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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (4) — 1824

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No 118-130 (Oktober 1824)
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https://doi.org/10.11588/diglit.22120#0536

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Rheiniſche Morgenzeitung fuͤr gebildete Leſer.

ro 128. Montag den B. Oktober 182.

Gehorſam den Regenten! — Achtung dem wahren Adel! — Allgemeinheit
dem echten Chriſtenthum! — Friede und Segen den Hütten! —

Blanka und Iſabelle.
Hiſtoriſche Novellenach Legouvé.

Von Franz Frhrn. v. Keller.

[Fortſetzung.)]
Jedes Wort, das ihr mir ſagt, erwiederte Blanka, zieht
mich noch mehr zu euch hin. Aber, wozu ſich verſtellen?
was ſoll ich hier bergen? ſey es nun Ehrgeitz oder ein an-
deres Gefuͤhl, das euch niederbeugt, genug, ihr leidet!
Ich überraſchte euch oͤfters in Thraͤnen, die ihr zu unter-
drücken ſuchtet, vergießt man ſolche, wenn die Seele ruhig
iſt? Endlich, jenes geſchriebene Blatt, welches zu leſen
ihr nicht aufhöret — —? Iſabelle ließ ſie nicht ausreden,
und rief: „Wie, grauſame Blanka, ihr wollet mir mein
ganzes Geheimniß entreißen? Es ſey! nicht widerſteh' ich
mehr; leſet in meinem Herzen: die Drangſale, die es er-
ſchuͤtterten, ſind noch zu geringe, auch die Liebe erfüllt es,
verzehrt es!“ — Bei dieſen Worten ſeufzte ſie tief auf,
und fuhr nach einer kleinen Weile alſo fort:
„Schon war ein volles Jahr nach meiner Mutter Tode
verfloſſen, als ich zum erſtenmal in meinem Leben jenen
Sterblichen ſah, der mich die ſüßeſte, aber auch grau-
ſamſte aller Empfindungen kennen lernen ließ, und dies
geſchah an einem Tag, wo die allgemeine Mutter Erde
bei der Ruͤckkehr des Frühlings ſich ſchmückte. Ich hatte

ſo eben die Gaben der wohlthaͤtigen Frau Moldini unter
das Obdach duͤrftiger Huͤtten gebracht, und war durch die
Felder gedankenvoll hingeſchlendert, als ich ſolche ploͤtzlich
mit einer außerordentlichen Rührung zu durcheilen begann,
ſey es, weil der Anblick der Natur nach einer ſchönen
Handlung uns mehr gefaͤllt, oder aber weil um dieſe Zeit
die Flur reicher und herrlicher anzuſchauen war. Ich langte
endlich durch einen Umweg in einem Wald an, und o Him-
mel, was mußt' ich hier ſehen? ein ſchwer verwundeter
Jaͤger lag hier ohnmächtig auf dem Grasboden hingeſtreckt!
Ich flog auf ihn zu, und indem ich haſtig meinen Schleier
zerriß, trocknete ich mit einem Theile deſſelben ſein Blut
ab, und verband mit dem andern ſeine Wunde. Nach
und nach erholten ſich ſeine Lebensgeiſter, ich half ihm
jetzt ſich aufzurichten, und ward bis zum Erröthen gewahr,
daß er ein Mann im blühendſten Alter ſey, und ſeine
Geſichtszuge viele Anmuth und Milde verriethen. Endlich
öoͤffneten ſich ſeine Augen, er richtete ſolche auf mich, und
mir ſchien, als ob die Blaͤue des Himmels aus einem Ge-
wölke hervortraͤte! Dieſer liebliche Anblick, dieſes Blut,
das noch auf dem Graſe warm klebte, dieſe Geſichtsblaͤſſe,
die ſeine Schoͤnheit noch mehr erhob, und dieſe Schwaͤche,
die allen ſeinen Bewegungen einen gewiſſen Reitz verlieh,
alles — warf in meine Seele eine Unruhe die ich bisher nie
empfunden hatte! Nun wollte ich mich entfernen, — da
zog der ſchmeichelhafteſte Ton ſeiner Stimme mich wieder
 
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