Rheiniſche Morgenzeitung fuͤr gebildete Leſer.
Nie 143. Montag den . November 18.
Gehorſam den Regenten! — Achtung dem wahren Adel! — Allgemeinheit
dem echten Chriſtenthum! — Friede und Segen den Hütten! —
Der unbekannte Freund.
Ein Phantaſieſtuͤck
von Johann Gabriel Seidl.
(Fortſetzun g.)
6.
Einer entzauberten Roſe gleich, lag Erline heiter laͤ—
chelnd auf ihrem Lager. Wie der Ermattung waͤhrend
eines Gewitters, ſo war auch ihrem Kampf ein ſüßer
Schlaf gefolgt. Ihr Antlitz, das den Lauſcher zur reinſten
Andacht auf die Kniee zog, verkündete den Wonnetraum
ihrer Seele. Es kam ihr vor, als ſaͤhe ſie nun vier
Sterne, jeden mit einem wohlbekannten Geſicht', am
Himmel. Zwei derſelben ſuchten ſich ſeit Aeonen, die
wie Minuten vorüberflogen, kamen ſich immer naͤher
und flammten immer heller, und wollten eben in
Einen zuſammenblitzen, als ein fremder Stern, licht und
groß, dazwiſchen trat, und noch Einer, mild aber matt
flimmernd, hinzuflog und ſie hemmte, daß ſie halb verlo-
ſchen. Aber ploͤtzlich fing es in des lichten und großen
Sternes Herzen zu ringen und zu flammen an und er rollte
ſich weg, mit ſeinem Begleiter, daß die beiden ſich ſuchen-
den Lichtkörper, reiner als je, lodernd, in Einen ver-
glaͤnzten, und der milde Matte noch einmal maͤchtig auf-
glomm und ein herrlich Sternendrei den weiten jubelnden
Raum durchfunkelte. Das Rauſchen der Melodie weckte
ſie auf — und neue drangen, den Zauber des Traumes
fortſetzend, an ihr Ohr, als ſie ſich erroͤthend er-
hob, und auch die vier Sternengeſichter vor ihrem Lager
ſtehen fand. Helle Perlen in ihren blauen Augen ſtand ſie
da, zitternd, erwartungsvoll, als ihr Robert und der Saͤn—
ger Rinalden zufuͤhrten und mit Worten der Freundſchaft
und Liebe begleiteten. Siehe! da war ihr Traum erfullt!
die beiden Sterne, die ſich lang geſucht und nicht erreichen
gekonnt, verſanken nun, feuertrunken ineinander; Robert,
der matte milde Stern, fühlte noch einmal die Jugendkraft
wiederkehren, und netzte ſein großes Aug' mit Thraͤnen
unter den ſchneeigen Brauen. Aber der Sänger, licht und
groß, fuͤhlte nun das höchſte Glück in ſeinem Buſen und
hauchte der Entſagung Wonne durch die Saiten ſeiner
Zither. Jetzt entfernten ſich die Beiden von dem Braut-
paare, das ſich in ſeiner Entzückung, wohl allein genug war.
Leiſe Stille webt durch die Kammer, wenn die Lauſcher alle fort
ſind und nur vor'm Altare der ewigen Jungfrau zwei Lie-
bende betend knieen. Noch einmal druͤckten ſie die Roſen
ihrer Lippen aneinander — und wuͤnſchten ſich — von der
Erde höchſten zu des Himmels erſten Wonnen übertretend
— zu vergehen. Da fuhr ein kühler Hauch durch's Gemach.
Der unbekannte Mann, der Erlinen vom Abgrunde zurück-
riß, waͤndelte mit klangloſem Tritt durch das Kaͤmmerlein
und drohte laͤchelnd, und wand ſich, in Morgenduft ver-
Nie 143. Montag den . November 18.
Gehorſam den Regenten! — Achtung dem wahren Adel! — Allgemeinheit
dem echten Chriſtenthum! — Friede und Segen den Hütten! —
Der unbekannte Freund.
Ein Phantaſieſtuͤck
von Johann Gabriel Seidl.
(Fortſetzun g.)
6.
Einer entzauberten Roſe gleich, lag Erline heiter laͤ—
chelnd auf ihrem Lager. Wie der Ermattung waͤhrend
eines Gewitters, ſo war auch ihrem Kampf ein ſüßer
Schlaf gefolgt. Ihr Antlitz, das den Lauſcher zur reinſten
Andacht auf die Kniee zog, verkündete den Wonnetraum
ihrer Seele. Es kam ihr vor, als ſaͤhe ſie nun vier
Sterne, jeden mit einem wohlbekannten Geſicht', am
Himmel. Zwei derſelben ſuchten ſich ſeit Aeonen, die
wie Minuten vorüberflogen, kamen ſich immer naͤher
und flammten immer heller, und wollten eben in
Einen zuſammenblitzen, als ein fremder Stern, licht und
groß, dazwiſchen trat, und noch Einer, mild aber matt
flimmernd, hinzuflog und ſie hemmte, daß ſie halb verlo-
ſchen. Aber ploͤtzlich fing es in des lichten und großen
Sternes Herzen zu ringen und zu flammen an und er rollte
ſich weg, mit ſeinem Begleiter, daß die beiden ſich ſuchen-
den Lichtkörper, reiner als je, lodernd, in Einen ver-
glaͤnzten, und der milde Matte noch einmal maͤchtig auf-
glomm und ein herrlich Sternendrei den weiten jubelnden
Raum durchfunkelte. Das Rauſchen der Melodie weckte
ſie auf — und neue drangen, den Zauber des Traumes
fortſetzend, an ihr Ohr, als ſie ſich erroͤthend er-
hob, und auch die vier Sternengeſichter vor ihrem Lager
ſtehen fand. Helle Perlen in ihren blauen Augen ſtand ſie
da, zitternd, erwartungsvoll, als ihr Robert und der Saͤn—
ger Rinalden zufuͤhrten und mit Worten der Freundſchaft
und Liebe begleiteten. Siehe! da war ihr Traum erfullt!
die beiden Sterne, die ſich lang geſucht und nicht erreichen
gekonnt, verſanken nun, feuertrunken ineinander; Robert,
der matte milde Stern, fühlte noch einmal die Jugendkraft
wiederkehren, und netzte ſein großes Aug' mit Thraͤnen
unter den ſchneeigen Brauen. Aber der Sänger, licht und
groß, fuͤhlte nun das höchſte Glück in ſeinem Buſen und
hauchte der Entſagung Wonne durch die Saiten ſeiner
Zither. Jetzt entfernten ſich die Beiden von dem Braut-
paare, das ſich in ſeiner Entzückung, wohl allein genug war.
Leiſe Stille webt durch die Kammer, wenn die Lauſcher alle fort
ſind und nur vor'm Altare der ewigen Jungfrau zwei Lie-
bende betend knieen. Noch einmal druͤckten ſie die Roſen
ihrer Lippen aneinander — und wuͤnſchten ſich — von der
Erde höchſten zu des Himmels erſten Wonnen übertretend
— zu vergehen. Da fuhr ein kühler Hauch durch's Gemach.
Der unbekannte Mann, der Erlinen vom Abgrunde zurück-
riß, waͤndelte mit klangloſem Tritt durch das Kaͤmmerlein
und drohte laͤchelnd, und wand ſich, in Morgenduft ver-