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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (4) — 1824

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No 52-65 (Mai 1824)
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https://doi.org/10.11588/diglit.22120#0254

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Rheiniſche Morgenzeitung fuͤr gebildete Leſer.

Nio 50. Montag den 17. Mai

18²⁴.

Verantwortlicher Redakteur und Herausgeber: Friedrich Karl Freiherr von Erlach.

Au
Frau Gräfin Antoinette von Ingelheim,
geborne Graͤfin von Weſtphalen.
Den 7. Mai.

Heut ſah ich deine liebliche Geſtalt
Auf hohem Roß in blüthenreichen Auen
Kaum konnte ich, o herrlichſte der Frauen!
Dein Antlitz ſehn von Federn ſtolz umwallt. —
Und mich ergriffs mit inniger Gewalt,
Obgleich im Flug, Dir in die klaren blauen
Glanzvollen Sterne tief und ſtill zu ſchauen —
Nie ſah ich ſo, Dich liebliche Geſtalt.
Doch ſah mein Auge bei den holden Deinen
Als Mutter Dich, als Gattin oft erſcheinen
Und bald in Worten zaubernd, bald in Toͤnen.

Vollendet haſt Du ganz den Kreis des Schönen!
Denn wo ſich Muth und Zartheit ſuß vereinen
Mit Lieb' und Anmuth, ſchwebt der Geiſt des Reinen.
Winkel, im Rheingau.
Adelheid von Stolterfoth.

Die beiden Ringe.

(Fortſetzung.)
Und da die feinfühlende verſtaͤndige Frau wohl einſah, daß

der Nichte edlem ſelbſtſtaͤndigem Charakter jede Beſchraͤn⸗

kung unangemeſſen ſeyn wuͤrde; ſo war und blieb Marie
freie Gebieterin uͤber ihre Beſchaͤftigungen, Lebensweiſe und
Genüſſe. Was ſie von ihrer Zeit der geliebten Frau zu-
wandte, wurde, wie ein Geſchenk, dankbar angenommen,
und als ſolches gewuͤrdigt.
Da kein Wunſch der Einfachen, auf wenig Anſprechen-
den, verſagt ward, ſo waͤre es ihr auch unbedenklich geſtat-
tet worden, die Prediger Wittwe Frau Sieber, mit deren
Pflegetochter: der eilfjaͤhrigen Bertha zu ſich ins Haus
zu nehmen. Indeſſen äußerte die beſcheidene Marie nie
einen Wunſch, deſſen Erfüllung der Raͤthin ein Opfer koſten
konnte. Und ein Opfer waͤre die Gewaͤhrung dieſes
Wunſches auf jeden Fall geweſen. Denn auffallend war
es: wie die Tante den Anblick der lieblichen Bertha ver-
mied; und, wenn ſie es nicht konnte, wie ſehr ſie bemüht
war, das Kind — dem ſie uͤbrigens alles Gute goͤnnte und
erwies — bald moͤglichſt aus ihrer Naͤhe zu verbannen.
Dieſes Zurückſetzen und Vermeiden, bei aller Willigkeit des
Gebens und Geſtattens, hielt auch die Kleine von der Rä-
thin in ſo ſcheuer Entfremdung, daß die Pflegemutter ihre
Bertha nur mit Muͤhe in die Naͤhe der Wohlthaͤterin brin-
gen, und ihr nie mehr als eine kalte unkindliche Höflichkeit
gegen ſie abgewinnen konnte. Selbſt fuͤr die reichen Weih-
nachtsgaben, welche von der Gutsbeſitzerin jaͤhrlich nach
Ferneleben geſchickt wurden, konnte Bertha nur mit einem,
muͤhſam eingelernten Neujahrswunſch danken. Fuͤhlte doch
das Kind wohl ſchon dunkel: daß der gute Wille des
 
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