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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (4) — 1824

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No 92-104 (August 1824)
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https://doi.org/10.11588/diglit.22120#0404

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Rheiniſche Morgenzeitung fuͤr gebildete Leſer.

Nies 96. Mittwoch den 11. Auguſt 1824.

Gehorſam den Regenten! — Achtung dem wahren Adel! — Allgemeinheit

dem echten Chriſtenthum! —

Friede und Segen den Hütten! —

Königliche Großmuth und kindliche Dankbarkeit.

Eine wahre Geſchichte.

Am 15. Mai 1824 kamen zwei Knaben von G. . aus
dem Schwarzwald nach K .. zu ihrem ehemaligen Pfarrer,
und brachten ihm einen Brief von ihrem Bruder aus Phi-
ladelphia.
„Wir möchten“, ſagten ſie, „unſern Großherzog ſehen,
der auf den 16. in's Oberland kommen ſoll.“ —
Der 16. Mai ging vorüber. Der Erſehnte kam nicht,
und die Knaben mußten wieder heimwaͤrts, weil ſie laͤnger
wegzubleiben keine Erlaubniß hatten.

„Dem — der ihren Bruder gerettet, der — Vater und

Mutter und acht Kinder aus dem tiefſten Kummer heraus-

gehoben habe, dem,“ ſagten ſie, „hätten wir doch gerne,

wenigſtens mit Augen und Händen einen Gruß zugewinkt.
— Mit ihm reden — das wuͤrden wir uns freilich nicht
getrauen.“ —
Und dem Pfarrer blieb die Gelegenheit, die veranlaſ-
ſende Urſache dieſer kindlichen Dankbarkeit, in nachſtehen-
der Erzaͤhlung aufzuzeichnen:
Michael M .. zeigte als Schulknabe von 12 bis 13
Jahren mehr als gewöhnliche Anlagen, und vorzüglichen
Sinn fuüͤr Kunſt und Mechanik. Eine angenehme Koͤr⸗

perbildung, freundliches, offenes Benehmen, mit immer
heiterer Laune, flößte Intereſſe für den Knaben ein.
Sein Vater, ein Holzuhrenmacher, der bei einer zahl-
reichen Familie auf ein eirzelnes ſeiner Kinder, nur kleine
Theile ſeines Erwerbes verwenden konnte, war außer
Stand, die Talente des Knaben zu unterſtuͤtzen. Was
ihm möglich war, das that er. —
Er verſchaffte ſeinem aͤlteſten Sohne Gelegenheit das
Vorbereitungs-Inſtitut in Raſtadt, waͤhrend einem halben
Jahre, zu benützen. Mit guten Zeugniſſen kam er zuruͤck,
um bald darauf Lehrer in N. zu werden. Seine Geſchick-
lichkeit zog die Aufmerkſamkeit des Obervogts auf ſich.
Er verwendete ihn, ſeiner Jugend ungeachtet, zu Acciſors-
Gerichtsſchreibers- und Vogts-Dienſte.
Die neue Steuerordnung des Landes, ſuchte in allen
Bezirken rechnungserfahrne Haͤnde fuͤr den großen Steuer-
geſchaͤftskreis. Michael wurde in die Kreisſtadt berufen.
Hier umgeben von lockenden Beiſpielen des freiern Le-
bens, durch ſeine Schreibergeſchaͤfte hinein gezogen in

Geſellſchaften jugendlicher Wuͤſtlinge, vermochte der bisher

einfach-lebende Landjuͤngling — es nicht — der Feuer-

probe der Verſuchung zu widerſtehen. — Ergriffen von

falſcher Scham — nicht geringer ſcheinen zu wollen als
andere Jünglinge im Fache der Schreiberei, eingeweiht
in ihre Lebensweiſe, wurde er Verſchwender.
Seine Tags gebühren reichten nicht hin, den angenom-
 
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