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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (4) — 1824

DOI chapter:
No 92-104 (August 1824)
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https://doi.org/10.11588/diglit.22120#0424

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Rheiniſche Morgenzeitung fuͤr gebildete Leſer.

Ni'e 101. Montag den 3. Auguſt 1824.

Gehorſam den Regenten! — Achtung dem wahren Adel! — Allgemeinheit
dem echten Chriſtenthum! — Friede und Segen den Hütten! —

Die Zwillingsbrüder.

(Fortſetzun g.)
III.
„Wo nur unſer Ricko bleiben mag?“ fragte Vasko
mit zitternder Stimme, indem er ſich muhſam auf ſeinem
Krankenlager emporhob.
„„,Tröſte dich, Vaͤterchen.““ lispelte ihm ſein biederes
Weib zu und konnte doch ſelbſt, vor Beklemmung und
Angſt um ihren theuren Sohn, kaum athmen. — Drei
Kinder von ſtufenweiſer Größe, ſtanden an der Thüre lau-
ſchend und wußten wohl, daß Jemand, aber nicht wer, von
ihnen abgehe.
„Er führte die Heerde zum zweitenmal' in ſeinem Le-
ben aus; — wenn ihn etwa der Sturm überraſcht hat; —
er weiß ſich nicht zu helfen. . .“ —
„„Glaub das nicht, Vaͤterchen! Ein Sturm, wie
der heutige kündet ſich lange voraus an, — und im Ge-
birge gibt es ja, wie du weißt, Hoͤhlen genug, die eigens
eingehauen ſind, um vor Wolkenbrüchen zu ſchirmen. ..“
„Aber ein Knabe? — Gott warum mußteſt du mich
jetzt gerade heimſuchen!?“ ö

Die beſorgte Hausfrau wollte antworten, allein Thraͤ⸗

nen erſtickten ihre Stimme. Die Kinder hatten ſich indeß
ſchweigend von der Thüre zurückgezogen. Das ſechsjaͤh⸗
rige Mädchen ſaß ängſtlich in die Fenſterecke gekauert

und ſpielte mit den Weinranken, welche ſich um das
Gitter ſchlangen. Ploͤtzlich rief es laut auf: „Unſer Hund!
Unſer Hund!“ und in eben dieſem Momente hörte man
auch ſchon ein Scharren und Bellen vor der Thüre.
Vasko ſetzte ſich auf; ſein Weib drehte die Klinke und
die drei Kleinen, ſprangen, ihres kranken Vaters kaum
achtend, aus ihren Winkeln, als Ricko zum Pförtlein
hereintrat.
„„Wie du triefſt, armer Ricko!““ ſprach die Mutter,
den Knaben an ihre Bruſt drückend; — „„trockne dich!
Sonſt geſchah dir doch kein Leides?““ —
Ricko blieb ſprachlos ſtehen; aber aus ſeinen Augen
brach der langverhaltene Thraͤnenſtrom mit zwiefacher Ge-
walt los. Da hinkten die beiden blutigen Ziegen herein
und umleckten die Haͤnde ihres Hüters, der nichts mehr,
als ſie mitleidig anzuſehen vermochte und weinend zu ſtam-
meln: „Die da blieben mir, Vater! — alle andern ſind
todt! —
Vasko und deſſen Frau ſahen ihre Ahnung beſtaͤtigt
und ihr letztes Habe vernichtet. Wer ſoll nun den kleinen
Acker pfluͤgen, der ſie jetzt doch allein ernaͤhren muß; wer
ſoll des kranken Vaͤters, wer der unbehülflichen Kleinen
pflegen, nun mit einemmal' ihr letzter Stab zerbrochen iſt?
Es giebt Augenblicke, wo uns Mitgefuͤhl und Mittheilung
ſo Noth thun, daß wir ſelbſt den Thieren Empfindung an-
dichten, um vor ihnen unſer Herz ausſchuͤtten zu koͤnnen.
 
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