wird mir dieſer billige Wunſch'
eben ſo wenig erfüllt, als der tragiſchen Kunſt, die mit
mir denſelben hegt. Adolar findet ſie wieder, es erfolgt
eine Ausſoͤhnung in der angenehmen Hoffnung, daß nun
auch Emma erloͤſt ſeyn mag. Die ſchwächſte Szene duͤnkt
mich übrigens die erſte des dritten Aufzuges zu ſeyn. Ado-
lar erſcheint in der Felsſchlucht in Begleitung Euryanthe's.
Was er hier thun will, wird uns bald klar. S. 31:
Dies iſt der Ort,
So ſchaurig, oͤd' und ſtill,
Wie meine That ihn will,
Ich führte dich zum Tode fort.
Wenn man auch keine langweilige Marterſzene erwarten
darf, iſt man doch berechtigt einer erſchütternden Situa-
tion zu begegnen. Aber was geſchieht? Kaum hat Adolar
die Worte!
Weh' daß ich muß dein Richter ſeyn!
ausgeſprochen, als Euryanthe S. 32. „mit ſteigendem Ent⸗—
ſetzen etwas Graͤßliches gewahr zu werden“ ſcheint, naͤm—
lich eine Schlange, welche auf Adolar los will. Bei dem
beſten Willen wird man hier das Lachen nicht unterdrücken
koͤnnen, wenn man die Anſtrengungen des jungen Ritters
ſieht, ein Thier zu toͤdten, ehe er ſeiner Geliebten daſſelbe
thut, man bemerkt mit dem erſten Blick, ſie unterhalten
ſich nur vom Sterben, denken aber beiderſeits nicht daran,
mehr zu zeigen als Worte. Wie iſt es moͤglich, daß eine
ſolche Szene nur ein augenblickliches Intereſſe hervorbrin-
gen kann? Selbſt fur eine Oper iſt ſie zu bunt.
Man iſt nicht gewohnt, von poetiſchen Produkten dieſer
Art ſtrenge Charakteriſtik zu verlangen; Individualität
ſcheint überhaupt die Muſik nicht zu dulden, ſowie ſie an
ſich weder etwas Tugendhaftes noch etwas Laſterhaftes aus-
druͤcken kann, aber Einförmigkeit kann ſie wenigſtens ver-
meiden. Eglantine liebt den Adolar und unglücklich, Lyſiart
liebt die Euryanthe und ebenfalls unglücklich, eine pſycho-
logiſche Monotonie, welche weder die Muſik noch ſonſt ein
Kunſtgeſetz verlangt haben.
(Schluß folgr.)
Bilder und Sprü ſche
von Fritz Max Heßemer.
(Fortſetzun g.)
25. Der Jüngling und die Welt.
Setzt mich in die Welt wohin ihr wollt, ich werde nicht
Hungers ſterben! — So ſpricht der Jüngling, voll Ver-
trauen auf ſeine Kraft; doch hutet euch, dies zu verſuchen,
ſterben wird er zwar nicht, aber ſein Herz wird er zu
Grabe tragen müſſen.
26. Der Kirchhof.
Dies iſt ein haßlicher Garten, ſprach das Kind zur Mut-
ter, da ſtehen nur ſchwarze Kreuzchen mit welken Blumen.
— Die Mutter ſagte: Wohl fielen hier Blumen verblüht
zur Erde, und doch gab es eine reiche Ernte für den Va-
ter droben. ö
27. Gott im Bilde.
Nur dann vermagſt du in die Sonne zu ſehen, wenn eine
Wolke ſie duftig verhüllt. — O wahr! wahr! ſagte der
Freund, an welchen ich jene Worte richtete, muſſen wir
doch auch Gott in dem Bilde verehren, das ihn uns halb
verhüllt.
Schluß folgt.]