Rheiniſche Morgenzeitung fuͤr gebildete Leſer.
142. Sonnabend den 7. November 184.
Gehorſam den Regenten! — Achtung dem wahren Adel! — Allgemeinheit
dem echten Chriſtenthum! — Friede und Segen den Hütten! —
Der unbekannte Freund.
Ein Phaͤntaſieſtück
von Johann Gabriel Seidl.
(Sortſetzun g.)
5.
Rinald ahnte, warum das erſehnte Friedenstuch nicht durch
die Scheiben flatterte. Er ſchlug den Helmſturz auf, ſah
dem Abendhimmel frei und ohne Falſch in's Angeſicht, und
bat ihn um Beiſtand in dieſer Sache, damit er ritterlich
verbleib' in den Tagen der Prüfung. Kaum daß er ſich
umwandte, kam es zum Schloßthor herausgewandelt. Es
war der verkannte Saͤnger. Sein Antlitz laͤchelte, ſein
Auge ſah himmelan. Dem Ritter ging dies Laͤcheln durch
die Seele, denn es ſchien ihm Laͤcheln der Bosheit, und
der freie Himmel — Frechheit der Heuchelei. Wie es
ihn mondenlang aus dem Norden bis in das Herz Deutſch-
landes, dem Gegenſtande ſeiner Liebe nach, getrieben; ſo
trieb es ihn jetzt, durch Dorn und Hecke, dem Gegenſtande
ſeines Haſſes nach. Schon war er dem ruͤſtig wandelnden
Saͤnger weit nachgeſchlichen. Die Sterne leuchteten bereits
durch die Fugen des Laubdaches herein, allein der Saͤnger
ſtand noch nicht ſtill; ungeſtuüm brach er ſich durch das Di-
ckicht Bahn, um auf die offene Kuppe zu gelangen. Nun
war ſie erreicht — frei, erleichtert, den weiten tröſtenden
Balſam der Nacht einathmend, ſah er inmitten des thaui-
gen Lichtſchlages ſeiner Verklaͤrung entgegen. Rinald
ſchaute mit wunderbarem Hangen zwiſchen Ingrimm und
Achtung zu. Er hätt' in dieſem Augenblick eine Welt hin-
geben können, wenn er ſich in dem Saͤnger getaͤuſcht faͤnde,
jedoch das Schickſal ſchien es mit den Bahnen dieſer Bei-
den auf ewiges Durchkreuzen abgeſehen zu haben. Des
Saͤngers herzensfrohe Seligkeit, die ſich auf ſeinen Zuͤgen
ausſprach, und der Gedanke, daß er ſich nur geſtellt, als
wuͤßte er nichts von Rinalds Liebe zu Erlinen, gab dem
Haſſe die Oberhand. Dem Saͤnger geradüber, ſtand er
in ſtummer Wuth im Geſtraͤuche, waͤhrend jener, ſeine
Laute zur Hand nahm und alſo ſang:
Laß dich gruͤßen, dir vertrauen,
Der Entſagung Bild, o Mond!
Der im unbefang'nen Blauen
Still und unbefangen wohnt!
Ewig mit den eig'nen Lippen
Küßt Frau Sonne Blum' und Blatt,
Hört nicht auf vom üpp'gen Nippen,
Wird des Buhlens nimmer ſatt!
Aber keinen Kuß begehrend
Manches Kuſſes Zeug' allein:
Kein vereintes Paͤrchen ſtörend,
Schleicht Herr Mond zu Buſch herein!
142. Sonnabend den 7. November 184.
Gehorſam den Regenten! — Achtung dem wahren Adel! — Allgemeinheit
dem echten Chriſtenthum! — Friede und Segen den Hütten! —
Der unbekannte Freund.
Ein Phaͤntaſieſtück
von Johann Gabriel Seidl.
(Sortſetzun g.)
5.
Rinald ahnte, warum das erſehnte Friedenstuch nicht durch
die Scheiben flatterte. Er ſchlug den Helmſturz auf, ſah
dem Abendhimmel frei und ohne Falſch in's Angeſicht, und
bat ihn um Beiſtand in dieſer Sache, damit er ritterlich
verbleib' in den Tagen der Prüfung. Kaum daß er ſich
umwandte, kam es zum Schloßthor herausgewandelt. Es
war der verkannte Saͤnger. Sein Antlitz laͤchelte, ſein
Auge ſah himmelan. Dem Ritter ging dies Laͤcheln durch
die Seele, denn es ſchien ihm Laͤcheln der Bosheit, und
der freie Himmel — Frechheit der Heuchelei. Wie es
ihn mondenlang aus dem Norden bis in das Herz Deutſch-
landes, dem Gegenſtande ſeiner Liebe nach, getrieben; ſo
trieb es ihn jetzt, durch Dorn und Hecke, dem Gegenſtande
ſeines Haſſes nach. Schon war er dem ruͤſtig wandelnden
Saͤnger weit nachgeſchlichen. Die Sterne leuchteten bereits
durch die Fugen des Laubdaches herein, allein der Saͤnger
ſtand noch nicht ſtill; ungeſtuüm brach er ſich durch das Di-
ckicht Bahn, um auf die offene Kuppe zu gelangen. Nun
war ſie erreicht — frei, erleichtert, den weiten tröſtenden
Balſam der Nacht einathmend, ſah er inmitten des thaui-
gen Lichtſchlages ſeiner Verklaͤrung entgegen. Rinald
ſchaute mit wunderbarem Hangen zwiſchen Ingrimm und
Achtung zu. Er hätt' in dieſem Augenblick eine Welt hin-
geben können, wenn er ſich in dem Saͤnger getaͤuſcht faͤnde,
jedoch das Schickſal ſchien es mit den Bahnen dieſer Bei-
den auf ewiges Durchkreuzen abgeſehen zu haben. Des
Saͤngers herzensfrohe Seligkeit, die ſich auf ſeinen Zuͤgen
ausſprach, und der Gedanke, daß er ſich nur geſtellt, als
wuͤßte er nichts von Rinalds Liebe zu Erlinen, gab dem
Haſſe die Oberhand. Dem Saͤnger geradüber, ſtand er
in ſtummer Wuth im Geſtraͤuche, waͤhrend jener, ſeine
Laute zur Hand nahm und alſo ſang:
Laß dich gruͤßen, dir vertrauen,
Der Entſagung Bild, o Mond!
Der im unbefang'nen Blauen
Still und unbefangen wohnt!
Ewig mit den eig'nen Lippen
Küßt Frau Sonne Blum' und Blatt,
Hört nicht auf vom üpp'gen Nippen,
Wird des Buhlens nimmer ſatt!
Aber keinen Kuß begehrend
Manches Kuſſes Zeug' allein:
Kein vereintes Paͤrchen ſtörend,
Schleicht Herr Mond zu Buſch herein!