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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (4) — 1824

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No 1-13 (Januar 1824)
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https://doi.org/10.11588/diglit.22120#0046

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Rheiniſche Morgenzeitung fuͤr gebildete Leſer.

Nio 10. Sonnabend den à. Januar 1824.

Verantwortlicher Redakteur und Herausgeber: Friedrich Karl Freiherr von Erlach.

Geſchichte des Prinzen Kodadad.

(Schluß. )

Neuntes Kapitel.
Am neunten Tage ſollten nun die neun und vierzig Prin-
zen des Königs öffentlich mit dem Henkerbeile gerichtet
werden. Das Volk erwartete in ſeiner Erbitterung über
ihr undankbares und ſchaͤndliches Betragen gegen Kodadad
mit Ungeduld ihre Beſtrafung. Schon war das Schaffot
aufgeſchlagen, und fuͤr die neugierige Menge ein großes
Schaugeruͤſte aufgerichtet — da wurde ihre Hinrichtung zu
großem Mißvergnuͤgen des ſchauluſtigen Poͤbels aufgeſchoben.
Der Koͤnig hatte naͤmlich die Nachricht erhalten, daß
ſeine Nachbarfürſten, die Kodadad zum Frieden genoͤthigt
hatte, mit verſtaͤrkter Heeresmacht in das Land gebrochen,
und nicht mehr ſehr weit von der Hauptſtadt Haran ent-
fernt ſeyen. Nun herrſchte allgemeine Beſtürzung. „Ach“,
rief das Volk, „wenn nur Kodadad jetzt noch lebte! Die-
ſer würde die Feinde bald wieder beſiegt haben!“
Um alles Mögliche zu thun, rief der Koͤnig eilig alle
ſtreitbare Mannſchaft ſeines Volkes auf, und verſammelte
dadurch ein betraäͤchtliches Heer, mit dem erx dem Feinde
muthig entgegen zog. Man ſtellte ſich in einer Ebene auf
beiden Seiten in Schlachtordnung, und bald ertoͤnte das
Zeichen zum Angriffe. Es ward von beiden Theilen mit
Hartnäckigkeit und kühnem Muthe gekaͤmpft, viel Blut
floß; aber der Sieg blieb lange unentſchieden. Endlich
fing die Schlachtordnung des Koͤnigs von Haran ſchon an

zu wanken, denn die Feinde droheten, ſie mit ihrem groͤ⸗
ßern Heere zu umzingeln.
Da zeigte ſich mit einemmale ein großes Reitergeſchwa-
der, das ſich in geſchloſſenen Reihen und ſchöͤner Ordnung
dem Kampfplatze naͤherte. Der Koͤnig von Haran hielt es
für eine Verſtaͤrkung ſeiner Feinde, und hatte ſchon alle
Hoffnung aufgegeben, als die Reiter ploͤtzlich ſeinen Fein-
den in den Rücken kamen, und ein fuͤrchterliches Blutbad
unter ihnen anrichteten. Ihre Schlachtordnung kam in
Verwirrung und löſete ſich zuletzt in eine gaͤnzliche ord-
nungsloſe Flucht auf. Die Reiter verfolgten aber den
Feind noch und wenige der Flüchtigen entkamen.
Wie durch ein Wunder des Himmels ſah ſich der Koͤ—
nig von Haran durch die Tapferkeit dieſes Reitergeſchwa-
ders von ſeinen gefaͤhrlichen Feinden befreit. Beſonders
hatte er die Tapferkeit und Klugbeit des Führers dieſer
Schaar bewundert. Er wünſchte ihn kennen zu lernen,
ihm zu danken, und ritt nach ihm hin. Kaum ſah ihn die-
ſer von Ferne, ſo ritt er ihm entgegen, und ſprang von ſei-
nem Pferde, ſich vor dem Koͤnige auf die Erde zu werfen.
Auch der König von Haran ſaß ab, ihn dankbar zu umar-
men, — da blieb er ſtehen, von Schrecken und Freude ſtarr.
Es war Kodadad, ſein geliebter und für todt beweinter Sohn.
„Herr“, ſprach dieſer, „Ihr habt mich vielleicht ſchon
für todt gehalten, und ich waͤre es auch, wenn mich der
Himmel nicht durch ein halbes Wunder erhalten haͤtte, um
Euch gegen Eure Feinde beizuſtehen.“ Der Koͤnig von Ha-
ran ſchloß ihn mit vaͤterlicher Zaͤrtlichkeit in ſeine Arme.
 
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