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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (4) — 1824

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No 1-13 (Januar 1824)
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https://doi.org/10.11588/diglit.22120#0030

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Rheiniſche Morgenzeitung fuͤr gebildete Leſer.

Nis 6. Mittwoch den 14. Januar

1 84.

Verantwortlicher Redakteur und Herausgeber: Friedrich Karl Freiherr von Erlach.

An den Fernen.

Oft ſchau' ich aus nach meinem Freund,
Und muſtre Straßentreiben:
Doch nimmer, nimmer er erſcheint!
Schnell wieder die Gardin' umzaͤunt
Des Klausners Fenſterſcheiben.

Oft bild' ich, dicht'riſch angeſpannt,
Mir ein: er ſey zugegen;
Und alles hab' ich bei der Hand,
Und tauſend Fragen, nahverwandt,
Dem wackern vorzulegen.

Da horcht das Kind und tritt herein:
„Kannſt mit dir ſelber ſprechen?“ —
Erloſchen iſt der Zauberſchein,
Ich fuhle doppelt Trennungspein
Gleich Skorpionenſtechen.
Fr. Raßmann.

—72.— — — — — 9— — — — 2—— — — — —————

Geſchichte des Prinzen Kodadad.

(Fortſetzun g.)
Fünftes Kapitel.
„IIhr ſehet alſo,“ ſchloß die Prinzeffin, von Deriabar die
Erzaͤhlung ihrer Unglücksfaͤlle, „daß ich ſelbſt nicht weiß,
wo ich mich hinwenden ſoll. Das Reich meines Vaters bie-

tet mir keine Zuflucht; das Reich meines Gemahls iſt auch
in eines Feindes Hand; ſelbſt der Seeräͤuber, der ſich mei-
nen Herrn nannte, iſt todt, und ich ſtehe hülflos und al-
lein in der Welt, ohne Verwandte, ohne Freund, ohne
Rath und Troſt.“

„Sprecht nicht alſo,“ fiel ihr Kodadad in die Rede.
„Sehet dieſe neun und vierzig Jünglinge. Sie ſind die
Soͤhne des Königes von Haran. Folget uns an den Hof
ihres Vaters, bei dem ich Euch freundliche Aufnahme ver-
ſprechen kann. Und bin ich Euch nicht zu geringe, ſo wer-
det meine Gemahlin. Ich bin zwar ein namenloſer Fremd-
ling an dem Hofe meines Koͤniges, doch kann ich Euch ein
ſorgenloſes Leben verſprechen. Koönnt Ihr Euch entſchlieſ-
ſen, von der Hoͤhe herab zu ſteigen, auf welche Euch das
Glück geſtellt hatte, und ſtaͤtt die Gemahlin eines Königes,
die Frau eines koͤniglichen Dieners zu werden, ſo laſſet
uns alsbald das Feſt unſerer Vermaͤhlung feiern.“

Nicht allein aus Dankbarkeit gegen ihren Befreier, auch
aus einer herzlichen Zuneigung zu dem edeln Jünglinge,
ſprach die Prinzeſſin von Deriabar: „Hier kann nicht die
Rede ſeyn von einer Hoͤhe, auf welche mich das Glück zwar
geſtellt, von welcher es mich aber auch ſchon laͤngſt wieder
herab geſtuͤrzt hat. Jetzt bin ich eine Heimathloſe und
wenn Ihr, als ein angeſehener Diener des Koͤniges von Ha-
ran, die arme Flüchtige zur Gemahlin erwäͤhlen möͤget, ſo
preiſe ich mich unendlich gluͤcklich. Mit Freuden werde ich
Euch meinen Gemahl nennen.“
 
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