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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (4) — 1824

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No 66-78 (Juni 1824)
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Rheiniſche Morgenzeitung fuͤr gebildete Leſer.

Nero 69. Mittwoch den 9. Juni 182.

Verantwortlicher Redakteur und Herausgeber: Friedrich Karl Freiherr von Erlach.

Morgengeſchich te.

Der roſige Morgen am Himmel erſtand
Und lächelte nieder auf Strom und Land,
Dem wogende Nebel entwallten.
Das froͤhliche Land entgegen ihm ſchaut,
Wie ihrem Getreuen die harrende Braut,
Ihn bald in den Armen zu halten.

Da lief ich in Eile hinüber zum Hain,
In ſchattigen Hallen geborgen zu ſeyn,
Wo Friede und Ruhe ſich herzen;
Umwallt von lieblichem Veilchengeruch
Im ſtillen zu leſen ein ſinniges Buch
Zur Lehre für Freuden und Schmerzen.

Ich eilte hinüber, ſo munter und flink;
Mich grußten Adone und Amſel und Fink
Aus ihren hellklingenden Kehlen.
Mich gruͤßten die andern Begeiſterten⸗all-·

Und wollten mir Wunder erzahlen.

In Wipfeln und Straͤuchen mit lautenn Schall

Da gruͤßt' ich ſe wieder mit Menſchengeſangn

Der gluͤhend der Quelle des Herzens entklans
Von ſäuſelnden Lüften getragen;

Ließ tief in der Taſche mein Büchlein und ſtand

Mit betendem Auge zum Himmel gewandt
Und hoͤrt' es im Buſen mir ſchlagen.

Da ward mir die Seele von Sorgen ſo leer,
Als ob ich ſchon einer der Himmliſchen wär',
Die nimmermehr leiden und weinen.
Es ſchwand mir des Scheines erlogener Werth,
Der frech in das Wahre das Falſche verkehrt,
Um Schlechtes zu wollen und meinen.

Wohl dacht' ich es haͤuft ſich der Wucherer Gold,
Der Ehrſucht Sklaven, ſie kriechen um Sold
Und ſtreicheln an Furienhaaͤren.
Doch flieh'n die Verworfenen Lieder und Ruh',
Und Sträflinge hoͤren der Freude nicht zu,
Noch ihren gefiederten Schaaren.
Wer Eitles erſtrebet, viel Eitles beginnt;

Er balgt ſich mit Schatten und haſchet den Wind
In gierigem Treiben und Jagen.

Doch kann er nichts greifen, doch kann er nichs ſehn;

Die Schatten verſchwinden, die Winde verweh'n,
Und laſſen ihn fluchen und zagen.

Nie blickt er ins höhere Heiligthum hin

Damit ſich der dumpfe, verriegelte Sinn
Erſchloſſen in Höffnung erweitert;
Und weil er fürs Hoͤchſte das Nichtige haͤlt,

Wird hart er von gierigen Sorgen geprellt,
In Neſſeln und Dornen geſchleudert.

Oft treibt er des Uebermuths troziges Spiel,
Hat ſonſt noch der kindiſchen Poſſen ſo viel,
 
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