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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (4) — 1824

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No 79-91 (Juli 1824)
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https://doi.org/10.11588/diglit.22120#0336

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Rheiniſche Morgenzeitung fuͤr gebildete Leſer.

Nie 79. Sonnabend den 3. Juli 1824.

Gehorſam den Regenten! — Achtung dem wahren Adel! — Allgemeinheit
dem echten Chriſtenthum! — Friede und Segen den Hütten! —

Der bekehrte Schwärmer.

Eine wahre Geſchichte aus der neuſten Zeit.

„An ihren Früchten ſollt ihr ſie erkennen!“

Im ſüdlichen Deutſchland wurde in neuerer Zeit ein ſchwär-
meriſcher Zoͤgling der ſ. g. hiſtoriſchen Schule auf eine ſo
ſeltſame Weiſe von ſeinen Traͤumereien geheilt, daß es
vielleicht, zum Nutzen und Frommen aͤhnlicher Kranken,
der Muͤhe lohnt, dieſen Vorfall bekannter zu machen.
Die Sache iſt folgende:
Ein junger Mann, den wir Teutmar nennen wollen,
bezog die Hochſchule, um ſich der Rechtswiſſenſchaft zu
widmen. Er brachte einen gelehrigen Kopf mit und ver-
ſprach der Wiſſenſchaft einſt koͤrnige Fruͤchte. Leider, war
nur zu frühe ſchon dieſer Kopf von Traͤumereien angeſteckt
worden, die ſo leicht bei einer lebhaften Fantaſie, den
Verſtand überflügeln. Teutmar's Vater naͤmlich war, in

der gutgemeinten Abſicht, daß der Sohn eines bluͤhenden

Styls theilhaftig werden möge, auf den unſeligen Gedan-
ken gekommen, demſelben das Leſen der Schriften von
Goͤrres zu empfehlen. Teutmar, von dem Pomp der poe-
tiſchen Sprache dieſes Schriftſtellers hingeriſſen, verſchlang
deſſen Werke; aber noch nicht reif genug, um Dunſt vom
Lichte unterſcheiden zu können, ſpukten die geſehenen
fantasmagoriſchen Fratzen bald dergeſtallt in dem jungen

Kopfe, daß er Revolution und Aufruhr witterte in der
Stille des Friedens, daß er Sklavenfeſſeln raſſeln hörte,
mitten in der Heimath der Freiheit und daß er die Welt
ſich als ein Himmelreich traͤumte, wenn eine kirchliche
Sonne die ganze Chriſtenheit wieder beſcheine.

Mit ſolchen Zündfunken elektriſirt bezog Teutmar nach
einander zwei norddeutſche Hochſchulen. Goͤrres, der in
dem Spiegel der Weltgeſchichte durch eine angelaufene
Brille bald Engel, bald Teufel ſieht, wo oft weder die
einen ſind, noch die andern, hatte auf dieſe Weiſe den
Grund bei Teutmar'n gelegt, ein Jünger der hiſtoriſchen
Schule zu werden, kein Wunder, daß er ſich auf jenen
Hochſchulen bald an deren hiſtoriſche Matadore anſchloß.
Wie aber die Prediger dieſer Schule ſelbſt, ſtatt aus dem
Studium hiſtoriſcher Quellen Goldkoͤrner zu ſammeln fuͤr
die beſſere Gegenwart und unangetaſtet liegen zu laſſen
die Schlacken einer roheren Zeit, in ihrem Steckenpferds-
Eifer es weit lieber ſaͤhen, wenn die Gegenwart den
Maͤnner⸗Hut wieder vertaͤuſchte mit der Narrenkappe ver-
gangener Jahrhunderte, ſo ging dieß jetzt auch unſerm
Teutmar. Er meinte die Zartheit der peinlichen Halsge-
richtsordnung ſey von der Gegenwart unerreichbar; er ſah
einen unendlich tiefen Sinn in der bildlichen Geſetzes-
ſprache der Spiegel und Richtſteige des Mittelalters und
war bald uͤberzeugt, daß das 19. Jahrhundert lange noch
nicht ſeine Emancipation erlangt habe, um Aehnliches,
 
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