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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (4) — 1824

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No 66-78 (Juni 1824)
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https://doi.org/10.11588/diglit.22120#0316

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Rheiniſche Morgenzeitung fuͤr gebildete Leſer.

Ni 74. Montag den A. Juni 1824.

Verantwortlicher Redakteur und Herausgeber: Friedrich Karl Freiherr von Erlach.

Sargund Wiege.

Ein Schreiner ſteht noch wach in ſpaͤter Nacht,
Auf ſeine Arbeit aͤmſig nur bedacht,
Doch ſchafft er heute minder mit Vergnügen,
Er darf nicht ruhn, bis er ſein Werk vollbracht,
Er muß noch einen Sarg zuſammen fügen.
Da ſteht er nun, er ſelbſt in greiſem Haupt,
Baut einem Knaͤben hier die ſtille Zelle,
Er ſelbſt ſo müd, vom Lebensſturm entlaubt,
In Jenem floß der Jugend leichte Welle. —

Er wünſcht den Tod, er ſucht den ewgen Frieden, —

Der Knabe haͤtte noch ſo gern gelebt,
Haͤtt noch ſo gern im goldnen Licht geſtrebt,
Da brach ſein Blick, er iſt zu früh verſchieden.
Wie nun der Greis die letzte Wohnung baut,
Die kurzen Bretter ſtill zuſammen legt,
Da wird ſein Blick von Thränen überthaut
Und ſeine Seele ſchmerzlich angeregt,
Und ſo wird ſein Gefuͤhl in Worten laut:

„Wie ſeltſam iſts, der Menſchen Weh zu ſchaͤuen,
Wie doppelt ſeltſam, ihre Luſt zu ſehn!
Für Ewigkeiten ſtreben ſie zu bauen, —
Ein Odemzug — und alles iſt geſchehn.
O eine Welt wird mit der Bruſt begraben,
Ihr Streben all und all ihr ſchönes Glück! —

Der Himmel fordert hier den ſuͤßen Knaben
Und einen Greis laͤßt er gebeugt zuruͤck!
Wem kann die Hoffnung noch beglückend winken
In dieſem Strom des Schmerzes und der Noth!
Da ungereift die ſchoͤnſten Blüthen ſinken,
Da reiche Lenze uns entrafft der Tod.
Wohl mag der Vater, mag die Mutter weinen,
Wenn man das liebe Kind zur Grube traͤgt,
Sie waͤhnen nur ihr eigen Gluͤck zerſchlagen,
Da doch das Gluͤck der Menſchheit ſich zerſchlaͤgt. —
In ewgem Streite ſchwankt des Menſchen Leben,
Der friedlos auf des Daſeyns Flaͤche ſchweift,
Mit ſeiner Hülle ſinket auch ſein Streben,
Und ach, verblüht iſt nicht herangereift.
O welche Keime liegen in dem Kinde,
Wir alle ſollten die Vollendung ſchaun;
Und ich, der ich dies alſo warm empfinde,
Ich muß dem ſtrengen Tode Wiegen baun. —
Wer liebt das Leben noch? Wer kann es lieben?
Die ſtille Hoffnung, wie die höchſte flieht; —
Vertrauend hat man ſich umher getrieben,

Bis man erkennt, daß man Verwüſtung ſieht.“

ſchweigt der Greis, er ſteht in wachem Traume,
Die Thräͤnen rinnen, bis er nun erwacht;
Da ſieht er in der Werkſtatt engem Raume
Noch eine Arbeit, die er kaum vollbracht;
 
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