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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (4) — 1824

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No 79-91 (Juli 1824)
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https://doi.org/10.11588/diglit.22120#0364

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Rheiniſche Morgenzeitung fuͤr gebildete Leſer.

Nio 86.

Montag den 19. Juli 184.

Gehorſam den Regenten! — Achtung dem wahren Adel! — Allgemeinheit
dem echten Chriſtenthum! — Friede und Segen den Hütten! —

Glück im Uunglück.

(Fortſetzun g.)
Unter allen Empfehlungsbriefen, die er eingeſammelt hatte,
war ihm der an den Grafen Zatinsky der wichtigſte, und
er eilte ſogleich bei ſeiner Ankunft dieſen abzugeben. Der
Graf machte eins der glanzendſten Haͤuſer der Hauptſtadt,
und ſeine einzige Tochter war die ſchone Gebieterin ſeines
Pallaſts. Er war ein Pole und reich; daraus folgt bei-
nahe von ſelbſt, daß er gegen Auslaͤnder die edelmüthigſte
Gaſtfreiheit übte. Ein Freund des bekannten Prinzen
Radzivil, war er in deſſen Verbannung mit eingeſchloſſen
geweſen, und hatte lange in Deutſchland, Italien und
Frankreich gelebt. Die polniſche Regierung ſuchte ihn ſpa-
ter in ſein Vaterland zuruͤckzuziehen; nicht durch Reich-
thümer oder Ehrenſtellen, die über ſeinen edeln Geiſt we-
nig vermogt haben würden, ſondern durch das Beſtechende
ausgezeichneter Achtung, allgemeiner Anerkennung, die dem
Grafen um ſo wohlthuender ſeyn mußte, da er ſich im
Herzen ihrer würdig fühlte. Er kehrte zuruͤck, vermaͤhlte
ſich bald nachher, ward aber ſchon nach wenigen Jahren
Witwer, und ſuchte ſeitdem ſein ganzes haͤusliches Gluͤck
in der jungen Graͤfin Louiſe, deren vielverſprechende
Anmuth ihn vergeſſen ließ, daß einſt ſein Anſehn, wie
ſein Reichthum, auf einen fremden Namen übergehen
werde. —

Die Gaſtfreiheit, welche der wuͤrdige Graf dem jungen
Baron von Belville bewies, war noch feinerer und edlerer
Art, als die, welche ihm mit den meiſten ſeiner Lands-
leute gemein war. Einem jungen Manne in einer günſti-
gern Lage wuͤrde er mit einfachem Wohlwollen entgegen
gekommen ſeyn, und ihm ſeinen Aufenthalt in Warſchau
bei gelegentlichem Anlaß angenehm zu machen geſucht ha-
ben. Guſtavs Ungluͤck gab ihm das Recht auf Auszeich-
nungen, die ſonſt nur aͤlteren und bedeutendern Maͤnnern
zugeſtanden wurden. Ein glaänzendes, um ſeinetwillen ver-
anſtaͤltetes Mahl fuhrte ihn in den Kreis der Bekannten
des Grafen ein, und die zuvorkommende Aufmerkſamkeit
welche dieſer ihm bewies, ſicherte ihm eine aͤhnliche Auf-
nahme in jedem ausgezeichneten Zirkel von Warſchau. Und
erſt jetzt, da dem verwundbaren Gefuͤhl des flüchtigen
Verbannten auf dieſe Weiſe volle Genuͤge geſchehen war,
naͤherte ſich auch dem Herzen des einſamen, Rath und
Theilnahme bedurfenden Jünglings ein väͤterlicher Freund

in dem Grafen Zatinsky.

Der Marquis von Nevers, Guſtavs Landsmann, auf
den er, beſonders für den vertraulichen Umgang, am mei-
ſten gerechnet hatte, zeigte ſich ihm bald als einen jungen
Mann von glaͤnzenden geſelligen Vorzügen und lebhaftem
Geiſt, allein auch eben ſo vieler Selbſtgefälligkeit und eit-
ler Anmaßung. Auch ſeine Kaſſe war, wie ſich erwarten
ließ, nicht ſonderlich gefuͤllt; doch ſpielte er oft und glück-
 
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